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Verfasser: Teefax
Datum: Donnerstag, den 20. November 2003, um 22:07 Uhr
Betrifft: In God We Trust

Als ich zum erstenmal ein Buch Mormon in der Hand hielt, war die spontane Frage die ich mir stellte: "Warum in Amerika ?" Zahlreiche Klischees gingen mir durch den Kopf und unter anderem fragte ich mich auch, wie ich denn reagieren würde, wenn man mir erzählen würde daß Jesus seine Kirche in Rußland wiederhergestellt hätte.

Eine etwas realistischere Darstellung der Thematik könnte heute eventuell folgender Buchtipp bringen:

USA / In Amerika gehört die Religion von Beginn an zur Politik – und umgekehrt

Bibel, Dollar und Gebete

Rainer Prätorius stellt dar, welche große Rolle der Glaube auf der anderen Seite des Atlantiks spielt. So wurde der Irak-Krieg zum „Kreuzzug“.

Autor: FRIEDERICH MIELKE

Fanatiker, Fundamentalisten, Sektierer, solche Begriffe fallen vielen Europäern ein, wenn sie auf die Religiosität der Amerikaner angesprochen werden. Die Glaubensbekundungen nach dem 11. September jenseits des Atlantiks sind noch in guter Erinnerung. Europäische Intellektuelle halten diese Religiosität, Wehrhaftigkeit und Heimatliebe der meisten Amerikaner für übertrieben.
Wer derart gottgläubig ist, so ist zu hören, ist kein aufgeklärter Bürger. Amerikaner würden zu viel beten, gingen zu oft zur Kirche und beschäftigen zu viele Pastoren. Kurzum, „Gottes eigenes Land“ gehöre nicht mehr zum euro-atlantischen Kulturkreis, die peripheren Kulturunterschiede zwischen Amerikanern und Europäern hätten die transatlantische Wertegemeinschaft aufgelöst.

Diese Kritik an der amerikanischen Religiosität ist nicht neu. Wer Amerika kennt, hat diese Vorurteile oft gehört: Der Justizminister ist ein Pfingstler, der Präsident redet vom „Kreuzzug“, und im Weißen Haus genauso wie in Ministerien und Botschaften werden Bibelstunden abgehalten. Bush, Gott und die Welt sind Lieblingsthemen der Feuilletons. Der Spruch „God bless America“ gilt als suspekt. Amerikaner werden als puritanische Fanatiker dargestellt, ihre Gottgläubigkeit sei ideologisch begründet: Bibel und Dollar als seelisch-materielle Grundlage der amerikanischen Zivilreligion.

Das Thema will sachlich und gründlich behandelt werden. Bisher hat es dazu viel Polemik in den Feuilletons gegeben, jetzt allerdings erscheint ein Buch, das Vorurteile ausräumt und den Leser genau informiert. Rainer Prätorius’ Werk „In God We Trust“ füllt eine Wissenslücke. Es hilft, die religiösen Eigenarten der USA zu verstehen und den kirchlichen Pluralismus der amerikanischen Gesellschaft zu erklären.

Prätorius ist Professor für Verwaltungswissenschaft an der Hochschule der Bundeswehr in Hamburg. Sein Buch unterstreicht die historische Bedeutung des Themas: „Es gibt praktisch keine Wegmarke in der Entwicklung dieser Nation, bei der die Religion nicht einen bedeutenden Einfluss ausgeübt hat.“

Die nordamerikanischen Staaten gelten als Geschöpf religiöser Dissidenten. Ein bunter religiöser Flickenteppich entstand. Puritaner, Presbyterianer, Kalvinisten, Täufer oder Anglikaner haben das Land gegründet. Die „Pilgrim Fathers“ kennt jedes Schulkind. Als religiöse Enthusiasten wollten sie die Staatsmacht von Menschen fern halten, die genauso enthusiastisch waren wie sie selbst. In der Wunschwelt der Amerikaner sollte eine „neue Welt“ entstehen, in der das politische Leben so geordnet war, dass es von Gottes Größe und der Ausgewähltheit des Volkes Zeugnis ablegt.

In der Geschichte der USA wurde der Weg der eigenen Nation in biblischen Allegorien gedeutet. Die frühen Siedler erklärten ihr Schicksal alttestamentarisch. Der Puritaner John Winthrop wollte mit Boston eine „city on the hill“ – ein neues Jerusalem – errichten. Die amerikanischen Gründungsväter schufen jedoch keinen Kirchenstaat, sondern ganz im Gegenteil eine säkulare Ordnung.

Der erste Verfassungszusatz verbürgte die Religionsfreiheit. Die Verfassungsgarantie untersagte die Errichtung einer Staatskirche und verbot eine Gesetzgebung unter Berufung auf Religion. Prätorius arbeitet die religiösen Symbole und Bekundungen heraus, die das öffentliche Leben der Gründungsepoche überfluteten. Amerikaner müssen ihren Bund mit Gott ständig neu inszenieren. Die amerikanische Kultur zeigt einen großen Hang zum öffentlichen Bekennertum. Sie ist „protestantisch“, da über das Zeugnisablegen, das im religiösen Leben wichtig ist, dieser Stil auch die Politik geprägt hat.

Die Projektionen des Weltgerichtsszenarios, die Gleichsetzung der eigenen Nation mit einem neuen Zeitalter, die Verdammung des „alten Europa“ und des Katholizismus enthielten die Behauptung, Amerikaner würden in „God’s own country“ leben. Diese Kombination aus Erwähltheit und Selbstbezug hat die amerikanische Kultur bis heute dauerhaft geprägt.

Prätorius vermeidet die Aufzählung und Darstellung der vielen protestantischen Kirchen und beschreibt die wichtigsten Konfessionsgemeinschaften – die Methodisten, Presbyterianer, Lutheraner, Baptisten, „evangelikalen“ und fundamentalistischen Enthusiasten, „Pentecostals“, „Promise Keepers“, „Born again“-Christen und Manager der „Electronic Church“. Unterschiedliche Glaubensrichtungen können dabei mit anderen Konfessionen in bestimmten Richtungsaussagen übereinstimmen – wenn auch nur in Ausnahmefällen, so zum Beispiel die gemeinsame Front der Evangelikalen und der katholischen Bischöfe gegen eine liberalisierte Schwangerschaftsunterbrechung.

Für Prätorius war „die römisch-katholische Kirche immer eine Multikulti-Einrichtung, was sich mit ihrem universalen Anspruch vertrug“. Das Zweite Vatikanische Konzil hat das Selbstverständnis der amerikanischen Katholiken allerdings verändert. Das Konzil erlaubte die Lesung der heiligen Messe auf Englisch. Durch die Wahl des irischstämmigen John F. Kennedy zum ersten katholischen Präsidenten 1960 entstand das Gefühl, „mitten in der Gesellschaft“ zu stehen und einer „entstaubten“ Kirche anzugehören.

In den siebziger Jahren erschien die römisch-katholische Kirche als Bastion der religiösen Linken. Die katholische Kirche wurde zum öffentlichen „Schlachtfeld der Kulturkämpfe“. Heute lassen sich die Katholiken politisch nicht vereinnahmen: Sie gehören zur Mitte und sind eine umworbene politische Klientel.

Der Autor hält den amerikanischen Pluralismus für ein Erfolgsmodell. Die Absicht des ersten Verfassungszusatzes, eine freiheitsraubende Staatsreligion zu verhindern, sei verwirklicht worden. Religiosität sei im öffentlichen Leben sehr wichtig; eine bestimmte Religion hätte aber nie so viel Einfluss auf politische Prozesse, dass Minderheitsmeinungen individuelle Lebensgestaltungen einschränken können. Im Frühjahr 2002 meinten 58 Prozent der Befragten, die Stärke der amerikanischen Nation läge im religiösen Glauben. 67 Prozent hielten die Bezeichnung der USA als „christliche Nation“ für zutreffend.

Prätorius führt den Leser durch den religiösen Dschungel Amerikas. Christen, Juden, Muslime, Sektierer, christliche Wissenschaftler, Mormonen und viele andere werden unter ein Dach gestellt: die Vereinigten Staaten als pluralistische und heterogene Gesellschaft. Das Buch klärt auf und vernichtet Klischees. Es sei allen empfohlen, die einen wichtigen Aspekt der amerikanischen Wirklichkeit kennen und verstehen wollen.

Rainer Prätorius: In God We Trust. Religion und Politik in den USA. Verlag C. H. Beck, München 2003. 205 Seiten, 12,90 EUR.

http://www.merkur.de/aktuell/po/pb_034301.html

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