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Verfasser: Nyu
Datum: Dienstag, den 1. April 2003, um 10:12 Uhr
Betrifft: Mit der Religion ist das wohl so eine Sache

Hallo Elvira,

Du weisst, dass ich sehr zu schätzen weiss, was Du hier und woanders immer für Kredenzien verfasst, da ich den Eindruck habe, dass Du recht differenziert argumentierst und es Dir nicht zu einfach machst. Macht ja auch Sinn, denn Ihr hattet es nicht einfach im Loslösungsprozess.
Du schreibst:

> nun habe ich sehr mit mir gerungen, Dir auf Deinen Artikel zu schreiben.

Warum? Das verfasste muss Dir ja emotional nicht ganz einfach zugegangen sein.
Ich muss aber zugeben, dass es nur das langjährige Studium von Todesnäheerlebnissen mir zu einer universalistischen Weltanschauung verholfen hat. Von daher war und ist der Ablösungsprozess von der Kirche vielleicht auch nicht so mit grossem Krampf und Schrecken verlaufen, wie bei anderen. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an eine jüngere Äusserung eines Forummitglieds. Der oder diejenige beobachtete, dass das emotionale und psychische Gewicht des Loslösungsprozesses von der Kirche mit der Intensität des "Zeugnisses" zusammenhängt, das man gehabt hat. Mein Leben (der Herr?) hat mich langsam auf das jetzige Ergebnis vorbereitet. Das fing schon mit der Mission an. Wir hatten Missionare in unserer Mission, die in Erotik-Bars herumhingen, die rauchten, die mit anderen Mitgliedern oder Missionaren Sex hatten, die den Kilometerzähler der Autos manipulierten, da man ja nur eine bestimmte Menge an Meilen im Monat fahren durfte. Wir hatten Missionare, die regelmässig weit ausserhalb ihrer "area" oder auch Mission herumfuhren und sich eine schöne Woche machten. Wir hatten Missionare, die nicht gearbeitet hatten, bis sie meine Mitarbeiter wurden, Missionare, die sich prügelten. Ich hörte von "geheimen Verbindungen" unter Missionaren, die es sich zur Regel machten, jede Regel des "weissen Handbuchs" zu brechen und andere Missionare, z.B. Mitarbeiter von Mitgliedern der geheimen Verbindung, die petzen wollten, dann nachts einschüchterten oder sogar zusammenschlugen (dieses weiss ich allerdings nur vom hören-sagen und war selbst nicht dabei, da das einige wenige Monate vor meiner Zeit war). Das heisst also: ich muste mir hier einige Gedanken machen, wie ich damit umgehen sollte. Ich war zu Beginn meiner Mission ja auch erst 14 Monate Mitglied der Kirche und dachte natürlich, Missionare seien so wie die, die ich aus der Hamburg Mission kannte, nämlich fast perfekt.
Dann kam die Zeit, in der ich Zweigpräsident war. Schwierige Jahre. Geistige Erlebnisse, die in eine ganz andere Richtung deuteten. Ich rieb mich auf und weinte die Tränen der grossen Last auf meinen Schultern und des Unvermögens und der eigenen Unvollkommenheit.
 
Diese Dinge machen klar, dass der Loslösungsprozess schon vor 12 Jahren begann. Ich nenne es aber lieber "Emanzipationsprozess", denn ich hoffe, dass die Religiösität verschwindet, die Spiritualität und die Ethik aber bleibt. Bsp.: ich denke auch jetzt noch, dass es sich für einen würdevollen Menschen nicht gehört, sich besoffen daneben zu benehmen, trinke aber gerne auch mal ein oder zwei Bier mit oder trinke meinen Kaffee, wenn ich das für richtig halte und mache mir keine Gedanken um das "Wort der Weisheit" nach der Mormon Reformation von 1852. Das heisst also, ich habe versucht, die Lehren der Kirche in ihrem ethischen und moralischen Ursprung zu verstehen und für mein Leben umzusetzen, die Dogmen, den Fundamentalismus und den Mythos aber abzulehnen.
Du schreibst weiter:

> Für mich war es nicht länger möglich dabei zu bleiben, weil ich permanent damit im Konflikt war, was die HLT-Kirche predigte und von mir verlangte und dem was ich als richtig und absolut notwendig für mein Leben erachtet habe. Harmlos ausgedrückt für das wie ich es als kräfteraubende Zeit erlebet habe: Ich habe es irgendwann nicht mehr ausgehalten zu 99% Dinge gesagt zu bekommen, von deren Unsinnigkeit ich überzeugt war und von dem mageren 1%,  dem ich noch zustimmen konnte, mein Leben gestalten zu müssen.

Ich hoffe, dass ich oben dazu einiges geschrieben habe.
Ich weiss auch noch nicht, wo die Reise hingeht. Aber ich lade mich gerne ein, diese Reise u.a. in diesem Forum zu gehen;-)

Alles Liebe,
Henning

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