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Verfasser: Rainer Datum: Donnerstag, den 18. September 2003, um 23:01 Uhr Betrifft: Die diversen Prinzipien
Wie man zu diesen Prinzipien steht, wird ja spätestens beim Tempelinterview wieder in Erinnerung gerufen. Ich persönlich habe die dort hinterfragten Grundsätze (Ehrlichkeit, Keuschheit, WdW, Zehnter u.a.) befolgt, weil ich sie als richtig und wahr erkannt hatte und davon überzeugt war, dass es Gebote vom Herrn sind.
Als ich dann zum Bischof berufen wurde, kam die Zeit, da es für mich nicht mehr nur allein darum ging, diese Grundsätze selbst anzuwenden, sondern ich musste auch andere Mitglieder diesbezüglich befragen und beraten. Je mehr Probleme es zu lösen gab, desto häufiger kam ich in die Situation, dass meine persönliche Ansicht in bestimmten Fragen nicht mehr dem entsprach, was die Kirche lehrte. Ich wollte mich nicht selbst verleugnen und habe deshalb immer versucht, nach meinem eigenem Gewissen Rat zu geben und zu entscheiden. Dies führte dazu, dass ich die Mitglieder, die im Vertrauen auf meine Inspiration zu mir kamen, nicht mehr so beraten konnte, wie es gemäà den Weisungen der Kirchenführer richtig gewesen wäre. Um mir später nicht vorwerfen zu müssen, das Vertrauen der Mitglieder missbraucht zu haben und weil ich die Grundsätze und Lehren der Kirche nicht mehr uneingeschränkt teilen konnte, habe ich meine Berufung nieder gelegt.
Meine (heutige) Meinung zu einzelnen Grundsätzen:
Der Zehnte: Ein schwieriges Thema. Grundsätzlich stimmt es natürlich, dass er dem, der wenig Einkommen hat, nur wenig abverlangt und umgekehrt. Aber was ist mit demjenigen, der z. B. durch Langzeitarbeitslosigkeit oder auch eigenes Verschulden in eine echte wirtschaftliche Notlage gerät? Wenn er dann noch eine groÃe Familie hat, kann es sein, dass sein Einkommen gerade so ausreicht, um die Familie über Wasser zu halten. Nun könnte man sagen Wenn er genug Glauben hat, ... aber würde man ihn dadurch nicht zusätzlich unter Druck setzen, indem man sein Verhältnis zum Herrn in Frage stellt? Er mag ansonsten das beste Mitglied der Gemeinde sein - stellt er dann die Zahlungen ein, verliert er sein Anrecht auf einen Tempelschein und darf den Tempel nicht mehr betreten - mit allen Konsequenzen, die das für ein gläubiges Mitglied hat. Ich zweifle daran, dass dies wirklich ein christliches Prinzip ist, da es doch einen sehr materiellen Hintergrund hat. Die Würdigkeit eines Mitglieds dürfte meiner Meinung nach nicht in Zusammenhang mit der Zahlung von Geld gebracht werden.
Keuschheit: Die Treue in der Ehe hat für mich einen enorm hohen Stellenwert. Es ist für mich auch heute noch ein wichtiges und richtiges Prinzip. Vor der Ehe sollte man den Jugendlichen die sexuelle Betätigung nicht grundsätzlich verbieten. Natürlich ist eine Aufklärung, die auch vor den Gefahren warnt sehr wichtig, aber ich finde, dass Sexualität eine sehr persönliche Angelegenheit ist. Weder das Thema Selbstbefriedigung noch die Frage nach sexuellen Kontakten oder gar bestimmten Sexualpraktiken sollte jemals Gegenstand einer Befragung sein - nicht bei Jugendlichen und auch nicht bei Erwachsenen.
Wort der Weisheit: Ich finde es gut, Grundsätze zu lehren, die die Mitglieder dazu anhalten, sich gesund zu ernähren und Dinge zu meiden, die dem Körper schaden könnten. Aber ein Bischof, der ab und zu mal ein Glas Bier trinkt oder einen Wein zum Essen geniesst, wird trotzdem noch ein guter Bischof sein können ...