Beitrag 1 von 1 zum Thema Einige Gedanken |
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Verfasser: James Datum: Samstag, den 15. September 2001, um 7:13 Uhr Betrifft: Einige Gedanken
Ich erinnere mich wie ich am Dienstag meine Arbeit am späten Nachmittag beendete um dann meine E-Mails zu lesen und u.a. auf einer US Nachrichtenwebsite die aktuellen Nachrichten sehen wollte, dabei ein Photo vom brennenden WTC sah ... und dann ca. 10 Sekunden brauchte um zu begreifen, daà dies real war. Die aktuellen Bilder von CNN bestätigten sodann das Inferno , welches über die USA gerade einfiel. Ich fühlte eine Art Ernüchterung und Trauer. Darüber, daà es z.B. nun so weit war, daà meine persönliche Einschätzung über u.a. die Zukunft unserer menschlichen die drittletzte Stufe des Terrors erreicht hatte ... eine, und auch andere, die uns bevorsteht ... die Stufe der massiven Terrorakte, voller Gewalt und Menschenverachtung, wo es nicht darum ging 5 oder 150 Menschen umzubringen, sondern Tausende. Darum, den Nerv eines Landes zu treffen. Die vorletzte Stufe wird der Einsatz biologischer/chemischer Kampfstoffe sein, die letzte Atomwaffen. Die Frage ist nicht ob, sondern lediglich wann, wo und wie.
Im Laufe der Zeit bemerkte ich auch bei bestimmten Bildern, wie bei mir Erinnerungen und Emtotionen hochstiegen. Mit familiären Wurzeln und Verbindungen zu Belfast, Nordirland und dem britischen Militär, begleitet mich das Thema Terrorakte quasi seit meiner Geburt. Umso mehr leidet man mit wenn man ähnliche Erlebnisse selbst durchlebt hat und nun sehen muà wie Menschen leiden. Wird man aber auch eigene Erinnerungen, insbesondere Emotionen erinnert und durchlebt sie hier und da erneut.
Und in diesem Terror sieht man so viele Dinge die sich tief ins Gedächtnis und Gefühlswelt eingraben:
- die Bilder, wo ein Mensch gerade in dem Moment zum zweiten WTC Turm hochschaut, wo der zweite Jet einschlägt, eine Sekunde verharrt um dann zurückzuschrecken.
- die Bilder voller Symbolik, wo eine Handvoll Feuerwehrmänner als eine der ersten Akte auf dem Schutt die US-Flagge setzen ... aufgenommen in einem Winkel, der an die Flaggenhissung der US-Marines bei der Eroberung von Iwo Jima erinnert.
- den Einschlag des zweiten Flugzeuges zu sehen und zu wissen, daà keiner in den oberen Stockwerken überleben würde.
- den weinenden Feuerwehrmann auf der StraÃe sehen zu müssen, der nach 24 Dienst stammelt, daà man ihn auf so etwas nicht vorbereitet hat, daà er nicht darauf vorbereitet war Menschenkörper durchsägen zu müssen um weiter "aufräumen" zu können.
- den weinenden Chef einer Firma zu erleben, der am Dienstag später in seine Firma kommen wollte (er hatte sein Kind zur Schule gebracht) und nun feststellen muÃte, daà alle seine 460 Mitarbeiter vermiÃt waren (obere Stockwerke), er der einzige offensichtlich Ãberlebende war ... und damit nicht fertig wurde.
- verdreckte Feuerwehrleute die nach "DienstschluÃ" in voller Montur in den Zentralbahnhof gingen und spontan hunderte von Anwesenden laut applaudierten.
- Berichte zu hören von verstörten Helfern, die berichten, daà sie fast ausschlieÃlich nur Leichenteile finden. Mich daran erinnernd es selbst vor über 20 Jahren erlebt zu haben, Kameraden nach einem Terroranschlag in Belfast "einsammeln" zu müssen ... in kleinen Plastiktüten. Der gröÃte Teil den wir fanden war ein Stiefel inkl. abgerissener FuÃ. Es zeichnet einen Menschen für den Rest des Lebens. Daran erinnert zu werden, daà man selbst im Urlaub in London vor Jahren mit einem meiner Kinder mit fünf Bombenexplosionen konfrontiert zu werden. Vor 15 Jahren in Belfast dem Tod von Schippe gesprungen zu sein, weil die eigene Mutter zu lange auf dem Klo saà (gehen alle Frauen als letzte "Amtshandlung" vor dem Verlassen des Hauses auf die Toilette?), wir daher 2-3 Minuten zu spät zu einem Termin kamen ... besser gekommen wären. Der Toilettengang rettete uns das Leben, vier StraÃenzüge entfernt erschütterte eine schwere Explosion unser Auto. Das Haus neben unserem "Termin" war Ziel eines Anschlages. Wer ein Häuserviertel nach einer solchen Explosion gesehen hat weià was "Terror" ist.
- Bilder zu sehen wie so viele Menschen leiden, die verschiedenen Stufen der Trauer durchlaufen, von der Sprachlosigkeit bis hin zur Aggression.
- erschreckende Bilder zu sehen, von denen ich meine, das sie nicht repräsentativ sind, wie jubelnde Menschen in Palästina in den StraÃen skandieren ... um bei genaueren hinsehen erkennen zu müssen, wie so oft, daà es fast auschlieÃlich Kinder und/oder Jugendliche sind. Kinder, wo das Gift der Propaganda und falschen Vorbildes seine Wirkung zeigt, zu sehen wie die nächste Generation der haÃerfüllten "Kämpfer" heranwächst. Daran erinnert zu werden, wie hilflos ich vor vielen Jahren selbst war, trainiert und hochspezilisiert für die Antiterrorbekämfung worden zu sein ... um dann einen Einsatz in den StraÃen von Belfast zu erleben, wo man innerhalb von Sekunden von einer Flut von "Terroristen", ca. 100, "überfallen" wurde, die aus Häusern, Gängen und SeitenstraÃen einstürmten, Steine und Mollies warfen, man sofort die Waffe in Anschlag nahm um dann festzustellen, daà eine Horde Kinder zwischen vielleicht 6-12,13 Jagd auf einen machte. Daran erinnert zu werden, wie bei einem nächtlichen Patroulliengang (stehts zu viert) ein Freund von hinten aus dem Dunkeln von einem Terroristen, im Kampfanzug und Schnellfeuergewehr, schreihend angegriffen wurde, er sich in Notwehr verteitigte und feuerte, und tötete. Dies war sein letzter Akt als Soldat, er ist bis zum heutigen Tag ein in sich verschlossener Mensch, schweigsam, unfähig einer konzentrierten Aktion oder Arbeit nachzugehen. Der "Terrorist" war ein groÃgewachsener 10-jähriger "Rambo" der meinte "Terrorist" spielen zu müssen. Zu jener Zeit konnte man für Kinder realistische Kampfanzüge und Plastikwaffen im freien Handel kaufen. So schmerzt es mich z.B. jedes Mal sehen zu müssen wie hochtrainierte israelische Soldaten Kindern und Jugendlichen gegenüber stehen müssen, mit völlig fanatisierten Müttern im Hintergrund. Das tut weh.
- zu erleben, daà meine jetzige Heimatstadt inmitten von vier groÃen US-Basen liegt. Die Stadt sonst mit Amerikanern pulsiert, die letzten Tage kein Soldat in der Stadt zu sehen ist, keine Familienmitglieder.
- sich fragt was man tun kann, nicht viel. Höchstens Akte der Solidarität zu zeigen, der Botschaft und dem Amerikahaus Faxe der Kondolenz schickt. Kleine Akte der Aufmerksamkeit tätigt. Und wenn man sich selbst zuhört, reinfühlt, Aug und Ohren offenhält man feststellt das es kleine Wege gelegentlich gibt. So man an den Kasernen vorbeifährt und die im Regen und Kälte wacheschiebenden Soldaten (inkl. z.T. deutscher Polizei) und man wendet, in die Stadt zurückfährt und bei McFress einkauft. Den Soldaten dann anshlieÃend einen Kaffee und einen Cheeseburger in die Hand drückt (den dt. Polizisten auch). Die deutschen gucken einen groà an (Marke: Wasn das fürn Batzi?), die Yanks neigen z.T. den Kopf um haben Tränen, man spricht miteinander. Es ist nicht viel, aber ich sehe es hilft auf ihre Schulterflagge zu zeigen und ihnen zu sagen: "Good to have you fellas here! Thank you! And by the way ... go and get them!" Das aufblitzen in den Augen der Jungs und Mädels in Uniform ist es wert. Fast jeder dritte Soldat hier ist eine Frau, selbst die Standortkommandantin ist eine Frau.
- daran zu denken, daà die Amis hart und gezielt zuschlagen werden, am rechten Ort, zur rechten Zeit ... und zu wissen, daà z.B. die Briten ihnen die Flanken sichern werden, schon dabei sind, insbesondere die Spezialisten vom Special Air Service (SAS) schon längst abgetaucht sind um die Jagd auf die Initiatoren vorzubereiten.
- zu erleben, wie solche Ereignisse ein klares Signal setzen was wirklich in diesem Leben von Wichtigkeit ist, und das ist z.B. nicht der Mormonismus. Zu erleben, wie Menschen ohne Rücksicht auf Religion, Ãberzeugung, Herkunft, Hautfarbe etc. Seite an Seite stehen um sich zu unterstützen, mitfühlen, mitleiden, alles trennende abstreifen ... für einige Momente. Das läÃt hoffen.