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Beitrag 8 von 10
zum Thema Das Polygamie-Geheimnis
Seite erstellt am 26.4.24 um 21:15 Uhr
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Verfasser: Gunar
Datum: Mittwoch, den 4. April 2001, um 22:33 Uhr
Betrifft: Präzisierung

Ich möchte mich für die späte Präzisierung meiner Anfrage entschuldigen. Ich musste mir das Buch erst besorgen, das mir in einem Antiquariat in die Hände fiel, dort aber ganz einfach zu teuer war.

Es handelt sich um das Buch von L. Steinfeld: Ehen zu dritt, 2. Aufl., Man Verlag, Berlin, 1928, nach der Vorlage von Georges-Anquetil: La Maitresse Legitime. Dieses Buch befürwortet die Polygamie, entsprechend positiv werden auch die Ansichten der Utah-Mormonen auf den Seiten 172–186 dargestellt.

Die folgenden Seiten sind den Darstellungen Raymond Duguets „Les Mormons, leur réligion, leur moeurs, leur histoire“ und Jules Remys „Voyage au pays des Mormons“ [von 1860] entnommen. Sie geben eine Übersicht über die Zustände bei den Mormonen, wie sie bis vor etwa einem Jahrzehnt bestanden.

Damit legt der Autor seine Quellen offen. Später heisst es:

Am 29. August dieses Jahres [1852] war es, daß Brigham Young die Offenbarung des Joseph Smith über die Polygamie feierlich verkündete. Die Zeremonie verlief mit großem Glanz. Der Priester Orson-Pratt [sic] gab in seiner Rede unumwunden zu, daß die Polygamie bei zahlreichen Mormonen bereits seit einiger Zeit in Übung sei: „Einige meiner Zuhörer wissen bereits, daß die Heiligen der letzten Tage die Lehre von der Mehrzahl der Frauen zum Bestandteil ihrer religiösen Überzeugung gemacht haben.“ Dann sprach Brigham-Young [sic] und erklärte: „Wir alle wissen, daß Joseph Smith mehrere Frauen besaß. Dies war auch bei seinen Lebzeiten bekannt. Aber es war für uns unmöglich, dieses Grundsatz früher zu veröffentlichen. Heute bin ich bereit, ihn zu erörtern. Ohne die innere Lehre, die in dieser Enthüllung eingeschlossen liegt, kann sich niemand hinieden zum Gott erheben.“

Die Offenbarung enthielt sechsundzwanzig Abschnitte, von denen jedoch nur fünfundzwanzig veröffentlicht wurden, während der sechsundzwanzigste aus Gründen, die wir später betrachten werden, vollkommen geheim gehalten wurde. In den ersten Abschnitten [ab Vers 1] zitiert Joseph Smith als Beispiele für seine Lehre Abraham, Isaak, Jacob, David, Moses und Salomon. Im Abschnitt 7 [ab Vers 19] erklärt er, daß der Mann und die Frau, die sich den gegebenen Anordnungen fügen, zu Göttern werden.

Im Abschnitt 13 [ab Vers 34] heißt es: „Gott befahl es Abraham, und Sarah gab Abraham darauf Hagar zur Frau. Das Gesetz wollte es so. Ich, der Herr habe es befohlen.“ Im Abschnitt 4 [ab Vers 37] : „Abraham hatte Nebenfrauen, von denen er Kinder hatte, und dies wurde ihm als gute Handlung angerechnet. Er befolgte treu mein Gebot.“

Endlich sagt der Abschnitt 14 [ab Vers 61] : „Wenn ein Mann eine Jungfrau heiratet und mit Einwilligung seiner ersten Frau eine zweite heiraten will, so ist er [...] gerechtfertigt.“

Diese Offenbarung war nur die Rechtfertigung der Polygamie, wie sie bereits von einigen Mormonen geübt wurde. Sie hatte daher nicht die Wirkung einer plötzlichen Anordnung, die einen völligen Umschwung in den Sitten und Gebräuchen mit sich brachte. Die Offenbarung war nichts, als die Entwicklung der Lehre des Mormonentums ...

[...]

Im Jahre 1890 erklärte der neue Prophet der Mormonen, Woodruff, daß ihm wieder eine Offenabrung zuteil geworden sei, durch die die Fortsetzung der Polygamie verboten würde. Aber diese Offenbarung wurde als recht zweifelhaft betrachtet. Woodruff erklärte indessen, daß nicht nur neue Vielehen verboten seien, sondern daß auch alle alten aufgehoben werden müßten.

[...]

Woodruff gab eine neue Auslegung seiner Offenbarung oder vielmehr des Manifestes, wie man es nennt, und erklärte, wenn auch die Vielehe nicht fortgesetzt werden dürfe, so müsse man doch für die Frauen sorgen, die eine solche Ehe eingegangen seien. So schien sich alles nach Wohlgefallen zu gestalten. Aber allmählich sah man ein, daß die Mormonen der Bundesregierung ein Schnippchen geschlagen hatten, und daß viele zur Polygamie zurückkehrten. Erst später erfuhr man von dem sechsundzwanzigsten Abschnitt der Offenbarung von John [sic] Smith, den Brigham Young geheim gehalten hatte. Dieser Abschnitt bestimmt, daß ein Mormone, der in Vielehe lebt, nur wenn er zum Mörder wird, sündigen kann. Der Mormone kann daher, wenn es der Ausbreitung seiner Religion nützt, vor den Gerichten der „Heiden“ einen Meineid schwören. Er kann auch zum Scheine öffentlich gegen die Monogamie [sic] predigen, ohne damit eine Sünde zu begehen. Woodruff konnte daher die Polygamie scheinbar untersagen, weil dies zur Entfaltung der Mormonen-Religion und zur Erhebung Utahs zum Staat notwendig war, während die Mormonen allmählich mehr oder weniger offen neue Vielehen eingehen können, wobei sie keineswegs eine Sünde begehen, sondern vielmehr ihre Pflicht als gute Mormonen tun.

Viele Apostel der Mormonen gaben an, daß sie Visionen und Offenbarungen gehabt hätten, in denen ihnen der Befehl gegeben worden sei, Vielehen zu schließen, und erstaunt mußte man bald feststellen, daß nicht nur die alten Mormonen weiter in Polygamie lebten, sondern daß auch die Jungen neue Vielehen schlossen. Es kam zu einer neuen Campagne gegen die Mormonen, die besonders in den Jahren 1910 bis 1912 von der amerikanischen Presse durchgeführt wurde. Im Osten der Vereinigten Staaten taten sich dabei besonders das „Mc.Clure’s Magazin“ und „Everybody Magazin“ hervor. Es wurden die Namen von fünf Aposteln veröffentlicht, die Vielehen eingegangen waren, und es wurde angedeutet, daß es noch weitere Apostel gäbe, die in Vielehe lebten. Am 12. Januar 1912 kam es zu einer großen Versammlung der Mormonengegner in der New-Yorker [sic]  Carnegie Hall, in der Senator Cannon, einer der besten Kenner dieser Fragen, erklärte, daß alle Aposteln [sic]  der Mormonen – es sind deren zwölf – mit vier, fünf oder gar sechs Frauen verheiratet seien.

Bereits vorher hatte die Salt Lake Tribune im Februar 1911 eine Liste von 274 Vielehen veröffentlicht, die nach der Veröffentlichung des Manifests von Woodruff geschlossen worden waren. Die mormonische Kirche protestierte dagegen nicht, und nur in zwei Fällen veröffentlichten die Beteiligten ein einfaches Dementi.

Zahlreiche Mormonen, die in Vielehe leben, üben hohe religiöse Funktionen aus oder sind Inhaber von Ehrenämtern der Kirche. Mehrere von ihnen sind zu Beamten ernannt worden. Der letzte Präsident der Mormonen, der vor wenigen Jahren [am 19. November 1918] gestorben ist, Joseph Fielding [sic] Smith, lebte offen in Vielehe ...

Das soll hierzu erst einmal reichen. Obwohl ich die Versangaben ziemlich sicher zugeordnet habe, bemerkt man, dass diese nicht in der richtigen Reihenfolge sind. Ich halte es für möglich, dass die Abschnitteinteilung noch vor der neuen Verseinteilung von Lehre und Bündnisse so bestanden hat, und dass es bei dieser Einteilung auch eine Umstellung einzelner Passagen gegeben hat, vermutlich um Gottes Offenbarung etwas sinnvoller zu machen. Leider liegt mir kein LuB-Text aus diesen Jahren vor, um dies überprüfen zu können.

Deutlich wird zumindest, dass eine Rechtfertigung für alle Sünden ausser Mord – somit auch für das „Lügen für den Herrn“ – für Polygamisten im HLT-mormonischen Kanon existiert haben soll, wenn gleich diese auch nie veröffentlicht wurde. Meine Anfrage bezog sich genau auf diesen Punkt.

Als Zugabe und Erweiterung meiner Anfrage bringe ich noch weitere Auszüge aus diesem Kapitel:

... Jeder bereits verheiratete Mormone muß, bevor er eine neue Ehe eingeht, und auch bevor er um die Hand einer weiteren Gattin wirbt, die Einwilligung seiner ersten Gattin, des obersten Kirchenfürsten und der Eltern seiner neuen Braut einholen.

Wenn seine Gattin sich weigert, ihre Einwilligung zu geben, so muß sie der Kirchenbehörde ihre Gründe für ihr Verhalten mitteilen. Werden diese Gründe nicht für schwerwiegend erachtet, so wird ihr Einspruch zurückgewiesen, und der Mann erhält die Erlaubnis, sich mit seiner neuen Erwählten zu vereinigen. Werden dagegen die Einwände der ersten Frau für beachtenswert erklärt, so wird dem Mann die Erlaubnis zur Heirat verweigert.

Da wir ja den Wert der Frau im HLT-mormonischen System kennen, und damals die Polygynie als heilsnotwendig erachtet wurde, kann man sich die Chance einer Frau für einen erfolgreichen Widerspruch ausmalen. Ausserdem, wie sollte ein Mormone mit widerspenstiger erster Frau zu
einer „Erwählten“ kommen, wenn dieser „die Einwilligung seiner ersten Gattin“ schon benötigt, „bevor er um die Hand einer weiteren Gattin wirbt“?

Ein weiterer Punkt:

Die Mormonen haben auch erlaubt, daß man Frauen, die miteinander verwandt sind, heiratet. So kann man gleichzeitig die Mutter und deren Tochter sowie auch mehrere Schwestern heiraten.

Jules Remy schreibt hierzu: „Ein seltsamer Gebrauch ist die Ehestellvertretung bei den Mormonen. Ein Mormone, der sich für mehrere Jahre auf eine Missionsreise begibt, ist meist gezwungen, sich von seiner Frau oder seinen Frauen – oft sind es bis zu zwölf – zu trennen. Diese Trennung aber führt notwendigerweise zu einem Verlust an Kindern und bedeutet damit eine Gefährdung des ewigen Heiles, da man die Familie eines Mannes als sein Königreich im zukünftigen Leben betrachtet. Daher sucht man diesem Hindernis abzuhelfen, indem man für den verhinderten Gatten einen Stellvertreter bestimmt. Es wird behauptet, daß viele Kinder im Gebiet der Mormonen aus dieser Stellvertreterschaft hervorgegangen sind. Der Mormone John Hyde, der später abtrünnig wurde, und der in seiner Eigenschaft als Priester in die tiefsten Geheimnisse  des Mormonentums eingeweiht worden war, versichert, daß das Prinzip der Stellvertretung noch heute in Geltung sei, daß man es indessen zu verbergen suche und nur gleichnisweise davon spreche. Hyde teilt auch weiter mit, daß sich die Mormonen auf die alte Vorschrift Moses’ berufen, wonach der Mann die Kinder für seinen verstorbenen Bruder großziehen muß, und daß sie diesem Gebot die folgende Auslegung geben: Da der Tod auch nur eine zeitweilige Abwesenheit ist, so muß man eine zeitweilige Abwesenheit auf Erden wie den Tod behandeln. Da aber im Falle des Todes die Stellvertretung bei den Frauen nicht etwa ein Verbrechen sondern eine Vorschrift ist, so ist dies auch im Fall der Abwesenheit gesetzlich und zu befürworten.

Also innovativ sind sie ja gewesen. Wenn ich mir anschaue, wie langweilig die HLT-Organisation heute ist, kann ich nur feststellen, dass sie sich gar sehr gewandelt hat. Inwiefern die obige Aussage tatsächlich zutrifft, kann ich noch nicht beurteilen, da warte ich jetzt mal Eure Beiträge ab.

Zu Schluß noch ein kleines Zitat von Seite 177:

Im Laufe einer einzigen Woche im Frühjahr 1855 wurden ihm [Brigham Young] 9 Kinder geboren. Nicht umsonst hatte Joseph Smith von ihm gesagt, daß er der größte Eieresser und der tüchtigste Hahn im Staate Illinois sei! Brigham-Young [sic] wünschte, daß sein Beispiel befolgt würde und erklärte in einer Predigt: „Beeilt Euch mit der Heirat, ich will keine unverheirateten jungen Männer über 16 Jahre und keine unverheirateten jungen Mädchen über 14 Jahre mehr sehen!“

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