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Verfasser: Gunar
Datum: Sonntag, den 24. November 2002, um 2:08 Uhr
Betrifft: Neil LaBute setzt im Film «Possession» auf Romantik und Gwyneth Paltrow

SonntagsZeitung.ch
Kultur

Des Widerspenstigen Zähmung

Theater-Provokateur Neil LaBute setzt im Film «Possession» auf Romantik und Gwyneth Paltrow

VON MATTHIAS LERF

Gwyneth Paltrow hats getan. Neil LaBute hats getan. Alle habens getan. Alle haben in ihrem Leben einmal ein Gedicht geschrieben. Aber Neil LaBute hat darüber hinaus einen Film über die Kraft der Poesie gedreht. Er heisst «Possession» und ist garniert mit viktorianischen Kostümen, wärmenden Kaminfeuern und kühlenden Wasserfällen. Ein richtiges Schmachtstück im Stil von «The French Lieutenants Woman», in dem auch mal so existenzielle Fragen gestellt werden wie die, ob eine Frau ihr Haar offen tragen darf oder nicht.

Neil LaBute? Das ist doch ein Autor, der auf der Bühne vor nichts zurückschreckt. Dessen Stücke sich um triste Dinge drehen wie ungesühnte Morde («Bash»), ein entführtes Baby im Pinguinbecken des Zoos («The Distance From Here») oder eine Frau, die am 11.  September ihr Kind abtreibt und ihren Mann in den Twin Towers verliert («Land Of The Dead»). Neil LaBute ist doch gegenwärtig der angesagteste englischsprachige Theaterautor, der auch die deutschsprachigen Bühnen im Sturm erobert. Was hat der mit Wasserfällen und Gwyneth Paltrow am Hut?

Heute wird nur noch geredet und es ist sowieso alles kompliziert

«Ich mochte das Buch», antwortet der 39-jährige Amerikaner und kichert dabei in seinen Bart, weil er weiss, dass diese Antwort niemanden befriedigt. Die Buchvorlage, ein 1990 mit dem Booker-Preis ausgezeichneter Roman der Engländerin A. S. Byatt, hat zwar ihre Qualitäten. Doch die auf zwei Zeitebenen spielende Geschichte um eine viktorianische Dichterin und deren heimliche Leidenschaft ist eine so von Grund auf literarische Konstruktion, dass die Produktionsfirma Warner Bros. sie jahrelang liegen liess in der Hoffnung, es finde sich jemand, der sie ins «Shakespeare in Love»-Licht rücke. Wieso wollten ausgerechnet Sie das sein, Mister LaBute?

«Es geht um Beziehungen, und das ist das zentrale Thema in meinem Werk», sagt er jetzt. Auch diese Antwort kann kaum befriedigen, denn um Beziehungen geht es auch im neuen James Bond irgendwie. Wobei LaBute das schon ein wenig spezieller meint: Im kürzlich vom Stadttheater Bern erstmals in der Schweiz gespielten Stück «Das Mass der Dinge» beispielsweise glaubt ein Mann, eine Frau liebe ihn. Bis LaBute in einem Theatercoup alles auf den Kopf stellt.

«Das Mass der Dinge» ist eine moderne Reflexion über Beziehungen, Kunst und Vermarktung. «Possession» dagegen eine wohl ausgewogene Komposition, in der sich eine viktorianische Liebesgeschichte in der modernen Welt spiegelt. Gwyneth Paltrow und Aaron Eckhart sind zwei Literaturwissenschaftler, die einer Affäre auf die Spur kommen. Zugetragen hat sich diese 140 Jahre früher: Der Dichter Randolph Henry Ash (Jeremy Northam) und die Dichterin Christabel LaMotte (Jennifer Ehle) verliebten sich nicht zuletzt kraft ihrer Worte und lebten diese Liebe in einer kurzen, aber folgenreichen Affäre aus. Damals. Diese Entdeckung ist eine literaturhistorische Sensation. Aber das ist noch nicht alles: Natürlich kommt sich auch das Paar in der Gegenwart näher. Aber heute wird zuerst geredet und anschliessend geredet und dann immer noch geredet, und alles ist sowieso kompliziert. Wobei in «Possession» am Schluss doch die Romantik triumphiert. Wenigstens ein bisschen.

Neil LaBute mit den Hauptdarstellern Aaron Eckhart und Gwyneth Paltrow
Neil LaBute mit den Hauptdarstellern Aaron Eckhart und Gwyneth Paltrow

«Ich hatte keine Probleme, meine zynische Seite abzulegen», sagt LaBute. Das hingegen ist eine erstaunliche Aussage. Denn auch beim Filmen galt der Senkrechtstarter bis jetzt als Mann fürs Schwarze: Im Erstling, dem vielfach ausgezeichneten «In The Company Of Men», quälen zwei Männer eine hörbehinderte Frau. Der Zweitling, «Your Friends And Neighbors», wirft einen bitterbösen Blick auf das Paarungsverhalten moderner Grossstädter. Dann kam «Nurse Betty», eine ausgesprochen eigenwillige Mischung aus Krimi, Fernseh-Soap und Komödie mit der grandiosen Renée Zellweger. Und jetzt also «Possession», seine erste grosse Arbeit für ein Hollywoodstudio, bei der wie LaBute schelmisch sagt ein einziger Drehtag so viel gekostet habe wie sein ganzer Erstling.

In dieser kleinen Rechnung steckt viel: LaBute will sich nicht fassen lassen, er hat eine grosse Produktion gesucht, um vom Image des seine Worte «unabhängigen Schwarzmalers» loszukommen. Für das kommt ihm die warme Leidenschaft aus «Possession» gelegen.

Nichts bei LaBute ist so einfach, wie es scheint. Der Mann ist beispielsweise praktizierender Mormone, deutet aber an, dass er bei der Kirche «ein wenig in Ungnade gefallen» sei. Sein Vater war Lastwagenfahrer, der alles tat, um seinen Sohn von so nichtsnutzigem Tun wie dem Schreiben von Drehbüchern und Bühnenstücken abzuhalten. Und das, was LaBute weltbekannt machte, ist in kurzer Zeit entstanden: vier Filme und drei Theater in fünf Jahren. Klar, dass er sich da nicht auf eine Linie festlegen lassen will. So gibt es in nächster Zeit von ihm noch ein Stück zum 11. September. Dazu die von ihm selber inszenierte Verfilmung von «The Shape Of Things». In Vorbereitung ist ausserdem eine weitere Studiokiste: «The Wicker Man», das Remake eines Horrorfilms.

Alles ausprobieren also. Im Übrigen geht Neil LaBute pragmatisch vor. Wie wissen Sie eigentlich, ob aus dem, was Sie schreiben, ein Bühnenstück wird oder ein Film? «Wenn ich mit der Handlung im Zimmer bleibe, wirds ein Theater. Wenn ich aber Lust habe, ein wenig rauszugehen und Luft zu schnappen, wirds ein Film», antwortet er, und lacht wieder so, dass man vergisst zu überlegen, ob er schreibenderweise jetzt besser spazieren geht oder zu Hause bleibt.

Hauptsache, er schreibt. Bleibt leidenschaftlich böse. Oder einfach leidenschaftlich.

«Possession»: ab Donnerstag im Kino

http://www.sonntagszeitung.ch/sz/szUnterRubrik.html?ausgabeid=2714&rubrikid=116&ArtId=238448

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