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Beitrag 15 von 45 Beiträgen.
Seite erstellt am 28.4.24 um 23:20 Uhr
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der Beitrag:
Verfasser: shana
Datum: Montag, den 23. Mai 2005, um 18:10 Uhr
Betrifft: lange und unübersichtliche Antwort

ein paar spontane und deshalb ziemlich ungeordnete (wirre?) Gedanken meinerseits dazu:

>Dass da jemand nach Sicherheit in einer bedrohlichen Welt sucht, ist mit Sicherheit so. Heisst das aber, dass deswegen sein Zeugnis weniger Wert ist? Zählt sein Zeugnis nicht? Und selbst wenn es das ist, vielleicht verändert sich sein Zeugnis ja noch?

Was ist überhaupt ein Zeugnis, wie sehr beeinflusst Wünschen unser Erfahren?
Erfahrungen im Tempel, andere geistige Erlebnisse: was ’erscheint’ uns überhaupt, welche Form nimmt es an, um sich mit uns zu verständigen, können nichtexistente ’Götter’ erscheinen, nur weil Menschen in ihren Köpfen die entsprechenden Götterbilder erschaffen haben?

>dass man sich in Gänze im Detail verlieren kann

Deswegen sollte man sich vielleicht ganz radikal nur an den Basisdaten orientieren. Ist das Buch Mormon das, was Joseph Smith von ihm behauptet hat? Ja oder Nein. Die Folge von nein: den ganzen Mormonismus kann man vergessen. Punkt Schluss Ende.

>Als er dann die Kirche kennenlernte, wusste er "beyond a shadow of a doubt", dass die HLT-Kirche, diese wiederhergestellte Wahrheit hat.

Schön für ihn, aber wie lebt er dann  mit den ganzen Widersprüchen, dass uninspirierte sogenannte Propheten und Apostel von den Gläubigen willkürlich blinden Gehorsam verlangen, weit ab von allem Christlichen, vom ’Unbekannten Göttlichen’ ganz zu schweigen. Und wenn er damit leben kann, ist das ja o.k. und niemand sollte es ihm ausreden, solange er dabei glücklich ist und niemand zu Schaden kommt. Aber Menschen, die Gott anders erfahren oder mit den Widersprüchen nicht klar kommen, hilft das überhaupt nicht weiter.

Teilweise verstehe ich dich ja. Nicht, dass mir ’Gott’ auch nur einmal darauf geantwortet hätte, ob die Kirche wahr ist. Ich hatte eigentlich in helleren Momenten immer den Eindruck, dass er mein ständiges Fragen und mit dem Kopf an die Wand rennen, amüsiert beobachtete. Einerseits mein ständiges Betteln: Ich will hier rein. Andererseits mein Absicherungsgebet: Aber, lieber Gott, lass auf keinen Fall zu, dass ich mich taufen lasse, wenn das nicht deine einzig wahre Kirche ist :-)
Aber ich hatte jede Menge geistige Erlebnisse, die mich sehr wohl beeinflusst haben, jahrelang auf ein ’richtiges’ Zeugnis zu warten. Ich sah Mitglieder kommen und gehen, las Ausstrittserklärungen und erfuhr immer mehr über die Kirche, was mich alles nicht abschreckte, mich aber auch nicht direkt glücklich, sondern eher depressiv machte.
Ich sah immer deutlicher und klarer: eigentlich stimmt überhaupt nichts an der ganzen Sache, aber warum spüre ich dann den Geist so stark?  Wollte etwas in mir nicht von meinem Kindertraum von der schönen heilen Mormonenwelt lassen, wollte ich mir nicht eingestehen, dass ich mich mit einer fixen Idee in einer Sackgasse verrannt hatte? Ich weiss es nicht. Gleichzeitig hat es mich auf die Dauer jedoch wirklich angekotzt oder zumindest immer mehr angeödet, dass meine immer gleichen gebetsmühlenartig vorgetragenen Fragen einfach nicht oder nicht befriedigend beantwortet wurden, ja die Antworten/Erklärungen über die Jahre sogar immer lahmer, einfallsloser, um nicht zu sagen schwachsinniger wurden. Und wenn es mit meinem Verstand auch nicht allzuweit her ist. Es fällt auf die Dauer einfach schwer zu glauben, dass die Erde eine Scheibe ist und wenn der ’Gott der Scheibenwelt’/oder das eigene Wünschen? einem dazu noch so tolle Gefühle vermittelt.

>wenn sie nicht vorher schon ein sehr starkes Zeugnis - ein spirituelles Zeugnis - hatten, das ihnen triftige Gründe bietet, in der Kirche zu bleiben.

Was ist ein Zeugnis wert, das einen langsam aber sicher in den Wahnsinn/ auf jeden Fall aber in Depressionen treibt, weil es einfach im Gegensatz zur Realität steht ? Glauben gegen Wissen. Gerade beim Mormonismus, der doch teilweise recht engstirnig ist - muss man da nicht immer das Gesamtpaket abnehmen? Andere Kirchen, Konfessionen, Religionen, Glaubenssysteme lassen dem einzelnen hier teilweise mehr Freiraum für eigenständiges Denken, Interpretieren.

>Ich kenne einen Familienvater, der gäbe wer weiss was dafür, wenn er dieses Zeugnis nicht hätte, damit er dann endlich der Kirche in seinem Leben den Tritt versetzen kann. Er hat aber leider dieses Zeugnis und sieht sich daher in der Zwickmühle, aus der er kein Entkommen sieht. Er hat was im Tempel erlebt und kann das nicht leugnen

Vielleicht sollte er einfach mal Gott fragen, was der ganze Sch... soll? Warum hat Gott uns den Verstand gegeben, wenn nicht dazu, ihn auch zu benutzen? Warum zwingt Gott uns in den Wahnsinn oder dazu, gegen besseres Wissen irgendwelche Märchen zu glauben, und ist es wirklich Gott, der das von uns verlangt, oder gaukeln wir uns selbst irgend etwas vor?

>Das, was ich in einem Glauben suche ist doch eher Richtung oder Erlösung oder Vergebung usw.

Vielleicht ist das der Knackpunkt. Wer nicht das Bedürfnis hat z.B. nach Erlösung oder Vergebung zu suchen, wird Gott vielleicht ganz anders erfahren.
Vielleicht finden wir immer nur den Gott, den wir suchen, und den Volltreffer landet derjenige, der überhaupt nichts bestimmtes sucht, weil derjenige dem, was Gott tatsächlich ist, noch am nächsten kommen kann, einfach, weil er ihm leer begegnet und so Gott besser aufnehmen/erfahren kann?

Vielleicht sollten die Menschen auch langsam mal etwas selbständiger, erwachsener werden? Und selbstbewusst sagen, was mich krank macht, lehne ich ab. Punkt. Wenn es einen Gott gibt, der Sinn macht, will er mein bestes, was mich auf die Dauer irre macht, ist abzulehnen.

Sehr hilfreich war für mich z.B., mir einfach mal die Geschichte der Religionen vom religionswissensschaftlichen Standpunkt aus anzusehen. Wie entsteht eine Religion, was hat die eine Religion von der anderen übernommen, geklaut? Welche Kompromisse wurden eingegangen, um Kult/Religions-Mitglieder/Anhänger zu werben und zu halten? Für mich war das eine wirklich befreiende Angelegenheit, die mich endlich zur Ruhe kommen ließ und mich meines Erachtens dem Göttlichen wieder näher gebracht. Zurück zu den Anfängen meiner religiösen Suche.
Einfach zu erkennen, dass die ganzen Religionen eigentlich nur menschliches Denken, der jeweiligen Zeit entsprechend sind, und das wirklich Göttliche nur am Rande berühren. Gott lässt sich buchstäblich überall finden, weil er überall ist, deswegen macht es auch keinen Sinn, krankmachenden von Menschen ausgedachten religiösen Regeln zu folgen.

Zeitgemäss glauben finde ich, ist ein Schluss, den man daraus ziehen kann. Was nutzt es uns, wenn wir wissen, wie ein Gewitter entsteht und deshalb zwar nicht mehr glauben, dass Thor Donnerkeile schleudert, aber trotzdem noch die Bilder von Gott beibehalten, die sich unsere Urahnen machten? Sicherlich gefühlsmässig sind wir von Gott genausoweit entfernt/oder ihm so nah, wie unsere Vorvorderen, aber wozu den Verstand vergewaltigen mit überholten Götterbildern/Göttervorstellungen? Unsere Bilder sind genauso falsch, wie die der Ahnen, aber sie sollten wenigstens in die Zeit passen und vielleicht gibt es ja doch so etwas wie eine geistige Evolution und wir nähern uns mit unseren Bildern eines Tages der Wirklichkeit Gottes an, was aber eigentlich egal ist, da es hier ja um die geistige Vereinigung mit Gott geht. Gott sind die Bilder egal, warum also krankmachende verwenden, wenn es auch gesündere Bilder gibt? Das Ziel ist das gleiche  - Gott.

>So wie David Whitmer das getan hat, als er sagte, das sein Zeugnis davon, dass der Herr ihm geboten habe, sich von der Kirche zu trennen, weil sie abgefallen sei, ebenso stark ist, wie sein Zeugnis von der Göttlichkeit des Buches Mormon.
>Das ist doch eine starke Behauptung.

Und natürlich auch ein beliebtes Mittel, um sich die nach religiöser Orientierung suchenden Massen gefügig zu machen: Gott hat mir das und das mitgeteilt, lauscht und folgt meinen Worten. Das kann man dann glauben oder auch nicht.

Oder ein Mittel, um religiöse Gegner auszuhebeln: ok. du hast dies Zeugnis, aber mir hat Gott gesagt, ich soll das tun, so und nun sag mal was dagegen.

Greift Gott überhaupt auf diese Weise ein, in dem er persönlich Befehle erteilt?
Was gebietet Gott überhaupt und was macht das menschliche Unterbewusstsein?

>- Du sprichst das Schwarz-/Weissdenken an: War Christus ein Schwarz-/Weissdenker? Ist es wünschenswert ein Schwarz-/Weissdenker zu sein?

Das Problem hier ist, dass wir von Jesus so gut wie nichts wissen. Fast(?) alles nur Hörensagen. Deshalb selber überprüfen, welche Ãœberlieferungen kann ich mit meinem Verstand und meinem Gewissen vereinbaren, das gute behalten, das andere infrage stellen,  immer davon ausgehend, dass Gott das Leben ist und alles lebensfeindliche als nicht von Gott kommend zu betrachten ist. Jesus als Reformer (zeitgemässe Weiterentwicklung) des Judentums?
Nicht stehen bleiben, nicht an alten Zöpfen hängen, mutig vorwärtsgehen, sich auch mal in unbekanntes Terrain wagen. Was sind fromme Traditionen oft anderes als der überholte Zeitgeist entsprungen aus dem Weltbild von vorvorgestern. Was nicht heisst, dass man gleich alles über Bord werfen muss, nur weil es alt ist, manche Traditionen und alte Weisheiten haben ja durchaus ihren Sinn, sind sozusagen zeitlos gültig, aber was in welche Kategorie fällt, gilt es eben herauszufinden und allzuviel Ehrfurcht ist da oft fehl am Platz, aber einfach den gesundenen von Gott gegebenen Menschenverstand einzusetzen, kann da sehr hilfreich sein.
Respekt und Achtung vor dem Leben vor der Schöpfung: unbedingtes Ja.
Respekt und Achtung vor frommen Traditionen, vor dem, was Religionssysteme aus was auch immer für  geartetem Gründen (machtpolitische/finanzielle/tatsächlich religiöse ...) von den Gläubigen fordern: nur nach äusserst kritischer Untersuchung.

Zum Schluss, ja endlich ist es soweit,  noch’n Rilke Gedicht:-)

Wir dürfen dich nicht eigenmächtig malen

Wir dürfen dich nicht eigenmächtig malen,
du Dämmernde(r), aus der(dem) der Morgen stieg.
Wir holen aus den alten Farbenschalen
die gleichen Striche und die gleichen Strahlen,
mit denen dich der Heilige verschwieg.

Wir bauen Bilder vor dir auf wie Wände;
so dass schon tausend Mauern um dich stehn.
Denn dich verhüllen unsre frommen Hände,
sooft dich unsre Herzen offen sehn.

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