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Verfasser: Gunar
Datum: Freitag, den 4. Oktober 2002, um 16:18 Uhr
Betrifft: „Taxi Driver“ – wie die Firma „CleanFlicks“ amerikanische Filme stubenrein macht

Süddeutsche Zeitung
Freitag, 4.10.2002

Die Stadt, der Tod und der Dreck

Zum Beispiel „Taxi Driver“ – wie die Firma „CleanFlicks“ amerikanische Filme stubenrein macht

Travis Bickle geht nicht ins Pornokino. Nach den langen Stunden am Steuer sinkt er in einen unschuldigen Schlaf. Schon das Pärchen, das in sein Taxi eingestiegen war, hatte keinen Sex auf dem Rücksitz. Und auf den guten Rat des Kollegen „Go on, get laid!“ – bumms mal wieder! – muss Travis verzichten. Das passiert wenn nun Cleanflicks Regie führt in einem Film, den es seit einem Vierteljahrhundert gibt und der ein Kultstück ist, das viele in- und auswendig kennen: Martin Scorseses „Taxi Driver“.

Der Vorwurf ist uralt: Gewalt und Sex in den Medien wirken aufreizend, die reine Stimulation. Sie verletzen Anstand, Enthaltsamkeit und andere Werte, lassen Schüler auf ihre Lehrer schießen, stürzen die Gesellschaft ins Chaos. Vor allem die Kirche der Heiligen der Letzten Tage fühlt sich medial erschüttert. Doch weil ihre Anhänger, die Mormonen, außer für eine rigide Moral auch für Diesseitigkeit und Pragmatismus stehen und keinesfalls in Sektierernischen landen wollen, schätzen auch sie gutes Kino-Entertainment. So begannen immer mehr Firmen aus Utah, dem Mormonen-Staat, Zensur als Dienstleistung anzubieten.

Die Kriterien ähneln sich, nur die Methoden variieren: Die Programme MovieMask und ClearPlay, die man herunterladen kann auf den eigenen Computer, bieten bis zu dreißig unterschiedlich strenge Zensurcodes für Filme an. Die Software erkennt die DVD, zaubert der nackten Kate Winslet in „Titanic“ ein Korsett, tilgt ein Wort oder überspringt eine Szene. Mit dem ähnlich funktionierenden Movie Shield kann der Zuschauer sich die Kriterien der Zensur aus acht Gruppen selbst zusammenstellen, von „Vain References to Deity“, in denen Gottes Namen missbraucht werden – „G*d, G*dd*m, J*s*s“ –, über Nacktszenen, „Szenen, in denen Objekte in den Körper eintreten“, „Szenen, die das Innere des Körpers auf grausame Weise zeigen“ bis hin zu Szenen, in denen die Schauspieler Unterwäsche tragen.

Am weitesten geht dabei der Pionier des sauberen Films, die Firma CleanFlicks und die Kollegen von Video II. Statt nur einen elektronischen Vorhang vor unerwünschte Szenen zu ziehen, bei dem der Film selbst nicht angetastet wird, setzen die Cutter von CleanFlicks die Schere an. Der Kunde kauft eine VHS-Kopie eines Films, schickt sie an CleanFlicks, zahl 50 Dollar und erhält sie zurück, nachdem die Filmchirurgen Sekunde für Sekunde des Films gesichtet und wo nötig operiert haben. „Wir wollen es unseren Kunden ersparen, sich einen Ehebruch ansehen zu müssen und am Ende ist wieder alles okay“, erklärt Cleanflicks-Chef John Dixon: „Es hat einfach Konsequenzen, wenn Drogen und Prostitution in den Medien glorifiziert werden.“

Gewöhnlich klärt CleanFlicks unmoralische Einbrüche in ansonsten familienfreundliche Hollywoodware. Wie also würden sie auf eine etwas härtere Nuss reagieren – „Taxi Driver“? Im Film selbst beginnt bereits die Diskussion, in die er dann schließlich geraten ist – der durchgedrehte Kämpfer gegen die Dekadenz verscherzt es sich mit seinem blonden Engel vom Wahlkampfbüro, als er sie beim Date arglos ins Pornokino schleppt.

Reinheitsgebot

Die ersten Schnitte in der sauberen Version sind kaum zu bemerken. Alles geht ein wenig zügiger voran als im Original – das sind die kleinen „fucks“ und „shits“, die Cleanflicks diskret beseitigt hat – mit einer einzigen Ausnahme: „Who (the fuck) do you think you’re talking to?“ Travis’ Exzess von „God’s lonely man“, der endlich aufsteht gegen „the scum, (the cunts,) the dogs, the filth, (the shit)“ wird sorgfältig handgesiebt. Meistens entgeht einem der kleine Bildsprung. Doch je tiefer Travis in seine Amokphantasien stürzt, desto umfangreicher werden die Schnitte. Scorseses Klassiker zerbröselt. Schon stürzen Travis und sein Girl aus dem Kino am Times Square, bevor sie es betreten haben.

Nicht selten staunt man weniger darüber, was der Zensor tilgte, als über das, was er akzeptabel fand. Als Travis einem Ladenbesitzer, der eben überfallen wird, mit einem Schuss auf den Gangster aushilft, bleibt Cleanflicks ungerührt. Erst wenn der Verkäufer dem Räuber dann mit einer Eisenstange den Rest gibt, wird es den Leuten in Utah zuviel! „Es ist natürlich eine sehr subjektive Auswahl“, gibt Dixon zu. Die größte Herausforderung für den anonymen Zensur war natürlich die große Schießerei am Ende, die sich nun in ein bizarres blutiges Ballett verwandelt hat. Da liegt plötzlich ein blutüberströmter Unbekannter auf dem Teppich, da sind rote Spritzer im Treppenhaus – woher? Unvermittelt kreischt Jodie Foster auf. Ist das Blut, was da im Hintergrund so vernehmlich gluckert? Warum liegt nun auch Travis am Boden?

Eine Viertelstunde fehlt am Ende – und dass es dennoch nicht gelang, Scorseses Amokepos zu einem sauberen Stück Unterhaltung zu stutzen, wissen auch die Cleanflicks-Leute: „Kein gutes Beispiel für unsere Arbeit“, sagen sie, und wollen den Film denn auch nicht in ihren Leihkatalog aufzunehmen. So leicht ihre Schere Flüchen, Blut und Busen beikommt, so stumpf erweist sie sich – wie alle Zensur – gegenüber den weniger leicht greifbaren Abgründigkeiten.

Doch außer mit kinematografischen Problemen muss CleanFlicks sich nun auch mit juristischen Fragen beschäftigen. Statt nur die von ihren Kunden erworbenen Videos zu bearbeiten, verkauft und verleiht die Firma die bereinigten Neuversionen in 70 Videotheken nun auch direkt. Auf die Empörung verschiedener Regisseure und Vertreter der amerikanischen Directors Guild reagierte der Chef einer Cleanflicks-Tochter aus Colorado seinerzeit mit einer Klage gegen 16 Regisseure, darunter Robert Altman, Steven Spielberg und Martin Scorsese, um sich den Verleih der veränderten Werke sanktionieren zu lassen. Er begründet seinen Vorstoß mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung.

Die Regisseure erhoben nun Gegenklage, um ihr Urheberrecht zu verteidigen. „Es ist gewissenlos und unethisch, sich des Werks eines anderen zu bedienen, es zu verändern und davon zu profitieren“, hält Steven Soderbergh, der Vizepräsident der Directors Guild, den Moralisten vor. Auch die großen Studios werden ein wenig nervös – allzu laut aber wollen sie in diesen schwierigen Zeiten nicht gegen die Werteverteidiger zu Felde ziehen. Also drehen sie den Spieß geschickt um: „Da könnte man ja auch den umgekehrten Weg gehen“, sagt Alan Horn, Präsident von Warner Brothers, „und mehr Sex und Gewalt in die Filme einbauen!“

Dieser gemäßigte Ton und die späte Reaktion der Studiobosse lassen vermuten, dass die Majors selbst an Plänen arbeiten, zahmere Alternativversionen ihrer Filme auf den Markt zu bringen. „Sie machen das ja ohnehin längst“, rechtfertigt Dixon sein eigenes Editing – für Airlines, das Fernsehen, das nichtwestliche Ausland oder sogar den eigenen Markt, wie in Kubricks „Eyes Wide Shut“, wo einkopierte digitale Kapuzenmänner den Zuschauern die freie Sicht auf den Gruppen-Sex verbauten, damit auch Jugendliche ihn sich ansehen durften. Die Schere, scheint es, zwischen Kinolust und -moral wird sich so schnell nicht wieder schließen.

JÖRG HÄNTZSCHEL

http://www.sueddeutsche.de/aktuell/sz/getArticleSZ.php?artikel=artikel56.php

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