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Beitrag 14 von 81
zum Thema Zeitungsartikel über die Mormonen
Seite erstellt am 16.4.24 um 14:07 Uhr
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der Beitrag:
Verfasser: Gunar
Datum: Mittwoch, den 6. Februar 2002, um 16:39 Uhr
Betrifft: SZ: Schlaflos in Salt Lake City (2)

Süddeutsche Zeitung
Dienstag, 5.2.2002

Schlaflos in Salt Lake City (2)

Ab in die Gruft

Das größte Grab der Welt liegt im 3500 Meter hohen Berg Twin Peaks, eine halbe Stunde südlich von Salt Lake City. Drei Milliarden sind in dem atombombensicheren Granitstollen begraben – nicht Tote, sondern ihre Namen: auf mehr als zwei Millionen Rollen Mikrofilm. Die meisten Skifahrer, die in salzverspritzten Geländewagen die Bergstraße des Little Cottonwood Canyon zu den berühmten Pisten von Alta und Snowbird hinauf schleichen, ahnen nichts von der Existenz dieses unter Mormonen nur „Gruft“ genannten Bunkers. Sie übersehen die gelbe Schranke und den unscheinbaren Weg, der von der Straße zu den Stolleneingängen hinaufführt. Und das, obwohl ein großer Teil von ihnen schon in den Daten gewühlt hat, die dort gesammelt sind.

Ãœberall auf der Welt lichten Teams von Mormonen Geburts- und Sterberegister, Grundbücher und Volkszählungsakten ab, viele Hunderte von Jahren alt. 275 Spezialkameras sind ständig im Einsatz. Jeden Monat kommen mehr als 4000 Rollen Mikrofilm hinzu. Die Originale lagern unter Idealbedingungen im Berg, Kopien kann jedermann in den 3400 „Familiy History Libraries“einsehen. Dieses Menschheitsarchiv ist Grundlage für eines der seltsamsten Elemente des Mormonenglaubens: die Totentaufe. Es ist die Pflicht der „Heiligen“, denen, die nicht zu Lebzeiten Mitglieder der „einzigen wahren Kirche von Jesus Christus“ geworden sind, wenigstens posthum die Chance zur Erlösung zu geben. Die Taufe wird ganz einfach an Stellvertretern vollzogen, während der Name des Toten auf einem Bildschirm erscheint. Den Toten, erklärt Bärbel Johnson von der Family History Library in Salt Lake City, stehe es dann „frei, dieses Angebot anzunehmen oder abzulehnen“.

Es muss eine Mischung aus Sendungsbewusstsein, Hoffnung, das eigene Standing vor Gott und Bischof zu verbessern, und bizarrem Prominentenkult gewesen sein, die bei vielen Mormonen eine wahre Taufwut entfesselten. Die ließen sich nämlich nicht nur für ihre toten Großeltern untertunken, sondern auch für alle anderen, denen sie Gutes wünschten, ob Martin Luther, Buddha oder Elvis Presley.

In Bedrängnis geriet die Kirche aber erst, als 380 000 in Konzentrationslagern umgekommene Juden in den Taufregistern der Kirche erschienen. Obwohl man 1995 versprach, die Namen zu löschen und nur noch die Taufe von Angehörigen zuzulassen, wurde in den Archiven noch vor zwei Jahren Anne Frank und ihre gesamte Familie gefunden – übrigens in der Gesellschaft von Adolf Hitler. Allein 1993 wurde dieser dreimal getauft: Im Tempel von Jordan River, in London und in Los Angeles. Dort vergaß man auch nicht, seine Ehe mit Maria Braun gemäß den Regeln der Kirche zu „besiegeln“.

JÖRG HÄNTZSCHEL

http://www.sueddeutsche.de/aktuell/sz/artikel119486.php

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