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Verfasser: AlGhazali
Datum: Donnerstag, den 24. Mai 2007, um 12:13 Uhr
Betrifft: Aufruhr In Der Provinz

Aus dem Spiegel

"Polygamisten-Sekte bringt texanisches Dorf in Rage
Von Friederike Freiburg

Ein neuer Nachbar treibt ein ganzes Dorf in der texanischen Ödnis auf die Barrikaden. Das Problem: Der Neubürger kommt nicht allein. Im Gefolge hat Samuel Fischer, Schreiner, Sektenmitglied und Polygamist, eine gigantische Großfamilie und eine haarsträubende Gesinnung.

Hamburg -
Felder, nichts als Felder. Baumwolle, Getreide, Kürbisse, Mais. Das Örtchen Lockney liegt mitten im texanischen Nirgendwo. Wohnen kann man dort zum Spottpreis: Ein Haus in Lockney kostete laut city-data.com im Jahr 2000 durchschnittlich 27.500 Dollar. Gestiegen sind die Preise wohl kaum. Etwa 2000 Menschen wohnen in Lockney, Tendenz: fallend. Die Jungen ziehen fort, die Alten bleiben zurück. Wer keine Landwirtschaft betreiben will, hat hier kaum eine Zukunft.

Polygamist Fischer: "Beurteilen Sie mich danach, wer ich bin"
Neubürger sind in Lockney eigentlich immer willkommen, vor allem wenn sie neue Jobs schaffen, so wie Samuel Fischer. Der Unternehmer hat bereits einen florierenden Schreinerbetrieb im US-Bundesstaat Utah aufgebaut, mit dem er nun nach Lockney ziehen will. Hundert Arbeitsplätze und den massenhaften Zuzug von Mitarbeitern und deren Familien könnte das bringen.

Doch Samuel Fischer ist nicht willkommen in Lockney. Die Lokalzeitung "The Floyd County Hesperian-Beacon" fand heraus, dass Fischer Mitglied einer Glaubensgemeinschaft ist, die sich "Fundamentalistische Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage" nennt. Fischer hat zwei Frauen und 24 Kinder. Seine zweite Frau inklusive neun Kindern hat er von einem Mann übernommen, der wegen des Vorwurfs des Ehebruchs aus der Gemeinschaft verstoßen wurde - ein übliches Vorgehen innerhalb der Sekte. Er hat bereits drei Häuser in der Gegend gekauft, die Übernahme eines Fabrikgebäudes steht kurz bevor.

Und die Bürger von Lockney haben Angst. Wird die Gemeinde von einer Sekte überschwemmt? Werden Menschenmassen über das Dorf hereinbrechen und zweifelhafte Sitten einführen? Wird bald niemand mehr lachen und sich schminken dürfen? Werden Rassismus, Vielehe und bizarre Lehren Einzug halten?

"Er würde sich doch keine Häuser ansehen, wenn er nicht davon ausgehen würde, dass noch mehr Leute nachkommen", sagt Ladenbesitzerin Ginger Mathis. Tausende weitere Sektenmitglieder aus Utah und Arizona könnten folgen, befürchtet er. Mathis ist nicht die einzige, die sich sorgt in Lockney. Fischer ist das wichtigste Gesprächsthema dieser Tage.

AUF EINEN BLICK: DIE FUNDAMENTALISTEN-KIRCHE

Die Sekte

Die Fundamentalistische Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (FLDS) hat sich vor mehr als hundert Jahren von der mormonischen Mutterkirche abgespalten, als diese der Polygamie abschwor. Die etwa 10.000 Anhänger der FLDS halten Polygamie für gottgewollt. Den Angaben zufolge werden immer wieder junge Männer aus der Gemeinschaft ausgestoßen, um Kirchen-Ältesten eine größere Auswahl an Frauen bieten zu können. Die meisten Mitglieder leben in Hildale im US-Bundesstaat Utah und in Colorado City im Bundesstaat Arizona.

Der Anführer

Sektenführer Warren Jeffs sitzt derzeit hinter Gittern und wartet auf seinen Prozess. Der Vorwurf: Beihilfe zur Vergewaltigung und Verführung Minderjähriger. Aussteiger beschuldigen ihn, Hunderte Mädchen mit älteren Männern verheiratet zu haben. Ihm droht lebenslange Haft. Jeffs, der sich nach eigenem Bekunden für unbesiegbar hält, ist außerdem mit wirren Reden nach den Anschlägen vom 11. September 2001 aufgefallen. Ein "Zeichen der Hoffnung" seien die Attentate und frohe Kunde, dass das Ende der Welt bevorstehe. Bis zur Verhaftung im August 2006 stand er auf der Liste der zehn Meistgesuchten der US-Bundespolizei FBI.

Die Regeln

Über die kruden Regeln der Sekte ist wenig bekannt, nach außen wird das meiste geheimgehalten. Lachen soll dort ebenso verboten sein wie Sport, Fernsehen und Make-up. In der Schule werde dort gelehrt, die Dinosaurier seien aus dem Weltall gekommen, schrieb der "stern". Rassistische Äußerungen sind üblich, und der totale Gehorsam sichert den Mitgliedern einen Platz im Himmel.

Mitte Mai dann reagierte Fischer auf die Unruhe im Dorf. In einem Brief an den "Hesperian-Beacon" bat er um eine öffentliche Versammlung, um sich dort vorstellen und seine Motivation erklären zu können. Nach Angaben der Lokalzeitung kamen 175 Anwohner zu der Veranstaltung, die sich "aufmerksam und zumeist höflich" verhalten hätten. Die Polizeibeamten, die einen etwaigen Tumult hätten beruhigen sollen, blieben ohne ernsthaften Einsatz.

Fischer, der einen 16 Jahre alten Sohn mitgebracht hatte, wollte nach eigenem Bekunden "Vorurteile entkräften". Die Frage, ob ihm weitere Sektenmitglieder nach Texas folgen wollten, konnte Fischer laut "Salt Lake Tribune" nicht beantworten. "Ich bin nicht hier, um den Weg zu ebnen", wird er zitiert. Ob ihm jemand folgen werde, könne er nicht sagen. "Ich bin jedenfalls nicht gekommen, um eine neue Niederlassung zu gründen."

Die ökonomischen Aussichten für das angeschlagene Dorf indes sind verlockend. Der Betrieb, der mit dem Umzug einen neuen Namen bekommen soll (jetzt: Westwood Productions, demnächst: Techsun), könnte Dutzende neue Arbeitsplätze schaffen und das schwächelnde Nest neu beleben. "Das ist das beste, was Lockney je passiert ist", jubelt der zuständige Immobilienmakler Steve McPherson, der das 16.000 Quadratmeter große Fabrikgebäude angeblich für 740.000 Dollar an Samuel Fischer verkauft hat. "Er wird alles herrichten und hundert Leute einstellen, was der Wirtschaft Lockneys wieder auf die Beine hilft", sagt McPherson.

"Lieber nicht in unserer Mitte"

Ob es Samuel Fischer gelungen ist, die Vorbehalte der Menschen in Lockney zu zerstreuen, muss sich noch zeigen. Immerhin hat er damit die Praxis des Schweigens gebrochen, die in der "Fundamentalistischen Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage" üblich ist. Eine Frau aus dem Nachbardorf Floydada sagte, das Gespräch habe sie nicht beruhigt. "Wir wissen genug über diese Leute, um sagen zu können, dass wir sie lieber nicht in unserer Mitte hätten", wird sie auf der Website lubbockonline.com zitiert.

Auch Ladenbesitzerin Mathis fühlte sich nicht beruhigt. "Er hat uns nicht weitergeholfen", sagte sie. "Er ist einigen Fragen ausgewichen, und selbst bei denen, die er beantwortet hat, machte er einen unehrlichen Eindruck auf mich."

Fischer jedoch will nicht aufgeben. "Beurteilen Sie mich nach meiner Leistung", bat er in seinem Schlusswort, "und nicht nach dem, was Sie in der Zeitung lesen, oder nach dem neuesten Gerücht. Beurteilen Sie mich danach, wer ich bin."

Bürgermeister Roger Stapp jedenfalls will Samuel Fischer alle Chancen einräumen. "Mich besorgt das alles nicht besonders", sagte er. Die Großfamilie aus Utah habe jedes Recht der Welt, nach Lockney zu kommen. Dann fügt er hinzu: "Solange sie sich wie gute Bürger verhalten und sich an die Gesetze halten."

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