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Beitrag 33 von 81
zum Thema Zeitungsartikel über die Mormonen
Seite erstellt am 25.4.24 um 12:20 Uhr
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der Beitrag:
Verfasser: Gunar
Datum: Freitag, den 8. Februar 2002, um 1:26 Uhr
Betrifft: FAZ: Olympische Spiele im Königreich Gottes

Frankfurter Allgemeine Zeitung
08.02.2002, Nr. 33
Seite 3

Olympische Spiele im Königreich Gottes

Vor 150 Jahren besiedelten die Mormonen Utah und errichteten das Land der "Heiligen der letzten Tage" / Lange lagen die Bewohner im Clinch mit Washington / Von Horst Rademacher

SALT LAKE CITY, 7. Februar. Dem Besucher, der jetzt im Winter von Westen her kommend aus Nevada nach Utah gelangt, drängt sich der Eindruck auf, er fahre über einen Spiegel. Still liegt der Große Salzsee da. Kein Haus und keine Siedlung stören das Bild. Wer aus dem Fenster des Autos oder der Eisenbahn schaut, sieht die endlose Landschaft gleich zweimal: Die Oberfläche des Sees reflektiert Himmel und Berge - eine doppelte Einsamkeit. Allerdings täuscht der Eindruck. Der Bundesstaat Utah ist zwar groß und seine Natur überwältigend, aber keineswegs ausgestorben. Der Staat, einst als religiöse Enklave gegründet, weist die höchste Geburtenrate in Nordamerika auf.

Utah gehört seit 1848 zu den Vereinigten Staaten. Nach der Niederlage im "Mexikanischen Krieg" trat Mexiko das damals weitgehend unzugängliche, von Ute-Indianern und wenigen Trappern bewohnte heutige Utah im Vertrag von Guadalupe-Hidalgo an Washington ab. Ein Jahr zuvor war Brigham Young mit den ersten Mormonen am Fuße der Wasatchberge eingetroffen. Die wegen ihrer religiösen Einstellung aus den Staaten östlich des Mississippi vertriebenen Pioniere schworen sich, am Großen Salzsee ein Königreich Gottes zu schaffen. Als das Gebiet an die Vereinigten Staaten fiel, löste dieser Schwur einen Konflikt aus, dessen Folgen zum Teil noch heute zu spüren sind: Die amerikanische Verfassung sieht die klare Trennung von Staat und Kirche vor, für Young und seine "Heiligen der Letzten Tage" waren dagegen Kirche, Staat und Gesellschaft eine Einheit.

Aber nicht nur deshalb gab es zwischen Utah und dem Rest der Vereinigten Staaten im neunzehnten Jahrhundert immer wieder Konflikte. Fast fünfzig Jahre lang wurde Utah von Washington als Territorium geführt, so wie heute beispielsweise die Pazifikinsel Guam. Als Einwohner einer solchen Gebietskörperschaft hatten die Mormonen keine gewählte Repräsentanz auf dem Kapitolhügel in Washington; das Land und seine Bewohner wurden direkt vom Weißen Haus verwaltet. Als während des kalifornischen Goldrausches Tausende auf dem Weg nach Westen durch die Wüsten am Großen Salzsee zogen, kam es zu Streitigkeiten zwischen Mormonen und Andersgläubigen. Ein von Mormonen verübtes Massaker an vorüberziehenden Siedlern im Jahre 1857 führte sogar zum "Krieg um Utah". Washington schickte Truppen, die Führer der Mormonen gingen in den Untergrund.

Daß Utah nahezu fünfzig Jahre auf die Aufnahme in die Union warten mußte, hatte weniger religiöse als moralische Gründe. Als Mormonen lehnten Youngs Gefolgsleute die Bibel, Alkohol, Kaffee und Nikotin ab, sie leisteten sich aber die Vielweiberei - für die damaligen Pioniere des amerikanischen Westens ein schier unlösbarer Widerspruch. Erst nachdem die mormonische Kirche offiziell von der Polygamie Abstand genommen hatte, wurde Utah im Jahre 1896 als fünfundvierzigster Bundesstaat in die Union aufgenommen. Obwohl die Vielweiberei von der Kirche abgelehnt wird und laut Verfassung des Bundesstaates untersagt ist, wird sie immer noch - wenngleich insgeheim - praktiziert. Genaue Zahlen sind nicht bekannt, aber angeblich leben mehr als 30 000 Menschen in Utah in polygamen Gemeinschaften.

Allerdings ist das Land auch ohne offizielle Vielweiberei der fruchtbarste Bundesstaat in Nordamerika. Weil Familie und Nachkommen die Angelpunkte des Mormonismus sind, hat Utah eine hohe Geburtenrate von 22 Geburten je tausend Einwohner. Wohl deshalb ist der "Bienenkorb-Staat" - so der offizielle Beiname - der "jüngste" der Vereinigten Staaten. Mit einem Durchschnittsalter von weniger als 27 Jahren sind die Einwohner Utahs im Schnitt acht Jahre jünger als im übrigen Nordamerika. Dennoch ist Utah mit nur knapp 2,3 Millionen Einwohnern einer der bevölkerungsarmen Bundesstaaten.

Wegen der geringen Einwohnerzahl hat Utah nur fünf gewählte Vertreter in Washington. Kalifornien, der bevölkerungsreichste Bundesstaat, hat im Vergleich dazu 54 Vertreter auf dem Kapitolhügel. Zwei republikanische und ein demokratisches Kongreßmitglieder stimmen für Utah im Repräsentantenhaus ab. Zu dem Trio gehört auch James Hansen, der den Wahlkreis von Salt Lake City 22 Jahre lang im Kongreß vertreten hat, aber mit Ende der Legislaturperiode nicht wieder antreten will. Im Senat vertreten zwei Republikaner den Staat. Trotz seines Alters von fast 70 Jahren ist Robert Bennett noch ein Greenhorn, seine zweite Wahlperiode beginnt gerade. Orrin Hatch ist dagegen ein alter Hase. Seit mehr als 25 Jahren gehört er dem Senat an. Bevor die Demokraten die Mehrheit in dieser Kammer übernahmen, war er Vorsitzender des wichtigen Justizausschusses, dem er noch heute als führender Republikaner angehört.

Alle fünf gewählten Vertreter Utahs in Washington sind Mitglieder der Kirche der Heiligen der Letzten Tage. In der Landesversammlung und im Senat des Bundesstaates beträgt der Anteil der Mormonen unter den Abgeordneten jeweils mehr als 80 Prozent. Auch Gouverneur Michael Leavitt und der größte Teil seiner Kabinettsmitglieder sind Mormonen. Diese Zusammensetzung spiegelt zwar den Anteil der Mormonen an der Bevölkerung Utahs wider - er beträgt mehr als drei Viertel -, aber wegen der Dominanz der Mormonen in den Regierungsämtern muß sich Utah immer wieder den Vorwurf gefallen lassen, die Kirche bestimme die Politik des Bundesstaates.

Die Bevölkerung ist sehr ungleichmäßig über den Bundesstaat verteilt. Mehr als drei Viertel aller Einwohner leben entlang der Wasatch-Front, einem etwa hundert Kilometer langen Korridor zwischen Salzsee und den Wasatchbergen. Er beginnt im Norden in Ogden und endet bei Provo im Süden. Die Hauptstadt Salt Lake City liegt in der Mitte. Allein in jenem Landkreis, zu dem die Stadt am Salzsee gehört, lebt etwa ein Drittel der Bevölkerung Utahs.

Abgesehen von der Wasatch-Front und einigen Ortschaften entlang der beiden einzigen den Staat kreuzenden Autobahnen, ist das 217 000 Quadratkilometer große Utah weitgehend unbewohnt. Ähnlich wie in Nevada gehört das meiste Land im elftgrößten amerikanischen Bundesstaat der Bundesregierung, nämlich 65 Prozent. Zu diesen "Federal Lands" gehören nicht nur fünf Nationalparks, mehrere mit den Parks vergleichbare Nationalmonumente sowie zahlreiche ausgedehnte Staatswälder. Auch ein großer Fliegerhorst nördlich von Salt Lake City und ein riesiger Truppenübungsplatz südlich des Salzsees - auf dem unter anderem Chemiewaffen vernichtet werden - gehören zu den Liegenschaften des Bundes.

Trotz aller Geschäftigkeit der Mormonen zählt Utah zu den ärmsten Bundesstaaten. Mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von 23 000 Dollar liegen die Einwohner Utahs an 45. Stelle auf der Einkommensskala amerikanischer Bundesstaaten. Die Bauindustrie sowie das verarbeitende Gewerbe spielen neben dem Bergbau eine große Rolle in der Wirtschaft. Einen wichtigen Beitrag liefern auch die Staatsaufträge aus Washington. So werden nördlich des Salzsees, unweit der Stelle, an der 1869 die erste transkontinentale Eisenbahnlinie fertiggestellt wurde, Motoren für Interkontinentalraketen hergestellt. Aus der gleichen Fabrik stammen die Zusatztriebwerke für die Flotte der amerikanischen Raumtransporter.

Der größte Wirtschaftszweig Utahs ist der Tourismus. Im Jahre 2000 gaben etwa 17 Millionen Touristen in diesem Staat 4,25 Milliarden Dollar aus. Die bizarren Steinskulpturen im Arches Nationalpark, die tiefen Erosionsrinnen in den wüstenhaften Canyonlands und die uralten Sandsteinformationen im Zion Canyon ziehen Naturliebhaber und Wanderer an. Diese Formationen werden noch von Tausenden kleinerer Steinpyramiden im Bryce Canyon in den Schatten gestellt. Nicht zuletzt ist Utah auch Geburtsort der radikalen Umweltbewegung. Vor mehr als 30 Jahren sabotierten Naturschützer immer wieder den Bau des Glen-Canyon-Dammes. Die Staumauer liegt zwar nahe der Ortschaft Page im Nachbarstaat Arizona. Sie staut aber den Colorado in Utah zum Lake Powell auf. Den Widerstandskämpfern gegen den Eingriff in die Natur hat Edward Abbey mit seinem Roman von der "Monkey Wrench Gang" ein literarisches Denkmal gesetzt.

http://faz.net/IN/INtemplates/faznet/default.asp?tpl=central/print.asp&doc={05B67228-62B4-4E4D-9A15-7B7B5C6EC7D6}

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