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Beitrag 4 von 81
zum Thema Zeitungsartikel über die Mormonen
Seite erstellt am 1.5.24 um 23:53 Uhr
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der Beitrag:
Verfasser: Gunar
Datum: Montag, den 4. Februar 2002, um 2:40 Uhr
Betrifft: SZ: Gottes tüchtige Hausierer

Süddeutsche Zeitung
Samstag, 2.2.2002

Peter Sartorius

Gottes tüchtige Hausierer

Die Erfolgsstory der Mormonen, die den Staat Utah und die Olympiastadt Salt Lake City zum Blühen gebracht haben

Von dort oben, von den Rockies, waren sie gekommen. Am 24. Juli 1847. Mit Planwagen nach ihrem großen Treck über die Ebenen Amerikas. Etwa 150 Männer, Frauen und Kinder waren es. Ausgepumpte Gestalten, auf den Beinen gehalten vom Glauben, dass sie den Ort ihrer Bestimmung finden würden, ihr Zion, wo sie ihren Tempel erbauen wollten. Angeführt wurden sie von ihrem Propheten, einem Mann namens Brigham Young. Als sie über dem Berg waren, öffnete sich vor ihren Augen ein weites Tal, das sich an seinem Ende, wo es in die Wüste übergeht, mit glitzerndem Wasser füllt. Brigham Young stieg mit den Seinen hinab, rammte seinen Stock in den Boden und sprach: „This is the right place.“

Man weiß, über welchen Pass sie gekommen waren, um Salt Lake City zu gründen, die Tempelstadt. Emigration Canyon ist der Gebirgseinschnitt später getauft worden. Es heißt, dort seien immer noch, anderthalb Jahrhunderte danach, die Furchen im Boden zu besichtigen, die von den Wagenrädern in den Erdboden gefräst worden waren. Sehen kann man es nicht, jetzt im Winter, wo alles verschneit ist. So beschränkt man sich darauf, die Bergflanken hinauf zu schauen und zu versuchen, sich in die Empfindungen der Siedler von damals zu versetzen, der Mormonen, wie man sie nannte und immer noch nennt, weil ihre Bibel das Buch Mormon ist, das ihnen auf goldenen Tafeln von dem Engel Moroni zur Kenntnis gegeben worden war.

Von hier unten will sich aber kein Gefühl für die Historie einstellen. Warum also nicht hinauffahren und sich dort dem Anblick des Tals hingeben, auch wenn es sich nicht mehr so darbietet wie einst, als hier Ödnis war? Aus Salt Lake City ist eine prosperierende Großstadt geworden. Eine Million Menschen – so junge wie kaum irgendwo sonst in Amerika – bevölkern das Valley mit der Metropole des Staates Utah als Zentrum. Selbstbewusst klettert die Stadt den Berg hinauf. Auf halber Höhe macht das Auge ein eindrucksvolles Gebäude aus, vielleicht ein Hotel oder ein Museum, einen Bau jedenfalls, der die Annahme zulässt, dass er der Allgemeinheit zugänglich ist. Man würde dort einen tollen Ausblick haben.Aber das Gebäude, so stellt sich heraus, ist weder Hotel noch Museum. Was dann? Ein Spalier von Skulpturen mit Schneehauben und Spitzbärten aus Eis durchschreitet man, hält inne an einem Glasportal, tritt ein, als sich niemand meldet, und steht in einem großen Raum mit tatsächlich prachtvoller Aussicht, aber auch gedeckter Abendtafel. Eine Frau kommt aus einer Tür und sagt, das sei ein Privathaus, Larry Millers Haus, und man befinde sich im Wohnzimmer.

Fehlstart? Eher Reporterglück bei der Suche nach dem, was das Wesen Salt Lake Citys ausmacht. Man ist dort gelandet, wo die Success story der Mormonen fortgeschrieben wird, in einer Stadt aber auch, die aus nichts als Widersprüchen zu bestehen scheint. Da ist noch immer diese naive Gläubigkeit aus der Pionierzeit. Aber sie paart sich mit gesundem Geschäftssinn. Da ist, des weiteren, die extreme Familienbezogenheit, die bekannte Sittenstrenge der Mormonen. Aber sie geht einher mit ungewöhnlicher Weltoffenheit. Und da ist, schließlich, ein Weltbild, das sich an biblischen Überlieferungen orientiert. Aber dies hindert die Mormonen nicht daran, sich fortschrittsgläubig im Cyberspace auf den Treck in die High-Tech-Zukunft zu begeben.

Larry Miller also. Nein, zunächst der Hinweis auf Alan Ashton, auf eine zweite zufällige Begegnung. Alan Ashton verkörpert noch mehr die Zukunft von Salt Lake City und Utah, er, ein stiller Professor der Computer- Wissenschaften, der einmal eine Software entwickelt hat, die zum Weltbest seller wurde, auch wenn sie am Ende von Bill Gates bei dessen Eroberungsfeldzug wieder aus den Laptops gedrängt wurde. Larry Miller hingegen machte auf klassische Weise sein Glück, in einer Tellerwäscherkarriere durch den Verkauf von Autos, immer mehr Autos, bis er Amerikas achtgrößter Autohändler geworden war.

Beide Männer haben sich schon zu Lebzeiten in Utah Denkmäler gesetzt. Larry Miller kaufte sich im Sportbusiness ein, baute für 71 Millionen Dollar in Salt Lake City das Delta Center, einen gläsernen Sportpalast mit mehr als 20000 Sitzplätzen, in dem er eine Basketballmannschaft aus Weltstars, seine Utah Jazz, aufspielen lässt. Alan Ashton hingegen spendierte seinen Landsleuten aus Dankbarkeit für das, was ihm Gott geschenkt hat, ein Erholungsgelände, für dessen Erschaffung er einen ganzen Wald aus Kanada nach Utah verpflanzen ließ. Und auch 200 Millionen Jahre alte Knochen ließ er ausgraben und um sie herum das größte Dinosaurier-Museum der Welt errichten – Jurassic Park neben einem Botanischen Garten und einem alles umschlingenden Golfplatz, auf dem schon die Weltelite Bälle geschlagen hat. Nur sonntags nie. Da bleibt der Platz geschlossen.Der Sonntag ist in Utah reserviert für Familie und Kirche, woran sich auch Larry Miller hält. Der Autohändler ist zwar sein eigener größter Basketball-Fan, aber am Sonntag, da bringt ihn keiner in ein Sportstadion.

So sind sie, die Mormonen. Wie sind sie denn? Was einem über sie, natürlich, als erstes in den Sinn kommt, ist dies, dass ihre Church of Jesus Christ of Latter-day Saints, die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, einmal der Polygamie das Wort geredet hat und dass manche die Vielweiberei auch heute noch praktizieren, exkommuniziert, als Abweichler, in sektiererischem Eifer. Und bekannt ist auch, dass die Mormonen in ihrer Strenge gegen sich selbst Genussmittel jeder Art ablehnen, von Tabak und Alkohol über Kaffee bis hin zum Tee, sofern der nicht aus Apfelblüten oder ähnlichem gekocht ist. Und weiter gehört zum Standardwissen, dass sie nach wie vor in reichlichem Maße Kinder zeugen, ihrem Gott zum Wohlgefallen. Alan Ashton hat elf und sein Bruder Steven sogar... Da hält der Professor zunächst inne und muss sein elektronisches Notizbuch aktivieren, ehe er die genaue Zahl ermittelt hat. Auf 19 Jungen und Mädchen kommt er, darunter sechs adoptierte, behinderte Kinder aus China, wo Steven Ashton in jungen Jahren zwei Jahre lebte, als er wie fast alle heranwachsenden Männer und viele junge Frauen für seinen Glauben auf Mission war.

Aber wer genauer hinschaut, entdeckt anderes, gleichfalls Wesentliches. Oder sagen wir: Wesenszüge, zum Beispiel den gescheiten Geist von Alan Ashton und die Energie von Larry Miller. Und beides hat Ursachen, die mit der wundersamen Geschichte der Mormonen zu tun haben. Deren Ursprung reicht ins Jahr 1823 zurück, als am Berg Cumorah im Staat New York dem 18-jährigen Bauernjungen Joseph Smith dieser Engel Moroni mit den Goldtafeln erschienen war. Neben viel Alttestamentarischem enthielten die Tafeln Berichte von den Heiligen der Letzten Tage, einem Volk, das schon in Frühzeiten nach Amerika aufgebrochen war, in Gottes ureigenes Land. Zum Prediger eines Glaubens wurde Smith, der nicht wie die anderen christlichen Religionen aus der Alten Welt importiert war, sondern ein originärer amerika nischer Glaube war, an dem, so müsste man annehmen, Amerika hätte Gefallen finden müssen. Aber die Wirklichkeit war anders. Joseph Smith und seine Anhänger wurden verfolgt, verjagt, wo immer sie sich niederließen und ihren Glauben zu leben versuchten. In Carthage in Illinois wurde Joseph Smith im Jahr 1844 als Märtyrer umgebracht, und die Mormonen mussten weiterziehen, jetzt unter der Führung Brigham Youngs. Als ihr neuer Prophet führte er sie in die Wüste, wie einst Moses die Hebräer nach dem Auszug aus Ägypten.

Der Geist, die Energie der Mormonen. Sie benötigten beides als Doping, um ihren Weg gehen zu können. Unter unsäglichen Anstrengungen brachen sie weißen Granit aus dem Fels der Rockies, schafften zweieinhalb Tonnen schwere Blöcke in Handkarren heran und bauten in Salt Lake City ihren Tempel. Durch ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem verwandelten sie das salzige Tal am Great Salt Lake in fruchtbares Land.Mechanismen entwickelten sie, die ihr Überleben als Gemeinschaft sicherten. Eine bis heute vorbildliche Form gegenseitiger Hilfe bauten sie auf, und durch ein intensives Bildungssystem speicherten sie mehr Wissen als andere in ihren Köpfen.

Zu einer besonderen Lebenstüchtigkeit haben sie sich herangebildet, wie man das auch von anderen Minderheiten kennt, die sich immer von neuem beweisen müssen. Und geholfen hat ihnen auf ihrem Erfolgsweg auch die spezielle Weltoffenheit, die aus ihrem heiligen Missionseifer resultiert, dem Hausieren für Gott an den Wohnungstüren überall in der Welt. Vom zwölften Lebensjahr an werden sie darauf vorbereitet, auf diese persönliche Herausforderung, die Lebensetappe und Lebensschulung gleichermaßen ist. Die zwei Jahre, die sie dann unterwegs sind, sind Zeit genug, Zuneigung zum fremden Land zu finden, einen polyglotten Geist zu entwickeln, eine fremde Sprache zu lernen und mit neuen Ideen heimzukommen.

Aber gleichwohl sind sie immer patriotische Amerikaner gewesen, in ihrem ganzen Eigensinn und mehr als ein halbes Jahrhundert lang im Konflikt mit dem Staat. Von Larry Millers Haus blickt man hinunter auf die Stadt, die sich, obwohl sie weiß Gott keine American Beauty ist, mit gleich zwei Kronen schmückt: mit den sechs als spitze Zacken aufragenden Türmen des Tempels der Mormonen und, dahinter, mit der mächtigen Kuppel des Capitols des Staates Utah. Aber wie lange haben sie nicht erbittert miteinander gerungen: der Staat und die Kirche! Im Jahr 1857 entsandte Washington ein Expeditionskorps nach Utah, um die Mormonen zu domestizieren und einen vom Staat ernannten Gouverneur einzusetzen. Hysterische Mormonen metzelten in einem berüchtigten Massaker 120 andersgläubige Siedler nieder. Utah schien in Flammen aufzugehen. Salt Lake City wurde zur aufgegebenen Stadt. Die Mormonen drohten, all das, was sie aufgebaut hatten, alle ihre Siedlungen, die ganze Stadt zu verbrennen, um dem einrückenden Militär nichts zum Konfiszieren zu lassen. Das Schlimmste wurde zwar verhütet, aber der Konflikt schwelte noch Jahrzehnte weiter. Gleichzeitig wünschten sich die Mormonen nichts sehnlicher, als aufgenommen zu werden in die Familie der amerikanischen Bundesstaaten. Aber da war die Polygamie, wie sie der Prophet vorlebte. Brigham Young brachte es auf 27 Ehefrauen. Es war nicht sittenlos, sondern Teil eines auf alttestamentarischen Überlieferungen beruhenden Gesellschaftsmodells der Kirche. Vom Staat jedoch wurde sie als Verbrechen deklariert. Erst 1890 gab die Kirche der Mormonen nach, auch wenn es zunächst lediglich bei der Empfehlung blieb, die Polygamie nicht mehr zu betreiben. Gleichwohl, der Weg war frei, Utah im Jahr 1896 als 45. Bundesstaat in die USA zu integrieren. Und welcher andere Staat wäre heute stolzer, ein Stern in der Flagge zu sein? Wo wehten die Sternenbanner seit dem 11. September 2001 pathetischer an Hauswänden, in Vorgärten, an Autoantennen als hier in Utah?

Da unten also liegt die Stadt mit ihren beiden Tempeln der Kirche und des Staates und den blockigen, scheinbar konzeptlos zusammengewürfelten Hochhäusern daneben, keine Schönheit, wie gesagt, aber funktional, mit Straßen, die bereits in der Pionierzeit in Überbreite angelegt worden waren, unter der Maßgabe Brigham Youngs, dass zwei Pferdefuhrwerke gleichzeitig und nebeneinander wenden konnten. Rechts und links der so geschaffenen Schneisen durch die Stadt ist nicht viel stehen geblieben aus der Siedlerzeit. Aber viel Neues ist in letzter Zeit hinzugekommen, zuletzt ein stahlblau schimmernder Hochhauspalast, in dem das Olympische Organisationskomitee residiert und ein supermodernes Einkaufsviertel hinter dem alten Bahnhof und neben Larry Millers Sportarena als Aufbruchsignal für die Zukunft nach den Olympischen Spielen. Einen Push erhofft man sich von ihnen wie im Jahr 1869, als in der Nähe von Salt Lake City der Golden Spike eingehämmert worden war, jener letzte Gleisnagel, der den Schienenweg aus dem Osten in den Westen Amerikas komplettierte und den Aufschwung ganz Utahs einleitete.

Eine merkwürdige Stadt, geschichtsbezogen und so gestaltlos zugleich, mit einer Geistesverfassung darinnen, so fortschrittsgläubig und gleichwohl geprägt von einer Weltschau, die mit den Erkenntnissen der Naturwissenschaften nur schwer in Einklang zu bringen ist und die darauf basiert, dass die Welt erst seit 6000 Jahren, vielleicht auch 10000 Jahren existiert, aber bestimmt nicht seit jenen Jahrmilliarden, von denen die Wissenschaft spricht, oder auch nur jenen Jahrmillionen, die vergangen sind, seitdem Alan Ashtons Dinosaurier Utah bevölkert haben. Als gläubiger Mormone hat Alan Ashton dieses große Museum errichten lassen, obwohl es ein in Beton gegossenes Dementi der Bibelauslegung ist, an die sich die Mormonen als Kreationisten klammern und die sie lehrt, dass der Mensch von Gott so erschaffen worden ist, wie er ist. Der ewige Streit zwischen Darwins Lehre und Gottes Wort. Aber nicht eigentlich ein streitbares Thema in der kircheneigenen und sehr renommierten Brigham Young University in Provo, eine knappe Autostunde von Salt Lake City entfernt. Hör’ dort mal Gary Booth zu. Nicht, dass man dann richtig begriffe, wie Mormonen Evolution und Schöpfungsgeschichte miteinander verknüpfen. Aber man erkennt, dass sie auf unterschiedlichen Ebenen denken. Könnte es nicht so sein, dass sie die Evolution als Vorlauf, als Gottes Probelauf vor der eigentlichen Schöpfung, akzeptieren? Gary Booth ist Biologe. Als er an die Brigham Young University berufen wurde, bat man ihn, auch Theologie zu lehren. Booth sagt, er habe erschrocken entgegnet, er sei doch Naturwissenschaftler, und zur Antwort habe er bekommen: Gewiss, genau darum wollen wir doch, dass Sie auch Religionsunterricht geben.

Verknüpfungen, Links, wie es in der Computersprache heißt – schon ist man wieder bei Alan Ashton. Mit einer Dissertation, welche die Digitalisierung von Orgelmusik betraf, hatte er vor drei Jahrzehnten an der University of Utah in Salt Lake City seinen Doktor gemacht. Später, nun schon als Professor an der Brigham Young University, nahm er einen Auftrag an, für die Verwaltung des Städtchens Orem ein leicht handhabbares Schreibprogramm zu entwickeln. Word Perfect ist daraus geworden, ein Programm, das die Welt eroberte und heute noch, trotz Windows und Bill Gates, von vielen als das beste angesehen wird, das je auf dem Markt war.

In Larry Millers Sportarena hatten wir Alan Ashton getroffen, in der Pause eines Basketballspiels. Zu seinem Erholungspark mit dem Dino-Museum sind wir dann hinausgefahren, haben studiert, wie viel Geist und Energie in dem Projekt stecken – und darüber hinaus auch noch 50 Millionen Dollar oder mehr aus Alan Ashtons privatem Vermögen. Thanksgiving Point hat der Professor den Park getauft – seine Art, Dank zu sagen. Aber eigentlich ist es der Staat Utah, der ihm, dem Erfinder, zu Dank verpflichtet ist. Denn einer von denen ist er gewesen, die den Boden dafür bereitet haben, dass High Tech in Utah Wurzeln geschlagen hat, in einem Land, das früher nur von Landwirtschaft und dem Abbau von Bodenschätzen lebte.

Bei Salt Lake City wird zwar noch immer in einem der gewaltigsten Berg werke der Welt Kupfer abgebaut, aber abhängig sind die gut zwei Millionen Bewohner Utahs, davon die Hälfte Mormonen, nicht mehr von der Minenindustrie. Außer Software-Firmen florieren in Technoparks junge Unternehmen der Biomedizin. Natürlich wächst auch der Tourismus und trägt dazu bei, dass die Arbeitslosenquote in Utah geringer ausfällt als im Schnitt der USA. Die Wohl habenheit hingegen ist höher, auch wenn zu bedenken gegeben wird, dass dies relativ sei, weil die Haushalte, die der Rechnung zugrunde liegen, wegen der großen Kinderzahl mehr Geld brauchen als Familien anderswo. Aber so attraktiv ist Utah geworden, dass es zu den am schnellsten wachsenden amerikanischen Staaten gehört. Schon gehen die Planungen davon aus, dass sich die Bewohnerzahl bis zum Jahr 2050 mehr als verdoppelt haben wird.

Ein grundsolider Staat, den die Mormonen auf trockenem Wüstenboden errichtet haben und in dem Larry Miller heute fruchtbaren Humus vorfindet. Den Markt für Autos und zur Befriedigung von Sportbegeisterung hat er fest im Griff, und zufrieden blickt er zurück. Ohne Vater, sagt er, sei er in Salt Lake City aufgewachsen, unmittelbar neben dem Capitol, nicht weit weg vom Tempel. Als Bauarbeiter, Handlanger, Kraftfahrer habe er sich verdingt. Heute hat er allein im Autogeschäft 6000 Beschäftigte und weitere 500 im Sportbusiness, und 90 Stunden beträgt seine Arbeitszeit in der Woche. Und trotzdem hat er sich jetzt auch noch als freiwilliger Helfer bei Olympia beworben, hat genauso wie 40000 andere Bürger Fragebögen ausgefüllt, begierig darum bemüht, sich zu qualifizieren. Er ist angenommen worden, als ehrenamtlicher Manager der Halle für die Eislaufwettbewerbe. Wenn er das Gebäude betreten will, hat er seinen Olympia-Pass vorzuweisen. Ein komisches Gefühl, sagt Larry Miller. Verständlich, denn ihm gehört das Stadion. Es ist das Delta Center, in dem sonst seine Basketballer spielen. Und gemanagt hat er es auch, von Anfang an, seitdem er ihn vor zehn Jahren hingestellt hat, diesen sündhaft teuren gläsernen Lusttempel des Sports.

Ein letzter Blick von oben ins Tal von Salt Lake City – von dort, wo einst 150 Pioniere aus dem Osten ankamen. Runter zum Temple Square schaut man, dem Herzen der Stadt, wo heute auch ein Deutscher amtiert, Dieter Uchtdorf, der einmal Chefpilot der Lufthansa war, aber dann aus dem Cockpit in eine andere Kanzel umgestiegen war, die dem Himmel noch näher ist. Er ist ein Member of the Seventy geworden, einer der ranghöchsten geistlichen Würdenträger der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, über ihm, auf Erden, die Präsidentschaft der Kirche mit dem greisen Gordon B. Hinckley, dem heutigen Propheten der Mormonen. Hinunter auf die Häuser mit ihren offenen Türen blickt man, in denen die Familien jede Woche einmal alle ihre Angehörigen zusammenrufen, um gemeinsam die Bibel zu lesen, wie in den alten Zeiten. Hinüber schaut man, wo die alte Munitionsfabrik liegt, in der tausende Tonnen von Altkleidern sortiert, aufbereitet und in alle Welt verschickt werden. Sie sind Teil des humanitären Hilfswerks, das die Mormonen nicht zuletzt dadurch finanzieren, dass sie ein Zehntel ihres Einkommens an die Kirche abtreten. In ihren Kellern stapeln sich Vorräte an Lebensnotwendigem, bereitgehalten für den Fall, dass die Heimsuchungen der Vergangenheit wiederkehren oder dass Not beim Nächsten, dem Nachbarn herrscht.

Trotzdem: Eine Gemeinschaft sieht man da unten versammelt, die eine sichere Heimstatt gefunden hat. Man glaubt von Larry Millers Haus ein fernes Echo zu hören: This is the right place.

http://www.sueddeutsche.de/aktuell/sz/artikel118506.php

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nicht möglich, da es sich um einen Legacy-Beitrag handelt

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