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der Beitrag:
Verfasser: Nyu
Datum: Montag, den 7. Juli 2003, um 15:29 Uhr
Betrifft: Henning findet, dass

es ihm schwerfällt, sich ein "label" auf die Stirn zu kleben und dann herumzulaufen und z.B. zu verkünden "ich bin Christ, ich bin Christ..."
Mormonen sagen: "Wir sind Christen, weil..." und verteidigen sich dann vorrauseilend.
Die Bapisten sagen dann: "Ihr seid keine Christen, weil... Wir aber SIND Christen..." usw.
Dass heisst, in unserer "westlichen", "liberalen", "abendländischen" und "CHRISTLICHEN" Wertegesellschaft gilt "Christ" als Wert an sich. Alles andere ist im besten Fall "anders" und im schlimmsten Fall, wie bei den fundamentalistischen Christen "verloren".
Nun zu meiner Lebensanschauung:
Ich finde es auch gerade jetzt noch sehr interessant, zu beobachten, dass es mir derzeit nur schwer möglich ist, mir ein solches Label "Christ", "Atheist", "Agnostiker", "Buddhist" oder sonstirgendetwas anzuheften.
Nachdem ich die emotionale Bindung zur Mormonenkirche verloren hatte, verlor ich interessanterweise auch die emotionale Bindung zu tieferliegenden "christlichen" Glaubensstrukturen, die ich bislang als gegeben hinnahm. Ich hatte damit gar nicht gerechnet. Plötzlich stelle ich fest, dass da auch in der Bibel viele Dinge stehen, die ich grundweg ablehnen muss. Vorher hatte ich diese Dinge immer naiv übersehen, z.B. der urchristlichen Lehre, dass eine Beziehung mit einer Geschiedenen Ehebruch ist und sonstige andere Dinge aus der Kirchenzucht.
 
Die Trennung Staat/Kirche fiel unseren gesammelten biblischen Referenzkulturen recht schwer. Es war halt als ethischer Wert noch nicht definiert worden. Selbst heute schaffen es Länder, wie z.B. jetzt ganz aktuell Italien und Polen nicht, diese Trennung als unanfechtbaren Wert in der rechtlichen Praxis umzusetzen und Ethik von "christlicher Ethik" zu trennen, siehe aktuelle Diskussion um die europäische Verfassung.
Das alte israelische Volk definierte sein Verständnis von Recht (z.B. wer seinen Vater oder seine Mutter schlägt, soll des Todes sterben) überhaupt erst aus dem Anspruch, das einzige verheissene Volk zu sein, selbst wenn es politisch so bedeutungslos war wie heute das Volk der Kurden.
Wenn ich mir denn schon ein Label aufsetzen muss, dann das des "Universalisten", allerdings aus christlicher Blickrichtung.
Für mich heisst das, dass wir Wahrheiten in allen Religionen finden können und dass die befreienden und eigenständigen Wahrheiten des Christentums mit denen des Buddhismus oder Islam nicht im Wettstreit stehen dürfen, sondern sie ergänzen sollten.
Ich bin allerdings auch kein Humanist, da meiner Meinung nach der Humanist seinen Ethos ja gerade unabhängig von einem Glauben an Gott definiert. Das tue ich nicht. Für mich ist Gott real und Christus mehr als ein Prophet und Lehrer.
Für mich war und ist Jesus Christus der Weg die Wahrheit und das Leben für die Völker abrahamischer Abstammung. Diese Meinung allein ist alles andere als humanistisch, kann aber universalistisch sein. Allerdings liegt meines Erachtens die Lösung der heutigen Probleme nicht in der Anbetung oder Vergötterung von Jesus, sondern in der Einsicht, dass das, was Jesus gelehrt hat, an sich wahr ist und richtig. Z.B. das Beispiel vom verlorenen Sohn oder das Gleichnis vom barmherzigen Samariter oder das Beispiel von dem  betenden Pharisäer und dem betenden Zöllner in der Synagoge usw. sind für mich universelle Lehren, die auch nichts von ihrer spirituellen Bedeutung verlieren, wenn der Zöllner ein sunnitischer Beamter und der Pharisäer ein schiitischer Iman wären, wenn ich dann immernoch die kulturellen Zusammenhänge verstehe.
 
Meinen gläubigen mormonischen Freunden erzähle ich immer, dass die Menschheit viel zu gross ist, als das die HLT die einzige Lösung für alle hätten. Diese Feststellung gilt auch für das Christentum. Aber: die Menschheit ist nicht zu gross für die Wahrheit Gottes, egal aus welchem Mund sie kommt. Und diese Wahrheit finde ich in ihrer Essenz in eben diesen oben genannten Gleichnissen und Wahrheiten.
Aller Streit dieser Welt ist zurückzuführen auf diese "label". Denn durch das "label" kommt das elitäre Denken, der Egoismus, dient als Rechtfertigung für die Habsucht usw. Alle Probleme dieser Welt finden ihren Ausdruck in dem "ich bin Christ und Du nicht", "ich bin bei den Cripps und Du bei den Bloods", "ich bin Hutu und Du bist Tutsi"... usw. Letztenendes also auch in dem "ich bin HLT und Du nicht." (obwohl zugegebenermassen gerade dieses letzte Beispiel im Vergleich zu den vorangegangenen erstaunlich bedeutungslos erscheint;-) ).

Viele Grüsse,
Henning

PS.: aus irgendeinem Grund habe ich von der Arbeit aus Probleme mit der "Betreffzeile". Hier wird neuerdings der erste Teil des Betreffs abgeschnitten und dann häufig zur Korrektur neu vorgelegt. - keine Ahnung, warum.

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