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Verfasser: Nyu
Datum: Mittwoch, den 21. April 2004, um 15:03 Uhr
Betrifft: Deine Zweifel und Selbstzweifel

Renate hat ja schon sehr viel geschrieben, was Dich sicherlich gut weiterbringen kann und was sich fast wie ein Sektenratgeber einer Aussteigerin liest - sprich: sehr umfassend aber dennoch kompakt und immernoch differenzierend. Renate schüttet keinesfalls das Kind mit dem Bade aus.
Ich möchte aber von meiner Sicht aus schreiben und auf Deine Bemerkungen und beschriebenen Gefühle ein wenig eingehen.
Du schreibst, dass Du den Eindruck hättest, dass wir hier alle schon viel weiter wären als Du, obwohl Du Dich schon seit Jahren mit dem Ausstieg abmühst.
Hierzu möchte ich sagen, dass Du Dich nicht mit anderen Vergleichen kannst, selbst nicht innerhalb Deiner "peer group". Du bist Du und kannst Dich eigentlich nicht einmal völlig klarsichtig mit Dir selber vergleichen. Ich kann von mir aber sagen, dass ich auch nach über einem Jahr mit bestimmten Zweifeln kämpfe, obwohl ich überall und ständig Bestätigungen finde, die mir versichern, dass ich in meiner Entwicklung den richtigen Weg gehe. Diese Bestätigungen kommen dergestalt, dass logische Widersprüche aus dem mormonischen Mikrokosmos sich nur im überkonfessionellen Makrokosmos auflösen können. Zu diesen logischen Widersprüchen, die im Mormonismus entstehen, zählen auch Argumente aus einem Glauben der Vernunft. Das mormonische Ausschliesslichkeitsargument ist einfach unvernünftig. Der Mormonismus kann unmöglich ein fruchtbares Auffangbecken für die kulturelle Vielfalt einer Welt mit über 6 Milliarden Menschen sein. Dafür ist der Mormonismus weder jetzt noch in Zukunft ausgelegt, weil sich selbst die wohlmeinensten Menschen überall auf der Welt sich kaum in die mormonische sonntagliche Kleidung und die sonntagliche Andacht mit Orgel und Gesangbuch aus dem vorletzten Jahrhundert hineinpressen lassen.
Auch:
Immer wenn ich jetzt die z.B. Bibel aufschlage, erkenne ich gravierende Unterschiede zwischen dem von Jesus oder Paulus Gesagtem und Gemeintem und der Auslegung der HLT-Kirche für diese Schriftstelle.
Mehr und mehr erkenne ich, dass das Evangelium Jesu Christi als "Frohe Botschaft" auch ganz bewusst etwas völlig anderes will. Zufällig habe ich heute in Joh. gelesen, dass der Herr zu den Aposteln gesagt hat, dass es im Haus des Herrn viele Wohnungen gibt und der Herr geht, um eine Wohnung für sie zu bereiten, damit dort, wo er ist auch sie seien können. Die HLT meinen, dass sich dies auf die verschiedenen Unterreiche in der Telestialen und der Terrestialen nach der Wiederauferstehung bezieht. Ich glaube das aber nicht. Das macht in diesem Zusammenhang für mich weniger Sinn, wenn sich dieser Status auch schon auf den Zustand direkt nach dem irdischen Tod bezieht, welcher dann eben die unterschiedlichen Religionen mit umfasst.
Ein weiteres Beispiel findet sich in Bruce R. McConkies Auslegung des Gleichnisses vom Sämann, wo er meint, dass sich dieses 30-fach, 60-fach und 100-fach (oder so ähnlich) auf die drei Grade der Herrlichkeit bezieht. Das ist natürlich Unsinn. Natürlich bezieht sich das auf die Fähigkeit des Einzelnen, nachdem er das Wort empfangen hat, unterschiedlich stark Frucht hervorzubringen. Es ist aber sehr mormonisch, davon auszugehen, dass das Evangelium alle gleich macht.
Noch ein Beispiel findet sich in der mormonischen Auslegung  des Leidens Christi im Garten von Gethsemane, das Jesus aus jeder Hautpore geblutet häbe. Oder nimm das Beispiel mit den zwei Hölzern in Hesekiel 37. Natürlich sind die zwei Hölzer NICHT die Bibel und das Buch Mormon, sondern die beiden Völker Israel und Juda, die wieder zusammenkommen werden.
Es gibt viele solcher Missverständnisse, die aber dem Mormonismus ganz gut zu pass kommen aber leider das einfache Evangelium verbiegen.

Diese Dinge und noch viel mehr Dinge werden mir in ihrer Einfachheit und Reinheit immer klarer.
Trotzdem sind Selbstzweifel da. Immernoch meine ich, ich hätte Dinge falsch verstanden und würde einen schlimmen Fehler machen. Jetzt tritt aber immer mehr Licht an die Stelle von Dunkelheit. Es fällt mir jetzt z.B. sehr leicht, sektendenken zu identifizieren oder benenne den Wert eines Menschen nicht mehr in Abhängigkeit seiner Aktivität in der Kirche. Ich polarisiere nicht mehr so stark.

Du schreibst, dass Du Dich fragst, ob Du normal bist, weil Du nicht unberührt den Mormonismus vollkommen ablegen kannst.
Nun, ich für meinen Teil glaube an Gott und bin mehr denn je davon überzeugt, dass eine verpflichtende Beziehung zu Gott vonnöten ist, um für den Menschen einen wirklichen Wert zu bewirken. Ich bin sogar so sehr davon überzeugt, dass ich weiss, dass der Mormonismus diese Beziehung eintrübt und verzerrt.
Dennoch meine ich mit Renate, dass diese Kirche für jene Menschen, die eine klare und authoritäre Richtung brauchen, Zeit ihres Lebens oder für eine Etappe in ihrem Leben, durch Gott denselben End-Zweck erfüllt wie für einen Born-again Christen seine Gemeinde. Ich halte die HLT-Kirche für ein Werkzeug Gottes in seinem Werkzeugkasten. Mit diesem Werkzeug kann man aber eben manche (viele) Schrauben nicht eindrehen.

Liebe Grüsse,
Henning

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