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Beitrag 2 von 81
zum Thema Zeitungsartikel über die Mormonen
Seite erstellt am 29.3.24 um 5:59 Uhr
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der Beitrag:
Verfasser: Gunar
Datum: Montag, den 4. Februar 2002, um 0:17 Uhr
Betrifft: Welt: Das Massaker von Mountain Meadows

Die Welt
04.02.2002

Das Massaker von Mountain Meadows

Die Winterspiele bringen uns auch alles, was wir noch nie über die Mormonen wissen wollten
 
Von Uwe Schmitt

Richtete eines Tages Mekka die Sommerspiele aus und - um die Tollkühnheit noch weiter zu treiben - eine Olympiade darauf Jerusalem, sie könnten Salt Lake City den Titel nicht mehr streitig machen. Einen etwas obskuren Titel, bei Zeus: Niemals seit den göttergeweihten Wettkämpfen der Antike hat eine Religion den Austragungsort von Olympischen Spielen so bestimmt wie die "Church of Jesus Christ of Latter-day Saints" (Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage), vulgo die Mormonen und ihr inoffizieller Gottesstaat Utah. Ein ganz und gar selbsterwähltes Volk, fünf Millionen im erwählten Land Amerika, sechs Millionen über den Erdkreis verstreut, gibt der Jugend der Welt die Ehre.

Pragmatische "Heilige", wie sie sich nennen, die den Genuss von Tabak, Alkohol, Koffein, vorehelichem Sex und (bis auf 30.000 fundamentalistische Genießer in ländlichen Kommunen) die Vielehe verschmähen, werden vorführen, wie wunderbar Amerika sein könnte, wenn es nur halb so anständig und arbeitsam, so weiß und fromm (allerdings auch so homophob) wäre wie die Zweidrittelmehrheit der Mormonen in Utah.

Muss man also fürchten um die reine Gier, Korruption, Verderbtheit, welche ein durchkommerzialisiertes Säkular-Spektakel wie die Olympischen Spiele neben sportlichen Superlativen anziehen? Nicht doch. Auch die Sünder werden gelitten sein in Salt Lake City. Und sie werden in sogenannten Klubs ein Dünnbier namens "Polygamy Porter" zu schlucken bekommen, das mit launigen Werbespots ("Warum nur eines? Nimm noch eins nach Hause mit für Deine Frauen!") beweist, dass Mormonen Spaß verstehen.

Hoch und heilig hat Gordon B. Hinckley (91), Präsident und Prophet der Mormonen, im übrigen versprochen, das Missionieren der Gäste zu unterlassen. Wenngleich er in einer Rede vor Gläubigen im Juli 2001 es sich nicht verkneifen konnte, an die Prophezeiung ihres mosesgleichen Exodusführers Brigham Young zu erinnern, "Könige und Kaiser und die Edlen und Weisen der Erde" würden dereinst seine Stadt am Great Salt Lake besuchen.

Kein Zweifel, wir werden in den nächsten Wochen mehr über die Mormonen erfahren, als wir je zu wissen begehrten. Kircheneigene PR-Agenturen haben die Journale der Welt schon vor Monaten so mit schwerem Material eingedeckt, darunter mit Vorschlägen für 100 "kirchennahe Themen", dass das Stöhnen über die "Mo-lympics" umging. Dabei war es ihnen nur darum zu tun gewesen, "Polygamie als must-do Story" (Poly - mpics?) zu verhindern, wie ein PR-Agent erklärte.

In den Themenvorschlägen aus Salt Lake City fehlt naturgemäß, was einem amerikanischen PR-Geist so fremd ist, wie sich bei den Taliban zu verdingen. Nämlich alle Fragen nach der ironischen Koinzidenz, dass nach dem 11. September in der Tempelstadt eines fundamentalistisch-christlichen Kults die Welt Frieden und Spiele sucht, während Amerika Krieg führt gegen fundamentalistisch-islamische Kämpfer, die im Namen des Propheten töten.

Dem letzten von Mormonen begangenen Massaker bei "Mountain Meadows" fielen 120 Durchreisende nach Kalifornien zum Opfer. Aber das war im Jahre 1857. Die Bluttat, in der Doktrin bis vor kurzem geleugnet, dürfte außerhalb Utahs so verjährt und vergessen sein wie die Verfolgung, Vertreibung, Verteuflung der Mormonen, die 1846 im Marsch der Siebzehntausend auf einem 1300-Meilen-Treck von Illinois nach Westen mündeten. Bei allem, was man an Zweifeln an Erleuchtungen, Goldtafel-Geschenken, Hieroglyphen-Übersetzungen und auch dem Charakter des Joseph E. Smith vorbringen mag - ein Terroristenführer war der Religionsstifter nicht. Mit Osama Bin Laden teilt er nur die Vielehe. Das Mormonentum ist die netteste und kultivierteste Erwähltheitsgewissheit, die man sich wünschen kann. Und nur in Amerika, dem gelobten Land für (christliche) Religionsflüchtlinge aller Sekten, ist genug Raum, Toleranz, Geld und Gottesfurcht, um lauter erwählten und einzigartigen Geschöpfen ihr Paradies zu geben.

Es mag zu den besonders törichten Fehlern Osama Bin Ladens zählen, von Europa auf die Neue Welt zu schließen. Den Puritanismus misszuverstehen und über Amerikas raffgierigem Materialismus den religiösen Erwähltheitswahn zu unterschätzen. Don’t mess with God’s own Country! Nicht Gläubige, sondern Atheisten sind eine bedrohte Minderheit in Amerika, seit Thomas Jefferson in der Unabhängigkeitserklärung den "Schöpfer" anrief und zugleich auf dem Paradoxon bestand, in der Verfassung den Allmächtigen nicht zu erwähnen, stattdessen eine Brandmauer, "a wall of separation between church and state", zu errichten.

Der nicht unerhebliche Unterschied zwischen Gottes Staat und einem Gottesstaat wird von Amerikas Gerichten definiert und verteidigt. Bittgebete eröffnen Sitzungen des US-Supreme Court und des Kongresses, deren Kammern sich mit Steuermitteln je eigene Kapläne (nie katholische Priester) leisten. Aber es gibt höchstrichterliche Verbote von "Zwangsgebeten" vor Football-Spielen und den ausgehängten Zehn Geboten in Klassenzimmern. Amerikas Religionsfreiheit ist nicht Freiheit von Religion. Alle Kandidaten im letzten Präsidentschaftswahlkampf wetteiferten miteinander um göttliche Wahlhilfe. Es gewann Joe Lieberman, ein orthodoxer Jude, der seine Nation erwählt sah "von Gott und beauftragt von der Geschichte, ein Modell für die Welt zu sein". Erst als er behauptete, Moralität ohne Religion sei undenkbar, wehrten sich einige bekennende Ungläubige. Sie riskierten etwas. Organisationen wie "American Atheists" gelten als unpatriotisch, sie leben obskurer als Kommunisten und gefährlicher.

Es ist kaum gewagt zu behaupten, dass die Gedankenverbindung zwischen fundamentalistischem Islam und der fundamentalen Religiosität Amerikas sich eher Europäern erschließt. Was, wenn der US-Justizminister, ein frommer Anhänger der Pentecostal Church, "die Verschwörung des Bösen" besser kennt als die Grundrechte? Was, wenn John Ashcroft weder trinken noch tanzen darf, nicht Zeitungen liest noch fernsieht, aber nach seinem Glauben sehr wohl in Zungen reden könnte? Wem das nicht beunruhigend erscheint, wird an den Mormonen erst rechts nichts auszusetzen haben. Leo Tolstoi nannte ihre Lehre respektvoll "die amerikanische Religion", die ihm eher behage, weil sie aus der Erde gegraben, nicht vom Himmel gefallen sei. "Täuschung, Lügen für eine gute Sache", wie alle Religion.

http://www.welt.de/daten/2002/02/04/0204ku312022.htx?print=1

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