Beitrag 75 von 81 zum Thema Zeitungsartikel über die Mormonen |
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Verfasser: Gunar Datum: Montag, den 18. Februar 2002, um 3:01 Uhr Betrifft: SZ: Kommilitonen der letzten Tage
Süddeutsche Zeitung
Dienstag, 12.2.2002Kommilitonen der letzten Tage
Die Universität der Mormonen im Olympia-Staat Utah will Studenten auf ihrer Suche nach dem ewigen Leben unterstützen
Von Sebastian Poliwoda und Barbara Scherle
Man kennt sie, die ernsten jungen Männer. Sie stehen in der U-Bahn, in gedeckten Anzügen, darauf ein schwarzes Namensschild. Anzug und Mann wirken verloren in der Welt der Ungläubigen. Hier oben ist das anders. Hier, wo die Mormonen wohnen. In Provo, im US- Gottesstaat Utah, thront eine der gröÃten Privathochschulen des Landes, die 1876 gegründete und nach dem Kirchenführer Brigham Young benannte Universität (BYU). In Provo sind die jungen Männer nah dran am Schöpfer, auf 1500 Metern. Fromm und arbeitsam, beflügelt von der Landschaft, den bizarren Dreitausendern der Wasatch-Mountains.
Die Idee der Olympischen Spiele kommt nach Hause: Per aspera ad astra. Das ist die BYU. Gesunde Landschaft, gesunder Geist, gesunder Körper. Welche Universität führt schon einen Link zum Thema Wellness auf ihrer Homepage, wo das Wichtigste über Blutdruck, Knochendichte oder Cholesterinprofil zu erfahren ist? Die zehn Männer- und elf Frauenteams der Uni räumen im Collegesport regelmäÃig alles ab, vor allem im Football und Volleyball.
Moralisch, sozial, ökologisch
Die BYU kleckert nicht mit ihren Zielen: Sie will Individuen „auf ihrer Suche nach Perfektion und dem ewigen Leben unterstützen“. Dafür schafft die Universität „eine Umgebung, erleuchtet von lebenden Propheten und unterstützt von den moralischen Tugenden. BYU-Absolventen wirken der destruktiven und materialistischen Selbstzentriertheit und Diesseitigkeit der modernen Gesellschaft entgegen“. Dafür müssen die Studenten, zu 95 Prozent Mormonen, vor allem eine substanzielle Fähigkeit entwickeln: Lebenslanges Lernen. „Ein BYU-Abschluss ist kein Ende, sondern der Beginn für den Habitus des lebenslangen Lernens“, sagt Unipräsident Merill Bateman. Am Ende der Ausbildung stehen – man beachte die Reihenfolge – „Eltern, Kirchenführer, Bürger, die fähig sind, ihre moralische, soziale und ökologische Umgebung zu verbessern.“ Sie sind „Ingenieure mit moralischer Integrität; Lehrer, deren Liebe zu den Kindern Gottes von einem globalen Bewusstsein bereichert wird; Manager, denen die finanzielle Belohnung als Mittel zu höheren Zwecken dient“. Und aus der Ferne grüÃt die Mormonen-Hotelkette Marriott.
Die Missionierung, Anfang und Ziel des Studiums. Die Studenten arbeiten mindestens 18 Monate als Vollzeitmissionare im Ausland. 80 Prozent der männlichen und 13 Prozent der weiblichen Studenten haben das schon hinter sich. Keine andere Uni in den USA schickt mehr Studenten ins Ausland. Deshalb sprechen 72 Prozent eine zweite Sprache, Unterricht wird in 43 Sprachen angeboten. Die Dolmetscher für die olympischen Spiele lassen sich locker aus den Beständen der Hochschule rekrutieren.
„Wenn ich höhere Semester unterrichte”, sagt der Germanist Joseph Baker, „dann haben sich 90 Prozent der Studenten mindestens eineinhalb Jahre in die Sprache vertieft.“ Wenn deutsche Gäste kommen, kann es passieren, dass mitten im Seminar ein Schüler aufsteht und mit Schillers „Zu Dionys, dem Tyrannen, schlich Damon, den Dolch im Gewande“ einen Willkommensgruà ausbringt. „Wir müssen die Sprache nicht mehr unterrichten. Wir können sie benutzen, um andere Ideen zu vermitteln – Literatur, Geschichte, Kultur“, sagt Baker.
Die Landschaft erschlägt durch Schönheit, die Uni durch GröÃe. 332 Gebäude auf 2,4 Millionen Quadratmetern, 1896 Lehrende, 30 000 Studenten, jeder Wohnheimplatz online, die Riesenbratpfanne eines Footballstadions mit 65 000 Plätzen. Und die Harold Lee Bibliothek, die gröÃte der USA. 5,2 Millionen Bücher lagern in dem Glasbau, der entfernt an die bayerische Staatskanzlei erinnert, auf 665 000 Quadratmetern. Finanziert mit privaten Spenden, wie vieles von der Marriott-Kette. Lakonisch heiÃt es über Provo: „Tausendmal Drive-Thru, und inmitten BYU.“
Anike Nabrotzky aus Dortmund war bis Mitte 2000 an der BYU. „Es gibt hier einfach einen bestimmten Geist – es wird ganz frei über Glauben geredet. Und ich finde es sehr inspirierend.“ Auch in den Rankings des U.S. News and World Report kann die BYU mithalten. Die Law School und die Marriott School of Management rangieren unter den ersten Fünfzig. 70 Masters- und 21 Promotionsstudiengänge sind auf elf Fakultäten verteilt, von Biologie bis zu Familien-, Haus- und Sozialwissenschaften. Aufgrund des funktionierenden privaten Stipendiensystems und der vergleichsweise lächerlichen 8000 Dollar Jahresgebühr geht die Zahl der Bewerbungen von Jahr zu Jahr nach oben.
Shorts bis zum Knie
Dann ist da noch der Ehrenkodex. Die Selbstverpflichtung: kein Alkohol, kein Tabak, kein vorehelicher Sex, kein Kaffee, keine Cola, kein Tee. Kleidung darf nicht ärmellos sein, nicht am Körper anliegen, Shorts bis zum Knie. Männer müssen sauber rasiert sein, keine Vollbärte, Schnauzer nur bis zu den Mundwinkeln. Dann: Keine schmutzigen Witze, keine Flüche, keine Homosexualität, kein Glücksspiel. Und keine Feuerwerkskörper. Jan Scharman, für das studentische Leben zuständig, sagt: „Die Studenten betrachten den Ehrenkodex nicht als restriktiv, sondern als stärkend – er erlaubt ihnen, sich auf ihre Studien zu konzentrieren. Und er erlaubt eine ganzheitliche Erholung statt Verwirrung.“
Wer trotzdem mal verwirrt ist, bekommt Probleme. Steve Baker, Direktor zur Ãberwachung des Ehrenkodex, sagt, es seien jährlich nur zwei Prozent der Studenten, die gegen den Kodex verstoÃen. Katja, die ihren Namen nicht genannt haben will, ist eine von 32 Studenten aus Deutschland und über den Kontakt mit zwei Missionaren zu den Mormonen gekommen. Ihre Eltern sind nicht begeistert. Auch Katja stört, dass man „hier sehr behütet vom harten Alltag“ ist. Viele kämen deshalb später auch unter die Räder. „Im wahren Leben sind die hier alle überfordert, weil sie so in Watte gepackt sind.“ Ein Ehemaligen-Netzwerk allerdings soll dafür sorgen, dass die Wattepackung auch in den StraÃen von Manhattan hält.
Der Ehrenkodex war nie ein Problem für Katja. Vielmehr, dass sie schon so alt ist und noch immer allein. „Die Leute schauen mich schon ganz komisch an.“ Katja ist 25 Jahre alt. Spötter sagen, die BYU sei eine groÃe Heiratsvermittlung. Rund 12000 der Studenten sind verheiratet, das sind 34 Prozent. Im Durchschnitt ist man mit 23 vergeben. Um das zu erreichen, belegen die Studenten jede Menge Tanzkurse, die einzige Art, sich in der Ãffentlichkeit dem anderen Geschlecht zu nähern. AuÃer, es handelt sich um eine Reanimation.