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Verfasser: Gipfelstürmer
Datum: Dienstag, den 30. Juni 2009, um 18:40 Uhr
Betrifft: Vollkornbrot und Wackelpudding

Lieber Waldläufer,

vielen Dank für Deine Ausführungen. Du bist in diesem Forum einer meiner absoluten Lieblingsdiskussionspartner. Ich möchte zunächst nur auf einen Deiner Punkte eingehen, sonst wird mein Text wieder so lang (er wird wohl auch so schon lang genug).

> Diese Deine idealistische Sicht ist es, die mich zu der Meinung kommen lässt, dass Du die HLT-Lehre weich spülst. Du vertrittst, dass viele Lehren (heute) gar keine offiziellen Lehren mehr sind bzw. nie waren usw. Das entspricht auch der Haltung der Kirchenleitung, die bemüht ist, ein ganz "normales" Bild einer christlichen Kirche zu zeigen und viele der kritischen Lehren unter den Tisch fallen zu lassen, nicht mehr "zu betonen". Selbst wenn dazu eine kleine Notlüge eines Präsidenten der Kirche erforderlich ist. Du möchtest einfach, dass dieses Lehrgebäude wahr ist und für mich musst Du Dich da hin und wieder etwas verbiegen. Ich habe nach wie vor das Gefühl, dass Du ausweichst, wenn eine Frage wirklich kritisch wird.

Katholische Kirchenlehre ist wie hartes Vollkornbrot: Man wird davon schnell satt und sie ist so solide, dass man jemanden damit erschlagen könnte. Die Lehre der HLT-Kirche ist hingegen wie Wackelpudding: Du kannst hundertmal versuchen, sie an die Wand zu nageln – es wird nie klappen. Genau das ist ein zentrales Wesensmerkmal meiner Religion. Wäre dies anders, so wäre es nicht mehr die HLT-Kirche. Bei den Lutheranern gibt es Lehren in Form von „harten“ und verbindlichen Glaubensbekenntnissen, zum Beispiel die Sola gratia, die Sola fide, die Sola scripture und den Sulus Christus. Bei den meisten anderen Konfessionen ist es genauso. Oft legt man die Lehrmeinung einer Kirche in einem Katechismus fest. Joseph Smith schreibt dazu in dem Buch „The Words of Joseph Smith” auf Seite 183: „…it looks too much like Methodism and not like Latter day Saintism. Methodists have creeds which a man must believe or be kicked out of their church.” Bei uns ist das anders. Genau aus diesem Grund gibt es bei uns auch keinen theologisch ausgebildeten und bezahlten Klerus. Die Geistlichen und Gemeindevorsteher in der HLT-Kirche haben kein Theologie-Studium absolviert und erhalten für ihren Dienst kein Geld. Außerdem nehmen sie im Hinblick auf ihren „Anspruch“, die Heilige Schrift zu interpretieren, eine deutlich geringere Stellung ein als Geistliche in den meisten anderen Religionsgemeinschaften. Auf Seite 8 in dem Buch „Teachings oft he Prophet Joseph Smith“ steht dazu: „It is the privilege of every Elder to speak of the things of God.“ HLT-Lehren in Form von Glaubensbekenntnissen, die ich Deiner Auffassung nach „weichspüle“, wenn es kritisch wird, waren in den Augen von Joseph Smith ein Gräuel. Er hat sie abgelehnt. Wenn er das Wort „Glaubensbekenntnis“ irgendwo erwähnt hat, dann meines Wissens nach nur in negativem Sinn („wicked creeds oft he fathers“). Selbst in seinem Bericht über die Erste Vision in der Joseph Smith Lebensgeschichte steht im Zusammenhang mit den Glaubensbekenntnissen anderer Kirchen: „… all their creeds are an abomination.“ Joseph Smith ging es um die persönliche Suche nach Gott und um einen christlichen Lebenswandel, nicht um Lehren. In „The Words of Joseph Smith” heißt es auf Seite 184: „I want the liberty of believing as I please … It doesn’t prove that a man is not a good man, because he errs in doctrine.“ In der Geschichte der HLT-Kirche haben viele Verantwortungsträger von ihrem Recht Gebrauch gemacht, auf der Grundlage persönlicher Auffassungen „the things of God“ auszusprechen. Hatten diese Meinungen aber jemals den Status einer verbindlichen Lehre, vergleichbar mit einem katholischen Dogma? Nein! Ich lese gerade ein interessantes Buch von Peter Cayce mit dem Titel „What did Jesus really say?“ Auf Seite 57 steht im Hinblick auf die Tendenz evangelikaler Fundamentalisten, Andersgläubige so oft auf der Basis von Lehren zu beurteilen, Folgendes: „Christian fundamentalists … have evolved their own variations of dogma that are based primarily on Paul. They then spend a good deal of time teaching about the false dogma of other Christian and non-Christian cults. The Mormons, Jehovah Witnesses, and Buddhists are considered to be some of these cults. Frequently, you will hear about what’s wrong with these religions rather than teaching the actual message of Jesus.“ Es geht aber nicht um die Lehre. Jesus hat Folgendes betont: Liebe, Mitgefühl und Vergebung. Damit ich mit Gott sprechen kann (und Er mit mir), brauche ich keinen Priester, Mönch oder Rabbi. Deswegen hat uns Jesus das Vater-Unser gelehrt. Wenn ich eine Frage über die Heilige Schrift habe, kann ich mich in meiner Kirche an keinen Pfarrer wenden – ich bin selbst gefordert und muss mir meine Erkenntnisse erschließen. Ich kann mich nicht auf meine theologische Ausbildung stützen, wenn ich eine Ansprache geben soll – ich muss stattdessen auf die Knie gehen und Gott um Hilfe bitten. Das begeistert mich. „Wenn es aber jemandem unter euch an Weisheit mangelt, so bitte er Gott, der jedermann gern gibt“ (Jakobus 1: 5), ist eine Wahrheit, die von christlichen Kirchen über Jahrhunderte hinweg unterdrückt worden ist. In der katholischen Kirche war die Bibel lange ausschließlich in lateinischer Sprache verfügbar, damit sie nur der Klerus lesen konnte. „Weichgespülte Kirchenlehre“ sind zwei Worte, die mein Gehirn als überzeugtes Mitglied der HLT-Kirche in keinen syntaktisch sinnvollen Zusammenhang bringen kann. Ich bin Mormone, kein Katholik, Methodist oder evangelikaler Christ. Ich kenne keinen Klerus, keinen Katechismus und keine „harte“ Kirchenlehre, die man weichspülen könnte.

Viele Grüße

Gipfelstürmer

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