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Verfasser: Renate
Datum: Sonntag, den 30. November 2003, um 14:19 Uhr
Betrifft: Loslösungsweg

Hallo Henning,

der Druck deiner Familie ist meiner Meinung nach nicht wirklich gegen dich gerichtet, sondern gegen die, für deine Familie nur schwer zu ertragende, Tatsache, dass du von nun an einen neuen Weg gehen willst. Vor dieser, deiner Entscheidung gab es die heile Mormonen-Welt, die einen auch dann scheinbar aufgefangen hat, wenn mal etwas nicht in Ordnung war. Doch dieses Auffangen, die Antwort auf alles, war Selbstbetrug. Man hat geglaubt und sich  daran festgehalten, dass es für alles eine Lösung gibt, dass alles sinnvoll ist (im Sinne von Strafe und Belohnung)  und am Ende doch gut wird, wenn man nur genügend Glauben aufbringt. So lag auch die Schuld, wenn es einmal nicht so klappte, immer bei einem selbst. Was einen natürlich anspornte, es das nächste Mal besser zu machen, weniger "schuldig" zu sein. Die Realtität sieht aber anders aus. Im realem Leben gibt es nicht immer eine Lösung, manche Dinge muss man einfach hinnehmen, auch wenn man sie sich nicht erklären kann. Es gibt Verluste und Gewinne und Vieles dazwischen. Sinnlos ist aber trotzdem nichts, wenn man es als Lernprozess betrachtet, der einen wieder ein Stückchen klüger werden ließ.

>Nun gut, ich werde wohl jetzt erst einmal trotz des Drucks in der Familie die freie evangelische Gemeinde in unserer Nähe besuchen, in der Hoffnung, dass mir das seelischen Frieden und Ruhe geben kann. Aber sicher bin ich mir da keinesfalls.

Erwartungshaltungen sind niemals gut, weil es da Enttäuschung geben könnte, die man dann negativ bewertet und die für HLTs ja immer so ein Beweis sind, dass man auf dem falschen Weg ist. Doch auch das stimmt nicht. Enttäuschungen, zeitweise Leere, Sinnlosigkeit, Verlust und Schmerz sind ganz normal und gehören genau so zum Leben, wie Freude, Glück und Erfolg. Wenn uns so etwas geschieht ist das keine Bestrafung für mangelnden Gehorsam oder Glauben, wie die HLTs es uns einreden wollen - es ist Zufall, der sich aus der Kombination von zufällig zusammentreffenden Ereignissen ergibt. Wir entscheiden dann, wie wir damit umgehen. Es liegt an uns, wie sehr wir zulassen, in wie weit uns Negatives beherrscht. Also nichts erwarten, sondern sich einfach überraschen lassen, wenn da plötzlich etwas ist, dass sich als für uns gut und richtig herausstellt. Trotzdem wird es meist nichts völlig Konstantes bleiben, denn alles, was uns geschieht verändert uns selbst, hinterlässt Spuren, bringt neue Einstellungen, neue Sichtweisen, neue Werte, auch wenn das meist nur ganz subtil und kaum merkbar geschieht.

Du bist auf deinem ganz persönlichen Lebensweg, der kann gar nicht falsch sein. Egal wie du dein Leben lebst, welche Entscheidungen du auch immer triffst und was du auf deinem Weg loslassen musst, du wirst immer auch etwas gewinnen, neue Erfahrungen, neue Erkenntnisse und das Beste dabei ist, dass du alles hinterfragen und analysieren darfst, das für dich behalten, was dir richtig erscheint, auch wenn es später betrachtet vielleicht ein Fehler war. Der Mensch lebt um zu lernen, zu experimentieren, zu erkennen. Alles, worauf wir dabei achten sollten ist nur, Anderen dabei nach Möglichkeit keinen Schaden zuzufügen. Doch auch das ist manchmal unumgänglich, wenn wir uns selbst schützen müssen.

Ich denke, wenn man auf seine Mitmenschen eingeht, ihre Gefühle berücksichtigt und versucht ihnen zu erklären wieso man so und nicht anders handeln muss, dann liegt es an ihnen zu kooperieren, wenn ihnen an einem positiven Ergebnis gelegen ist. Probleme können nicht dadurch gelöst werden, dass nur Einer nachgibt und der Andere auf stur schaltet. Wenn du dem Anderen wichtig bist, wird er bereit sein mit dir gemeinsam einen Weg zu suchen. Ist diese Problemsituation noch sehr neu, dann ist man natürlich auch versucht, den Kopf in den Sand zu stecken und zu hoffen, dass sich die Probleme von selbst lösen. Man verliert sich da oft in diese "Was wäre wenn ich dies und jenes nicht getan hätte"-Fragen, aber das ist verschwendete Zeit und Energie, denn man kann nun mal in seiner Entwicklung keinen Rückschritt machen. Wenn das alle Betroffenen einsehen, ist schon viel gewonnen und es gibt eine gemeinsame Basis, auf der man ein neues Verständnis und Miteinander aufbauen kann.

>Noch immer fühle ich mich wie ein Antichrist, weil ich versuche, die Wahrheit zu finden und diesen Findungsprozess nicht für mich behalte. Aber selbst wenn ich ihn nur für mich allein austragen würde, fühlte ich mich immernoch wie ein treuloser Schuft.

Das ist nur zu verständlich. Es wurde dir - so wie allen Mitgliedern - ja jahrelang eingeredet, dass du zu gehorchen und zu funktionieren hast, weil du sonst zum Feind Gottes wirst. Nimm es also als dazu gehörendes Ablösungsgefühl einfach hin.

>Aber was ist, wenn Gott ein eifersüchtiger, zynischer, allmächtiger und strenger Despot ist. Was ist, wenn ich am letzten Tag erkenne, dass es egal war, ob es Nephiten je gegeben hat oder ob es mehr Widersprüche in der Kirchengeschichte und ihren Behauptungen gibt und gegeben hat, als ihr überhaupt lieb sein kann und ein wütender Gott mir sagt, Henning, weg von mir Du Übeltäter und Götzendiener und mich dann irgendein in Licht gekleideter Bruce R. McConkie oder Boyd K. Packer des Mormonenhimmels verweist?

Würdest du so einen Gott als deinen Herrn anerkennen können? Dich ihm unterordnen wollen? Du bist doch selbst Vater. Stelle dir vor, du wärest Gott, hättest diese Welt und alle Menschen erschaffen. Es sind deine Kinder, deine Geschöpfe. Würdest du als Vater nicht das Beste für sie wollen? Würdest du sie verstoßen, weil sie sich nicht deinen Launen fügen wollen, sondern ihrem Gewissen folgen? Würde ein allmächtiger allwissender Gott, der als Schöpfer dieser Welt, ja des gesamten Universums, logischerweise weitaus intelligenter und umsichtiger sein müsste als wir es jemals könnten, tatsächlich so ein kleiner mieser Despot sein können? Hätte so ein zynischer Egozentriker so etwas wie unsere Welt überhaupt schaffen können? So völlig durchdacht, durchplant und funktionierend? Wäre ihm da nicht sein eigener Kleingeist im Weg gestanden? Kannst du dir vorstellen, dass wir Menschen mehr Verständnis, mehr Toleranz, mehr Liebe für unsere Mitmenschen aufbringen können, als Gott es könnte? Ich habe mir bei meiner Loslösung von der Kirche immer gesagt, wenn ich mehr Liebe, Verständnis, Gerechtigkeitssinn, etc aufbringen kann als Gott, dann ist dieser Gott kein Gott, den ich anbeten will, weil er in meinen Augen versagt hätte, seine Intelligenz nicht ausreichend ist um seine eigenen Geschöpfe zu verstehen. So einen Gott könnte ich nicht akzeptieren und deshalb würde ich auch ganz sicher keine Ewigkeit mit ihm verbringen, mich nicht seinen Launen und Grausamkeiten ausliefern wollen.

>Ich bereite mir selbst, meiner Frau, meinen Bekannten und sicher auch irgendwann meinen Kindern Kummer.

Nein, sie bereiten sich selbst Kummer! Weil sie deine Entscheidung, deine Erkenntnis nicht akzeptieren wollen, weil es für sie natürlich viel bequemer wäre, wenn alles in gewohnten Bahnen bliebe, mit (wenn auch nur scheinbaren) Erklärungen für alles. Nimm nicht alle Schuld auf dich, das bedeutet natürlich nicht, dass du sie damit den Anderen zuschiebst. Manchmal hat einfach keiner Schuld - so ist es im real life.;-)

Sekten, wie die HLT-Kirche, erziehen ihre Mitglieder zu Gehorsam, anders kann so ein System, das auf so einer unsicheren Basis steht, nicht funktionieren. Das geht nur mit Drill zu bedingungslosem Gehorsam. Zeit und Muße nach zu denken wird mit permanenter Beschäftigung unterbunden, Kritik oder auch nur Hinterfragen mit Drohung im Keim erstickt, denn allein das ist schon gefährlich für solche Systeme. Ihnen geht es nur um Macht und Reichtum. Denkst du wirklich, ein Gott, der dieses perfekt funktionierende Universum geschaffen hat, könnte die gleiche Motivation besitzen? Wozu hätte er dann seinen Geschöpfen den freien Willen geben sollen? Wäre es für ihn nicht weitaus einfacher gewesen und seiner despotischen Seele dienlicher, wenn er sich solche Marionetten, wie die HLT-Kirche sie bewusst hervorbringt, geschaffen hätte?

Solche Organisationen lügen ihren Mitgliedern zwar vor, dass sie Entscheidungsfreiheit hätten, aber in Wahrheit drohen sie mit Strafen, wenn man nicht den vorgeschriebenen Weg geht. Sie arbeiten mit dem Druck der Angst vor Verdammung und dem ewigen Tod. Diese Angst und die Zweifel, die du jetzt spürst, sind ein Produkt dieser jahrelangen Manipulation. Du bist dabei, dich davon zu befreien, aber das geht nicht so einfach kontinuierlich vor sich. Es wird immer wieder geschehen, dass du einen Schritt vorwärts machst und vielleicht drei zurück. Aber irgendwann wird das alles hinter dir liegen und du wirst dich nicht einmal mehr umschauen, außer um zu sehen welchen Kindergarten, du da verlassen hast und du wirst den Kopf schütteln und nicht mehr verstehen, wie dich das so lange festhalten konnte. Das aber nur gefühlsmäßig, mit deinem Verstand wirst du verstehen, wieso das so lange funktioniert hat. Es ist ein - bis ins kleinste Detail - durchdachtes System, das fast perfekt auf die Sinneswahrnehmung der Menschen ausgerichtet ist, um sie über ihre Gefühle und psychischen Defizite zu kontrollieren und zu manipulieren. Sektensysteme sind von Kennern der menschlichen Psyche erdacht worden, es sind parasitäre Systeme, die nur durch ihre Opfer existieren können. Also müssen sie dementsprechend aufgebaut sein um ihre Opfer zu erreichen und zu benutzen.

>Nichtmormonen verstehen meine Denke nicht. Mormonen können sie nicht ertragen

Beides ist verständlich, siehe oben.

>und dort habe ich das Gefühl, dass ich mich noch mehr schuldig mache, wenn ich Dinge sage, weil ich Respekt vor ihrem Glauben und ihrem verletzlichen Zeugnis haben muss.

Nein, keinen Respekt vor ihrem Glauben und Zeugnis, denn beides ist eine Illusion, ist Betrug, Selbstbetrug. Respekt vor dem Menschen, das ist das Einzige. Das bedeutet nur, dass du nicht versuchen solltest, jeden von deiner Erkenntnis zu überzeugen, wenn er nichts davon  wissen will.  Ich mache das so, dass ich sinngemäß so argumentiere: "Ich respektiere dich als gläubigen Menschen, ich weiss aber, dass dieser Glaube auf Selbsttäuschung und Betrug beruht. Dafür habe ich Beweise. Wenn du mehr darüber wissen willst, dann können wir reden, wenn du mich nur bekehren willst, dann lassen wir dieses Thema, denn dabei kannst du nur der Verlierer sein. Entweder wirst du beginnen zu zweifeln, oder du wirst nicht mehr darüber sprechen wollen, weil du die Fakten nicht ertragen kannst. Einen Weg dazwischen gibt es nicht, wenn dir dein Glaube wichtig ist."

>Hier im Forum kann NYU ein bischen Dampf ablassen und noch Betrachtungen-Online voranbringen und dann ist Ende.

Lass nur immer wieder mal Dampf ab, wenn dir danach ist. Dazu ist das Forum ja da.;-)

>Deswegen sage ich zu Dominique, dass sie ja überhaupt keine Ahnung hat, worauf sie sich einlässt, weil das Leben als verklärt lächelnder Moboter schlicht einfacher ist.

Klar ist es einfacher, aber auch eine Lüge, die sich irgendwann sowieso offenbart, auch wenn Manche sie auch dann noch verdrängen können. Die Belastung wird dadurch aber um Vieles größer.

>Es sind doch immer die Opfer, die in der Hölle landen.

Die Opfer gehen vielleicht durch die Hölle, während sie sich aus ihrer Opferrolle befreien, doch das ist kein Dauerzustand. Am Ende des Tunnels gibt es ein strahlendes Licht. Das Licht der Freiheit des eigenen Denkens, der eigenen Entscheidung seinen Lebensweg so zu gestalten, wie man es für richtig hält. Wie Elvira schon schrieb, man erkennt, dass man auch ohne Hilfe schwimmen kann, dass man selbst entscheidet, wie weit man hinausschwimmen will und selbst abschätzt, was für einen gut ist und was nicht. Diese neue Freiheit ist anfangs schwer zu benutzen, man wird ziemlich vorsichtig sein und nicht viel wagen, aber die Sicherheit kommt mit der Zeit und mit dem Lernen, was die Entscheidungen bewirken können. Es gibt kein Polarisieren mehr in Gut und Böse, man erkennt sehr viele feine verschiedene Nuancen, die zusammen verschiedene Bilder ergeben, die es erst mal abzuschätzen und einzuordnen gilt. Wenn man nur gelernt hat schwarz/weiß zu sehen, braucht man etwas Übung um mit den Farben so optimal wie möglich umgehen zu können.;-)

Verlier nicht den Mut. Und vor allem, suche die Schuld für deine negativen belastenden Gefühle nicht bei dir. Wenn du deine Wut oder deinen Schmerz in den richtigen Kanal leitest, kann dir beides auch Kraft geben auf dieses Licht am Ende des Tunnels zuzugehen.

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