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zum Thema Zeitungsartikel über die Mormonen
Seite erstellt am 26.4.24 um 17:05 Uhr
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der Beitrag:
Verfasser: Gunar
Datum: Samstag, den 9. Februar 2002, um 5:27 Uhr
Betrifft: Die Heiligen von Salt Lake City

Berliner Zeitung
Samstag, 09. Februar 2002

Die Heiligen von Salt Lake City

Im Tal der Winterspiele gehören Geschäfte unter Freunden zum guten Ton, aber man spricht nicht darüber

Jens Weinreich

Rebecca Cecil stammt aus einer Traumfabrik. In Las Vegas ist sie aufgewachsen. Dort hat sie Hotelwirtschaft von der Pike auf gelernt und in einigen der berühmten Herbergen gejobbt. In all diesen kitschigen Prachtbauten mit Tausenden von Zimmern, über die sie heute nur noch lachen kann. Denn vor einem Jahr ist sie einen Bundesstaat weiter gezogen. Von Las Vegas, in Nevada, nach Salt Lake City, in Utah. Und wieder arbeitet sie in einem Hotel. Einem ganz noblen. Der ersten Fünf-Sterne-Absteige der Stadt. Ein 200 Millionen Dollar teures Luxus-Objekt aus weißem Granit. Jenem Granit, aus dem auch der Tempel der Mormonen-Kirche errichtet wurde. Oder die nagelneue Versammlungsstätte der Mormonen, die man sanft in den Capitol Hill hineingepflanzt hat. Oder das Rathaus. Und andere prägende Gebäude der Stadt. Der weiße Granit gibt Salt Lake City eine Art Corporate Identity. Die Stadt am Salzsee, die sich immer weiter in die Wüste ausdehnt, weil die Wasatch-Berge im Norden und Osten und der Salzsee im Nordwesten das Wachstum begrenzen.
Rebecca Cecil sagt, sie fühle sich wohl in Salt Lake City. Und sie sagt, dass sie ihren Job liebt. Sicher muss man so etwas von sich geben, wenn man als PR-Direktorin in einem der teuersten Hotels der Welt beschäftigt ist. In diesem Haus ist das Beste gerade gut genug. Französisches Kirschholz überall, dicke Wollteppiche aus England, Marmor aus Carrara, Kristall-Lüster aus Murano. Unter den vielen Kostbarkeiten hat Miss Cecil ein Lieblingsstück. Es ist ein mehrere Meter hoher Spiegel, verziert mit Meißner Porzellan. "Mister Holding hat den für zwei Millionen Dollar gekauft", erzählt Cecil, fast ein bisschen stolz. Dreizehnmal ist Robert Earl Holding, der Besitzer des Hotel Grand America, mit seinen Innenarchitekten um die Welt gereist. Er hat Dutzende der besten und teuersten Absteigen inspiziert. "Er wollte alles perfekt haben. Mister Holding kümmert sich noch heute um jedes Detail."

Earl Holding, 75 Jahre alt, streng gläubiger Mormone, Milliardär, läuft gern mit Nike-Turnschuhen umher und ordnet mitunter sogar die Blumen in den riesigen Vasen aus chinesischem Porzellan. Mit dem Hotel Grand America hat er sich in Salt Lake City ein Monument geschaffen, das an den Palast des rumänischen Diktators Nikolae Ceaucescu erinnert, den sich dieser in Bukarest errichten ließ.

Earl Holdings Refugien werden bis Ende Februar und darüber hinaus enorm von den Olympischen Winterspielen profitieren. In Snowbasin, seinem jungfräulichen Ski-Ressort, finden der olympische Abfahrtslauf und der Super-Riesenslalom statt. Danach wird Snowbasin weiter zu einer Luxusanlage ausgebaut. Auch Holdings Tankstellenkette Sinclair profitiert vom Olympia-Verkehr. Sein neues Hotel ist ausgebucht, genau wie das alte Vier-Sterne-Hotel auf der anderen Seite der Main Street von Salt Lake City - das Little America. Dort residieren die Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees (IOC).

Ohne Zweifel, die Geschäfte laufen gut. Holdings PR-Chefin führt ihre Gesprächspartner durch eine der drei Präsidenten-Suiten im 24. Stock. 4 500 Dollar - pro Nacht selbstverständlich - kosten die edlen Etablissements, und sie werden während der Winterspiele von ganz wichtigen Menschen bewohnt. Einer davon heißt George W. Bush, ist ein Freund von Holding, der schon mal in dessen Privatjet fliegt und für Wahlkampagnen Spenden empfängt. Es ist also ein leibhaftiger Präsident, der da nach der Eröffnungsfeier im Grand America nächtigen soll. "Schauen Sie mal", ruft Cecil, "das ist die Küche. Ist die nicht toll? Und hier hat der Butler seinen Kücheneingang. Ganz dezent, damit er die Partys da drinnen nicht stört."

Wenn Bush wieder abgereist ist, bleibt das Grand America den Sponsoren und Super-VIP’s der so genannten olympischen Bewegung reserviert. Auch Jack Welch wird vorbeischauen, der Chef des Konzerns General Electric, dem der Fernsehsender NBC gehört. NBC hat für die Ãœbertragungsrechte an Olympischen Spielen bis zum Jahr 2008 mehr als 2,5 Milliarden Dollar gezahlt. Gäste vom Kaliber eines Jack Welch oder des NBC-Sportdirektors Dick Ebersol sollen sich wohl fühlen im besten Haus am Ort. Etwa die Hälfte der 775 Zimmer hat NBC gebucht.

"In Las Vegas ist alles künstlich", sagt Cecil, "da ist alles reine Illusion." Im Grand America Hotel jedoch sei alles echt. "In Las Vegas können Sie mit einem Kugelschreiber durch die Wand stechen. Alles nur Pappe. Hier geht das nicht. Aber Vorsicht, lassen Sie bloß ihre Kulis stecken, die Tapete ist handgeschöpft." Rebecca Cecil, eine blonde Endzwanzigerin, gibt sich wirklich alle Mühe, die Gäste zu unterhalten. Doch eigentlich sind die ja da, weil ihnen versprochen worden war, ein paar Worte mit Earl Holding wechseln zu können. Holding selbst hatte am Vortag bei einem Smalltalk in der Lobby diese Hoffnung geschürt. Dabei soll er in seinem Leben nur drei Interviews gegeben haben. Aber Olympia ist vielleicht etwas anderes? Lockert etwa die Gewissheit eines weiteren grandiosen Geschäftes die Zunge eines Mannes, der stinkreich ist und dennoch - wie sein ehemaliger Mitarbeiter Hans Turnovszky sagt - "jeden Abend daheim die Karotten zählt".

Wer also ist dieser Robert Earl Holding? Rebecca Cecil muss irgendwann mal seine Lebensgeschichte auswendig gelernt haben. Schnell und routiniert leiert sie die Stationen der Tellerwäscherkarriere herunter. Wenn alles auf der Welt nur so einfach wäre wie in Amerika: Boy aus einfachen Verhältnissen arbeitet hart, findet zum Glauben und tritt in die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage ein, übernimmt als junger Mann eine Orchideen-Farm in Wyoming, saniert das Objekt und kauft sich vom ersten Profit gleich seine erste Tankstelle, zügig baut er sein Tankstellennetz aus, nutzt bald darauf die Pleite eines Öl-Giganten, um sich mit geborgten Dollars - nie wieder lieh er sich später Geld - günstig einige Raffinerien zu erwerben, zahlt tapfer sein Zehntel an die Mormonen-Kirche, steigt dann auch ins Immobiliengeschäft ein, gründet eine Hotelkette, erwirbt billig den Wintersportort Sun Valley in Idaho, den er zum Treff des Jetset und einem einzigartigen Profitcenter umgestaltet - puh, so geht das in einem Singsang fort. Miss Cecil ist gar nicht mehr zu stoppen. Der Boss selbst aber bleibt leider unabkömmlich an diesem Nachmittag.

Stattdessen kommt nur Mark Hodgdon vorbei, der Generalmanager des Grand America. "Yes, Mister Holding hat eine große Vision für unsere Stadt. Er ist ein wunderbarer Mann", versichert Hodgdon ungefragt. Dann dreht er ab in seinem 1 000-Dollar-Anzug. Glaubt man Hodgdon, dann muss Robert Earl Holding so etwas wie ein Heiliger sein. Etwa so unfehlbar, einzigartig und weise wie sein 92 Jahre alter Freund Gordon E. Hinckley, der Führer der Mormonenkirche.

Hinckley wird im Sprachjargon dieser sektenähnlichen Glaubensgemeinschaft als "Prophet, Seher und Verkünder" bezeichnet. Zweimal im Jahr, im April und im Oktober, geruht er in seiner für 250 Millionen Dollar errichteten, monströsen Versammlungshalle zum Volk zu sprechen. 27 000 Menschen lauschen dann gebannt, schließlich sind die Worte des greisen Propheten als Gesetz aufzufassen. Als Hinckley beispielsweise vor zwei Jahren dazu aufforderte, freiwilligen Dienst für das olympische Organisationskomitee SLOC zu leisten, meldeten sich umgehend 47 000 Menschen schriftlich und mündlich im SLOC-Hauptquartier. So ist das in Salt Lake City. Die Kirche bestimmt das gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Leben. Jeder neunte Einwohner Utahs ist Mormone. Aber offiziell hat die Kirche nichts mit der Olympiaausrichtung zu tun.

Irgendwann ist Rebecca Cecil in einer Tür verschwunden, es muss ein Büro des Patriarchen sein. Flink kehrt sie mit einer unbefriedigenden Auskunft zurück. "Das Letzte, was man mir sagen konnte, ist, dass Mister Holding das Flugzeug nach Sun Valley genommen hat." Die Gulfstream steht immer aufgetankt bereit. Nicht nur für ihn. Es könnte ja auch sein, dass Gattin Carol mal eben in Paris einen wichtigen Einkauf tätigen muss. Gut, wenn man beweglich ist. Und wenn man neuerdings noch eine zweite Maschine zur Verfügung hat, dem Sultan von Brunei abgekauft.

Earl Holding mag keine Verabredungen. "Mister Holding möchte sich nach niemandem richten", sagt seine PR-Managerin, "er bestimmt selbst, wann er jemanden sehen will. Er ist da oder nicht, er taucht auf, wann er will." Schade eigentlich, man hätte doch so viele Fragen an Mister Holding gehabt. Etwa die, wie sehr es ihn kränkt, dass er vor drei Jahren aus dem olympischen Organisationskomitee zurücktreten musste, weil er seine vermeintlich ehrenamtliche Tätigkeit zu sehr mit eigenen Geschäftsinteressen verquickte: Weil er dafür gesorgt hat, dass alpine Wettbewerbe in seinem Ressort stattfinden; weil er organisierte, dass mit 15 Millionen Dollar aus Bundesmitteln eine vierspurige Straße hinauf nach Snowbasin gebaut worden ist. Da wäre auch die Frage, mit welchen Tricks es ihm gelang, die Proteste der Umweltschützer abzuwehren. Oder was er vom Vorschlag des republikanischen Senators John McCain hält, der kürzlich eine Untersuchungskommission gefordert hat, die überprüfen soll, wie und warum mit jenen vielen Hundert Millionen Dollar, mit denen Washington die Olympischen Winterspiele alimentiert, Männer vom Schlage Holdings noch reicher geworden sind. Und schließlich die Frage nach Holdings Rolle im IOC-Bestechungsskandal. Hat er selbst auch Bargeld gezahlt für die Stimmen der IOC-Mitglieder, oder erschöpfte es sich damit, dass er die ehrenwerten Olympier in seinen Hotels und Ressorts nächtigen und verköstigen sowie in seinem Privatjet umherfliegen ließ?

Rebecca Cecil möchte man nur eine wohl formulierte, höfliche Frage zumuten. Hat es ihren Chef nicht sehr verletzt, was da alles über ihn geschrieben worden ist - und McCain erst, dieser Kriegsveteran, hat der nicht gesagt, Olympia habe "die Milliardäre noch reicher" gemacht. "Übermäßig, schändlich und unanständig" sei dies, wetterte McCain, der Kriegsveteran. Ja, Miss Cecil sind diese bösen Worte nicht neu. "Das ist doch dumm, da wird aus nichts ein Drama gemacht", gibt sie kund. "Mister Holding hat verdammt viel für das Valley und Salt Lake City getan. Er hat Ressorts und Hotels gebaut. Er hat das Risiko getragen. Er trägt den Spirit Amerikas in sich." Mehr wolle sie dazu eigentlich nicht sagen. "Auch Mister Holding spricht nicht gern über solche Dinge. Er blickt immer nur nach vorn."

Sogar das IOC-Sponsorenblatt "Sports Illustrated" hatte kürzlich gelästert, in Salt Lake City wickelten sich Bürgermeister, Gemeindediener, Kirchenvertreter und Unternehmer, "die olympische Flagge um die Hüfte" und schanzten sich gegenseitig öffentliche Gelder für ihre privaten Unternehmungen zu. Alles unter dem Deckmäntelchen Olympias. Zu jenen Männern zählen Robert Garff, der wie Holding aus dem SLOC zurücktreten musste; Ian Cumming, dem das Skiressort Park City gehört; Edgar Stein jr., der Besitzer des Ressorts Deer Valley; Roger Penske und C.C. Myers, auf deren Gelände sie Skisprungschanzen und die Rodelbahn errichten ließen; oder auch Larry Miller, der viele Geschäfte macht und beispielsweise das Basketball-Team der Utah Jazz besitzt.

Es darf davon ausgegangen werden, dass sich diese Herrschaften köstlich amüsiert haben, als Senator McCain mit seinem Vorschlag einer Untersuchungskommission kam. Insgesamt hat der Kongress 1,5 Milliarden Dollar Steuergelder in die Rocky Mountains gelenkt. Doch Mitt Romney, Organisationschef der Winterspiele und Mormone im Range eines Bishops, wies den Vorwurf der unsauberen Insidergeschäfte strikt zurück. Auch ein anderer Sportfreund und Vertrauter Holdings sprang in die Bresche: James Easton, der in Salt Lake City beheimatete neue IOC-Vizepräsident. "Bullshit" seien McCains Attacken gegen Holding, behauptete Easton, der im Übrigen selbst in den IOC-Bestechungsskandal verwickelt war. "Bullshit", ein Wort, das man auch in einer anderen Sprache versteht.

McCain hätte sich doch eigentlich nur bei seinem Republikaner-Kollegen Orrin Hatch erkundigen müssen, wie das so läuft im Tal des Großen Salzsees. Hatch, selbst Mormone, kassiert seit Jahren von Holding und anderen Spenden. Im Gegenzug beschleunigte er beispielsweise einen spektakulären Grundstücks-Deal durch eine Gesetzesänderung im Kongress. Ein Tauschgeschäft der besonderen Art. Gegen alle Proteste von Umweltschützern erhielt er nach achtzehn Jahre währenden juristischen Auseinandersetzungen die Liegenschaften um Snowbasin - und gab dafür wertloses Land her. Wenn Hatch mal nicht helfen kann, steht Utahs Gouverneur Mike Leavitt dem Glaubensbruder Earl Holding zur Seite. Auch Leavitt wird von Holding mit Wahlkampfspenden entlohnt.

So läuft das in Salt Lake City, der Olympiastadt, der Zentrale der Kirche der Heiligen der letzten Tage. Eine Hand wäscht die andere. Geschäfte unter Freunden gehören zum guten Ton. Man wickelt sie ab, die diskreten Deals, spricht aber nicht gern darüber. Schließlich dient alles irgendwie einem guten Zweck. Dem Gemeinwohl, den Zielen der Kirche, wahlweise auch Olympia - jedenfalls in den nächsten zwei Wochen noch.

Tja, nun habe es ja leider nicht mit einem Treffen mit Earl Holding geklappt, sagt Rebecca Cecil zum Abschied. "Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?" Biografische Angaben von Holding wären nicht schlecht, antworten die Gäste. Da stutzt die PR-Angestellte: "Wozu brauchen Sie denn das, ich habe Ihnen doch schon alles erzählt", entgegnet Miss Cecil, "aber gut, wenn Sie es möchten, gebe ich Ihnen auch ein paar biografische Details. Ich muss das aber erst mit den Anwälten absprechen. Sie verstehen." Wir verstehen. Oder auch nicht. Die Anwälte müssen jetzt unbedingt beraten. Amerika ist schließlich ein freies Land.

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