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Verfasser: Elvira
Datum: Sonntag, den 30. November 2003, um 1:58 Uhr
Betrifft: Gardinenpredigt

Lieber Henning,
es ist mir bewusst, dass Du in  sehr schwierigen Lebensumständen steckst und Du ganz auf Dich alleine gestellt bist. Dennoch hier ein paar Gedanken zum weiterdenken.

>Noch immer fühle ich mich wie ein Antichrist, weil ich versuche, die Wahrheit zu finden und diesen Findungsprozess nicht für mich behalte.

Das hört sich an, als würden Dir Mitglieder gewaltig zusetzen.  Oder warum plagen, Dich plötzlich solche Schuldgefühle? Schau mal was sie mit Dir gemacht haben. Du musst Dich noch von so vielem lösen, auch davon, dass es die Wahrheit nicht gibt.

Habe auch ziemlich lange gebraucht, um das loszulassen. Man schwimmt in unsicherem Terrain, man hat Angst, es gibt nichts zum festhalten, bis man merkt, dass man das überhaupt nicht braucht. Man schwimmt auch ohne Hilfe und säuft nicht ab. Bis man das merkt, muss man allerdings die Spannung und die Angst zu ertrinken ertragen.

>Aber selbst wenn ich ihn nur für mich allein austragen würde, fühlte ich mich immernoch wie ein treuloser Schuft. Ich bin nach wie vor völlig mit mir selbst uneins. Ich weiss nur eines.

Henning das gehört dazu! Du hast jahrelang nur in eine Richtung denken dürfen und nun entdeckst Du, dass es noch so viele andere Richtungen gibt, und dass sie keineswegs alle vom Satan sind. Es wäre ein Wunder, wenn man da nicht ziemlich durcheinander würde. Du fängst jetzt an selbständig zu denken und zu „bewerten“, vorher hatte man Dir das alles abgenommen. Wie solltest Du das nun plötzlich perfekt können?

>Ich kann diese mormonischen Worte und diese Lehren und die schlichte Propaganda aus den vielfach beschriebenen Gründen nicht mehr ertragen.

Genau das zählt, dass Du diese Lügen nicht mehr mittragen kannst.

>Aber was ist, wenn Gott ein eifersüchtiger, zynischer, allmächtiger und strenger Despot ist. Was ist, wenn ich am letzten Tag erkenne, dass es egal war, ob es Nephiten je gegeben hat oder ob es mehr Widersprüche in der Kirchengeschichte und ihren Behauptungen gibt und gegeben hat, als ihr überhaupt lieb sein kann und ein wütender Gott mir sagt, Henning, weg von mir Du Übeltäter und Götzendiener und mich dann irgendein in Licht gekleideter Bruce R. McConkie oder Boyd K. Packer des Mormonenhimmels verweist?

Willst Du denn noch in einem Mormonenhimmel selig werden? Würdest Du das glücklich sein können,  Ewigkeiten lang? Du bist doch schon hier damit nicht glücklich geworden. Du kannst doch schon hier nicht mehr mit ihnen leben! Wonach also sehnst Du Dich?

Wenn Du reumütig zurück kehrst, könnte es auch sein, dass Du am Ende Deines Lebens erkennst, dass du umsonst die Mormonenlüge gelebt hast und was dann?

(Und nur als kleiner Trost: Nicht nur Du, sondern wir alle Abgefallenen würden dieses Himmels verwiesen werden und dann Dein Schicksal teilen. So eine schlechte Gesellschaft sind wir doch nicht.;-) )

Und ein ernster Trost steht in Römer 8, 37

>Seit Jahren habe ich doch nicht mehr mein geistiges Haupt erhoben, um dem Herrn selbstbewusst ins Angesicht zu blicken, ich armer Schlumpf.
>Ich bereite mir selbst meiner Frau, meinen Bekannten und sicher auch irgendwann meinen Kindern Kummer.

Dir geht es gerade nicht gut, Deine Frau sähe Dich lieber in der Kirche und sie vermisst wohl den Segen des Priestertums in ihrer Familie, sie leidet sicher. Aber langfristig, wirst Du wohl unglücklich sein, weil Du das Mo- leben nicht mehr führen kannst und ob Ihr dann eine bessere Beziehung haben werdet?
Du kannst Deiner Frau und Deinen Kindern auf andere Weise zeigen, dass Du sie liebst und Deinen Pflichten genauso nachkommst wie bisher. Das nimmt ihnen vielleicht etwas die Angst. Und vielleicht lernen sie mit der Zeit ihrem Mormonengott zu misstrauen, der von ihnen verlangt den Geliebten und Vater als verloren anzusehen.

>Abgefallener zu werden ist der letzte Scheiss. Ich gehe auf Eiern. Ich muss mich doch total zurückhalten, darf bei meinen Mitmenschen keine Argumente liefern. Nichtmormonen verstehen meine Denke nicht.

Nein, das können sie auch nicht. Ich habe in meiner auf „Eiern- gehen-Phase“ viele Gespräche mit einem Pastor geführt. Er hat nicht kapiert, was ich wollte. Was wollte ich ? Ich war so geprägt von der mormonischen Denke, dass ich im Grund nur wieder so was gesucht habe. Die Lösung hat nur das  radikale Loslassen gebracht, nichts mehr wollen zum festhalten, sich ganz frei geben. Ich habe lange gebraucht und meine Umgebung zuweilen damit verrückt gemacht

> Mormonen können sie nicht ertragen und dort habe ich das Gefühl, dass ich mich noch mehr schuldig mache, wenn ich Dinge sage, weil ich Respekt vor ihrem Glauben und ihrem verletzlichen Zeugnis haben muss.

Auch das ist mir vertraut. Wenn Du selbst in der Kirche in einer Position bist, wo nicht mehr viele über Dir kommen und Du Dein eigener Seelsorger sein musst. Wenn jedes noch so vorsichtige Gespräch in dem Du Deine Zweifel anschneidest, sofort vom Gegenüber abgebrochen wird. Wenn  Du Gerüchte über Dich zu hören bekommst oder schlimmer, mitleidige Blicke und verurteilende Briefe. Wie sollte man sich da noch gut fühlen?

Wenn Du noch so viel Respekt vor ihrem Glauben hast, dann geh nicht mehr hin. Mute Dir das nicht mehr zu, denn es ist sinnlos. Aber lade Dir bitte nicht eine Schuld auf, die es nicht gibt. Du tust nichts anderes, als die Dir von Gott gegebene Kraft und Kreativität Deiner Gedanken leben. Ich würde sogar noch ein Stück weiter gehen und sagen, wer von denen die Dir so zusetzen nicht den Mut hat, sich ernsthaft auf Deine Zweifel einzulassen, der hat das Recht über Dich zu richten schon lange verwirkt.

So das musste jetzt raus aus mir. Ich wünsch Dir von Herzen einen friedvollen Adventssonntag.

Elvira

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