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Verfasser: Rainer
Datum: Dienstag, den 20. Januar 2004, um 20:16 Uhr
Betrifft: Ein paar Gedanken von mir

> Denn ihr wart in der Kirche und habt euch von unseriösen Kritikern blenden lassen.

Ich möchte dir meine persönliche Antwort auf die Frage geben, warum es einige ehemals aktive Kirchenmitglieder gibt, die hier ihre Meinung zu bestimmten Kirchenthemen äußern.

Während meiner Zeit als Bischof begann ich, einige der Kirchenlehren und –praktiken kritisch zu hinterfragen. Mit der Zeit wurde mir immer bewusster, dass ich nicht alles, was von den Kirchenführern gelehrt wurde, mit gutem Gewissen den Mitgliedern gegenüber vertreten konnte und wollte. Bei vielen Problemstellungen kam ich nach reiflicher Überlegung zu einer Lösung, die von den allgemein in der Kirche akzeptierten Verfahrensweisen deutlich abwich. So ging ich dazu über, in bestimmten Fragen bezüglich des Zehnten oder des Gesetzes der Keuschheit nicht mehr auf der Kirchenschiene zu fahren. Der Rat, den ich Mitgliedern gab, entsprach nicht mehr dem, was der Herr gemäß den Weisungen der Kirchenführer wollte. Ein schlechtes Gewissen hatte ich deshalb nicht, denn ich hatte erkannt, dass diese Kirche eben nicht die „einzig wahre Kirche“ ist, sondern nur eine unter vielen Religionsgemeinschaften – mit guten Seiten und Fehlern bzw. falschen (oder besser „unguten“) Lehren, wie bei den anderen auch. Oft habe ich darüber nachgedacht, warum mir das erst als Bischof klar wurde. Ich denke, es liegt daran, dass diese Berufung mich von der Theorie in die Praxis brachte und ich direkt mit den Anliegen der Mitglieder konfrontiert wurde. Im Mai 2002 bat ich um Entlassung, was dann auch im November vollzogen wurde.

Nun muss ich feststellen, dass es unter den „aktiven“ Kirchenmitgliedern kaum jemanden gibt, der bereit ist, sich mit meinen kritischen Fragen ernsthaft auseinander zu setzen. Es ist in der Kirche nicht üblich, offen kritisch zu sein. Man manövriert sich dadurch schnell ins Abseits. Über dieses Forum hier habe ich einige Menschen kennen gelernt, die ähnlich denken und fühlen wie ich. Ich bin nicht mit allem einverstanden, was hier gesagt wird, aber das Forum gibt mir eine Plattform, offen meine Meinung zu sagen und evtl. auch die eine oder andere Antwort zu erhalten.

Was ich mir für die Kirche wünschen würde:

1.      Offener Umgang mit Zweifeln oder Kritik
Die HLT versteht sich als von Christus in den Letzten Tagen wieder hergestellte Kirche. Als einzig wahre Kirche besitzt sie mit dem Priestertum das alleinige Recht, auf der Erde im Namen Gottes zu amtieren und heilige Handlungen zu vollziehen. Die im Tempel vollzogenen Verordnungen der Kirche sind für alle Menschen erforderlich, um nach diesem Leben in die „Höchste Herrlichkeit“ eingehen zu können. Um daran teilhaben zu können, muss man als Mitglied u. a die Führer der Kirche anerkennen und unterstützen sowie ein „festes Zeugnis“ vom wieder hergestellten Evangelium haben, denn dies ist Voraussetzung für den Zugang zum Tempel.

Natürlich gibt es Mitglieder, die in bestimmten Punkten eine andere Meinung haben, als offiziell in der Kirche gelehrt wird. Hierüber wird aber i.d.R. nur im vertrauten Kreis gesprochen. Kaum jemand würde offen zu erkennen geben, dass er Zweifel an der Kirche oder kein festes Zeugnis mehr hat. Meiner Meinung nach ist der Absolutheitsanspruch der Kirche die Ursache für mangelnde Offenheit der Mitglieder unter einander. Denn würde man einzelne Lehren des Propheten in Frage stellen, hieße das in letzter Konsequenz, die ganze Kirche in Frage zu stellen. Für die Mitglieder der Kirche würde ich mir wünschen, dass man zu allen Fragen der kirchlichen Lehre seine Meinung auch dann frei äußern kann, wenn sie Zweifel oder Kritik beinhaltet – ohne dabei fürchten zu müssen, als Abtrünniger angesehen, angegriffen oder einfach nur belächelt zu werden. Für die Unterrichte wäre das ein großer Gewinn, wenn es auch mal echte Diskussionen gäbe, die dann nicht gleich abgewürgt werden.

2.      Entkopplung des Tempelscheins von der Zahlung des Zehnten
Der Tempel ist wie bereits angedeutet für die HLT ein Symbol für das ewige Leben in der Gegenwart Gottes. Die Heiligen Handlungen, die nur dort vollzogen werden, sind erforderlich für eine Rückkehr zu Gott in die „Höchste Herrlichkeit“. Ein Mitglied, das den Zehnten nicht [mehr] zahlt, wird nicht mehr in den Tempel gelassen. Kann dies eine christliche Lehre sein, dass ein Mensch, der in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten ist, aus materiellen Gründen das Haus des Herrn nicht mehr betreten darf? In der HLT wird es so gelehrt und praktiziert, sogar bei Sozialhilfe-Empfängern. Was würde Jesus tun?

3.      Reduzierung des Tempel-Interviews auf eine Frage
„Hältst du dich für würdig, das Haus des Herrn zu betreten?“ sollte die erste und einzige Frage heißen, die einem erwachsenen und mündigen Menschen gestellt wird, um seine Qualifikation festzustellen. Wenn man die Treue der Mitglieder zur Kirche und den Geboten in regelmäßigen Interviews hinterfragt und damit kontrolliert, übt man damit in unzulässiger Weise Druck auf die Mitglieder aus. Ich stelle es in Frage, dass ein Mensch, der in dieser Weise kontrolliert wird, wirkliche Entscheidungsfreiheit im Umgang mit den Geboten hat. Das detaillierte Interview, in dem die Loyalität gegenüber den Kirchenführern und sogar intimste Verhaltensweisen erfragt werden, kann zu Heuchelei und Selbstbetrug führen und ist überhaupt nicht dazu geeignet, die „Würdigkeit“ eines Menschen festzustellen. Es kann sogar dazu führen, dass sich HLT-Mitglieder in ihren Fortschrittsbemühungen auf die Inhalte des Interviews konzentrieren und wichtige Glaubensinhalte wie z.B. Nächstenliebe dabei zweitrangig werden.

4.      Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Kirche
Jedes Wirtschaftsunternehmen muss jährlich Rechenschaft über Herkunft und Verwendung der finanziellen Mittel ablegen. Auch einem Zehntenzahler in der Kirche sollte das Recht zugestanden werden, Auskunft über die wirtschaftlichen Verhältnisse der Kirche sowie die genaue Verwendung der Zehntengelder zu erhalten. Als ich von Missionaren belehrt wurde, war ich beeindruckt von ihren Ausführungen über das unbezahlte Priestertum. „Niemand erhält für seinen geistlichen Dienst in der Kirche eine Bezahlung“ haben sie mir beigebracht. Im Internet habe ich dann später gelesen, dass Apostel z.T. Manager-Gehälter erhalten haben und ihre Reisen mit First-Class-Comfort verschönert haben sollen. Ist ja auch ok, so eine Reise ist ja auch ganz schön anstrengend. Wenn man aber auf die „Basis“ schaut, dann gibt es da jede Menge Mitglieder, die finanziell ziemlich knapp dran sind, aber nicht im Traum auf die Idee kommen würden, für Ihre „Dienstfahrten“ im Namen des Herrn eine Fahrtkostenerstattung zu erwarten. Ich würde mir wünschen, dass die Kirche hier klar Stellung bezieht, wer wie viel Spendengelder wofür erhält.

Ich werde die Liste in den nächsten Monaten sicher noch erweitern. Jetzt würde ich ganz gerne einmal mit Kirchenmitgliedern über ihre Gedanken zu diesen Punkten diskutieren.

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