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zum Thema Zeitungsartikel über die Mormonen
Seite erstellt am 28.3.24 um 18:29 Uhr
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der Beitrag:
Verfasser: Gunar
Datum: Freitag, den 8. Februar 2002, um 14:52 Uhr
Betrifft: Welt: Eine Stadt, in der Schnee weiß ist oder weg

Die Welt
08. 02. 2002

Eine Stadt, in der Schnee weiß ist oder weg

Saubere Luft, fröhliche Menschen, verhüllte Wolkenkratzer. Nur Prostituierte stören das Bild in Salt Lake City

Von Catrin Barnsteiner

In der Nacht zum Samstag (2 Uhr MEZ, live bei der ARD) werden in Salt Lake City die Olympischen Winterspiele eröffnet. Im Countdown brachte Sie die WELT mit einer Serie in Olympiaform und versorgte Sie mit Buntem und Hintergründigem. Im elften und letzten Teil wird die Hauptstadt der Mormonen vorgestellt, über der Olympia aufgeht wie eine große Sonne.

Der Schnee in Salt Lake City ist entweder weiß oder weg. Schmutzig ist er nicht. Nichts ist schmutzig in Salt Lake City, wenn man vielleicht von den Zigarettenstummeln absieht, aber die liegen fast ausschließlich vor dem Pressezentrum oder den Hotels - wer im Pressezentrum raucht, dem wird die Akkreditierung entzogen, und wer im Hotel raucht, dem der Zimmerschlüssel -, ja, und im Pressezentrum und den Hotels, da sind Europäer drin, und deshalb ist auch alles klar. Therese Hillbyne, die in Salt Lake City wohnt, sagt das. Es klingt entschuldigend, die Journalisten haben schließlich die Olympischen Spiele mitgebracht. So sieht sie das. Olympia ist über der Stadt aufgegangen wie eine eigene große Sonne - man genießt sie, denn man weiß, dass sie bald wieder verschwunden sein wird.

Vielleicht ist Salt Lake City dieser Tage deshalb voll von Menschen, die nur fröhlich sind: Der Polizist mit der Maschinenpistole, der an der roten Ampel steht, fragt, ob man zufrieden ist mit Amerika. Die Studentin, die den Fußgängerüberweg kontrolliert und innehält, um eifrig mit dem Fuß eine Öllache von dem neuen Gullideckel mit der Aufschrift "Salt Lake City Olympic Games 2002" wegzuschmieren. Oder der junge Mann, der wie alle freiwilligen Helfer eine Jacke mit Olympia-Logo drauf trägt, die so neu ist, dass sie noch steif fällt und knistert. Er kontrolliert in der Sicherheitsschleuse einen Computer, und als er ihn wieder zuklappt, lobt er die schöne, handgestrickte Mütze des Besitzers.

Therese Hillbyne (44) mag die Stadt, man kann sich auf sie verlassen, sagt sie. Im letzten Jahr wurde sie zu dem Ort mit der höchsten Lebensqualität in den USA gewählt. Salt Lake City liegt in Utah, und Utah hat die dritthöchste Lebenserwartung im ganzen Land. Es gibt in Salt Lake City Tassen, auf denen steht: Sei fröhlich und trink, denn morgen könntest Du in Salt Lake City sein. Die Luft gilt als die sauberste im ganzen Land - auch deshalb sei sie hierher gezogen, sagt Therese Hillbyne, na ja, und wegen einem Mann. Aber die Luft, die ist immer noch gut.

Therese Hillbyne freut sich auf die Olympischen Spiele, von denen sie so vergnügt spricht, als wären sie ein schmutziges kleines Abenteuer, ein Kitzel. Erlaubt, weil schließlich zeitlich begrenzt. Schrittweise haben sie Salt Lake City verändert, sorgfältig wurden einige der hässlichsten Wolkenkratzer verhüllt: Jetzt schmücken sie riesigen Fahnen mit berühmten Olympioniken. Schon im Dezember wurde der Alkoholausschank vorsichtig gelockert. Therese Hillbyne, die in einem Supermarkt arbeitet, ist keine Mormonin, aber sie schätzt die Mormonen, wie man es schätzt, neben einer Polizeiwache zu wohnen.

Die Mormonen, die man auf dem Platz vor ihrem Tempel trifft, sind von einer Freundlichkeit, die es nur in Dörfern, eigentlich nur in Dörfern in Filmen gibt. Wer sie trifft, glaubt, dass die Welt gut ist - einfach weil solche Menschen sonst nicht dort leben würden. Mehr als die Hälfte der Einwohner Salt Lake Citys gehören dem Glauben der "Letzten Tage" an. Der Glaube verbietet Alkohol, also gibt es den nur in wenigen, staatlich kontrollierten Geschäften. Der einzige Laden auf der Main Street, der Zigaretten verkauft, hat ein engmaschigeres Gitter als der Waffenladen einen Block weiter. Mitt Romney, der Chef des Organisationskomitees in Salt Lake City, ein Mormone, hatte alle Hände voll zu tun, Journalisten zu beruhigen: Jawohl, es gibt Bier, und es gibt auch Kaffee und Tee. Und Bars und Table Dance. Es ist nicht so, dass Salt Lake City eine langweilige Stadt wäre. Vielleicht sieht es nur so aus, weil die Menschen so stolz auf die Dinge sind, die so sind wie der Schnee: weiß oder weg.

Und Salt Lake City wäre nicht Salt Lake City, wenn es nicht auch die erste Gastgeberstadt in der Geschichte der Olympischen Spiele wäre, die während der Wettkämpfe eine viertel Million "safer sex kits" mit Kondomen in der Öffentlichkeit verteilt. Ebenfalls im Päckchen enthalten sind Lippenbalsam und Handwärmer. Doch es gibt immer wieder neuen Grund zur Sorge vor den Olympischen Spielen: Seit mehreren Tagen verzeichnet die örtliche Polizei einen Zuwachs von Prostituierten, die von Großveranstaltung zu Großveranstaltung ziehen. Die Rede ist von 30 Prozent mehr als üblich. Wie es heißt, haben die Polizisten im Vorfeld der Spiele hart durchgegriffen, um möglichst viele von der Straße zu holen. Dem Image wegen. Aus demselben Grund hat das Organisationskomitee wohl auch etwa 600 Behelfsquartiere für Obdachlose auf die Beine gestellt: "Aber so viele werden wir wohl gar nicht brauchen", war der schnell hinterhergeschickte Kommentar.

Eine Bank an der Main Street hat die Olympischen Spiele auf ihre eigene Weise interpretiert: "Erregung", erklärt sie unter dem Foto eines Skispringers, "das ist wie ein Konto ohne Kontoführungsgebühren". Und "Schönheit", steht neben einer Eistänzerin, "das sind unsere supergünstigen Zinsen". In einer Stadt, in der Schnee entweder weiß ist oder weg, stimmt das vielleicht auch.

http://www.welt.de/daten/2002/02/08/0208spol312878.htx?print=1

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