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Verfasser: Erwin
Datum: Mittwoch, den 1. Oktober 2014, um 9:06 Uhr
Betrifft: Antidepressivagebrauch unter Mormonen

> Es gibt eine Kollektiv und Individualgefährdung. In letzterem stehen die HLT anderen in nichts nach. Nicbt umsonst ist fie Rate von verschreibungspflichtigen Psychopharmaka (besonders Antidepressiva) in Utah und generell unter Mormonen exorbitant hoch.

Nachdem ich etwas gesucht habe, bin ich (wieder einmal) auf fairmormon.org gestoßen, denn alle Seiten und Berichte zu diesem Thema , die ich aufrufen konnte, waren für mich nicht überzeugend und antimormonisch durchfärbt.

http://de.fairmormon.org/Antidepressivagebrauch_unter_Mormonen

>> Es war schwierig den Gebrauch verschreibungspflichtiger Medikamente, Staaten oder Gebieten zuzuordnen. 2002 veröffentlichte einer der größten Arzneimittel-Lieferanten der USA Express Scripts, ihre Statistik „Atlas der verschreibungspflichtigen Medikamente”, aus welcher man zuordnen kann, von wo ihre Kunden die Arzneien bestellten. In einem „Los Angeles Times” Artikel liest man:

>> Die Studie zeigt, dass Antidepressiva in Utah fast zweimal öfter als in jedem anderen Staat verschrieben werden. .... Andere Staaten mit hohem Antidepressiva Gebrauch waren Maine und Oregon. Utahs Antidepressiva Gebrauchsrate war zweimal höher als in Kalifornien und fast dreimal höher als in New York und New Jersey.[1]

>> Die Studie zeigt nicht auf, was der "Grund" für den höheren Antidepressiva Gebrauch in Utah ist. Antimormonische Kritiker waren schnell dabei, auf die hohe Rate der HLT Kirchmitglieder in Utah aufmerksam, und die Kirchen- und Mormonenkultur dafür verantwortlich zu machen. Kent Ponder schließt daraus:

>> Dieses Problem ist definitiv mit der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage verbunden. Etwa 70% der Einwohner Utahs sind Mormonen.

Da es sich um eine Aussage handelt, die sich auf die eingangs zitierte Arzneimittelstatistik beruft, kann man die Zahlen wahrscheinlich als  korrekt ansehen. Die Ursachen jedoch könnten ganz woanders liegen:

> Idaho und Arizona, die zwei anderen Gebiete im „Mormonen-Korridor” mit großer HLT Bevölkerung, haben keinen hohen Antidepressiva Gebrauch. Wenn HLT Kultur für das hohe Niveaus verantwortlich ist, die zu Antidepressiva Gebrauch führt, warum reihen sich jene zwei Gebiete in der Statistik nicht näher bei Utah ein?

> Utah hat eine niedrige Alkohol-Gebrauchsrate. Besonders unter praktizierenden Mormonen, die sich völlig alkoholischer Getränke enthalten. Alkohol wird von Erwachsenen allgemein zur Entspannung verwendet. Ein Mittel um soziale Wechselwirkungen zu „schmieren” und (unwissentlich oder nicht) Symptome von Angst, Depression und ähnlichem „zu behandeln”. Da für viele Mormonen Alkohol nicht als Wahl in Frage kommt, könnte es sein, dass sie sich eher Hilfe von einem Fachmann holen, anstatt sich gewerblich verfügbaren Stimmungsmachern zuzuwenden.

Und genau dies ist das für mich schlagendste Argument! Alkohol wird in der Tat zu diesem Zweck getrunken, und ich kann diese Aussage nur voll und ganz bestätigen! Alkohol ist nämlich ein Euphorikum. Ich kenne Leute, die auf Grund schwerer (wobei das Wort "schwer" hier relativ zu sehen ist) Schicksalsschläge zu Alkoholikern geworden sind. Wer regelmäßig Alkohol trinkt (und hierbei meine ich nicht die Koma-Säufer, sondern Leute, die stets eine gewisse Dosis zu sich nehmen und sich darauf eingestellt haben), geht kaum zum Arzt, und schon mal gar nicht wegen psychischer Probleme, denn die nimmt er gar nicht mehr wahr, weil er seinen eigenen Leidensdruck durch Alkohol (unbewusst) kompensiert.

Betrachten wir unsere Trinkkultur in Deutschland doch einmal näher unter diesem Aspekt: jeder kennt bestimmt Situationen, wo es alkoholbedingt, auf Feiern, Geburtstagen oder sonstigen Anlässen zu Aussprachen gekommen ist (bis hin zu Beleidigungen und Schlägerein), zu denen es ohne Alkohol sicherlich nicht gekommen wäre. Auch hier bietet der Alkohol unter Herabsetzung der Hemmschwelle die Möglichkeit, aufgestaute Affekte zu lösen und dem Gegenüber seine Meinung unverblümt kundzutun. Er dient also durchaus auch als Stimulanz zur notwendigen Konfrontation mit anderen, um Konflikte zur Sprache zu bringen. Fehlt diese Stimulanz, kommen viele Dinge  gar nicht erst zur Sprache, und die verdrängten Affekte können zu depressiven Symptomen führen.

Mit anderen Worten: depressive Syndrome oder Symptomatik kommt in Utah wahrscheinlich gar nicht häufiger vor als in anderen Staaten, sondern wird nur anders und auf medizinischem Niveau therapiert, nämlich mit emtsprechenden Psychopharmaka:  Alkohol als Kompensator für Stress, soziale Spannungen und zwischenmenschliche Konflikte, als Kompensator für depressive Tendenzen usw., kommt in Utah weit weniger zum Tragen als anderswo. Fazit (für mich): Die Behauptung, in Utah gäbe es mehr depressive Erkrankungen als anderswo, könnte nur durch eine epidemiologische Erhebung untersucht werden. Die höhere Rate an Antidepressiva und deren Gebrauch allein sagt nichts über die Anzahl der depressiven Erkrankungen im Vergleich zu anderen Regionen oder Staaten aus, sondern weist nur die nüchterne Tatsache auf, dass der Gebrauch dieser Substanzen, wie im Fall Utahs, überdurchschnittlich hoch sein mag. ich komme somit zu dem Schluss, dass es sich hierbei genau um das vorgenannte Phänomen handeln könnte, wo Depressionen mit unterschiedlichen Substanzen bekämpft werden, nämlich auf der einen Seitemehr  mit pharmakologischen Substanzen, auf der anderen, den gesellschaftlichen Normen außerhalb Utahs entsprechend, mehr mit dem Substitutionsmittel Alkohol, der sowohl euphorisch, verdrängend, sedierend und spannungslösend wirkt (wirken kann).

> In religious people generally,

>   59% of studies from 1985 – 1995 suggest a positive benefit on mental health; another 26% were neutral.[7]
   >> "This most recent analysis of data (1985-95) indicates that high scores on measures of religiosity (activity, attitude, affiliation, and belief) are facilitative of marital and family stability, adjustment, and personal well-being. This most recent analysis also indicates that those who score high on measures of religiosity show the highest positive correlation with measures of mental health. Also, those who score higher on scales of "intrinsic" religiosity score better on measures of mental health than those with an "extrinsic" religious orientation. There also appears to be little difference in measures of mental pathology with respect to religious affiliation."[8]

> That is, an active inner spiritual life is more protective than merely outward forms of religious observance.

Ich muss ehrlich gestehen, dass mir wieder einmal eine Sachlage durch eine Seite von fairmormon.org recht plausibel dargelegt worden ist. Ich möchte hier einmal die Frage in die Runde stellen, auf welcher anderen Webseite der Aspekt des niedrigen Alkoholkonsums, bis hin zu gar keinem Alkoholkonsum unter Mormonen, zur Sprache gebracht wird.

Hinzu kommt noch, dass Mormonen nicht rauchen. Nikotin ist eine stimmungssteuernde Substanz, die sowohl sedierend als auch anregend wirken kann (je nach Tiefe und Anzahl der Inhalation, also der aufgenommenen Menge, was aber für den Raucher unbewusst geschieht). Nikotin hat, als  eine der wenigen anhängigkeitsmachenden Drogen, eine  biphasische Wirkung, und die eigene Stimmung lässt sich dadurch regelrecht steuern. Ich kenne Menschen, die, nachdem sie aus gesundheitlichen Gründen quasi gezwungen waren, mit dem Rauchen ganz aufzuhören, depressiv wurden, und zwar in einer Form, die behandlungsbedürftig war, bis hin zu suizidialen Tendenzen.

Mit Koffein sieht es ähnlich aus: auch diese Substanz wirkt euphorisierend. Im Prinzip haben Nikotin und Koffein ähnliche Wirkungen wie Kokain und beinhalten ein ähnliches Abhängigkeitspotenial. Wenn ich morgens meinen Kaffe nicht habe, bekomme ich Kopfschmerzen, werde nervös und niedergeschlagen (depressiv). Trinke ich einige Tage keinen Kaffee, führt das zu Schlaflosigkeit, Unruhe, Gereiztheit und Niedergeschlagenheit. Physische Begleitsyptome: Kopfschmerzen und kalter Schweiß.

Jetzt sind wir schon bei drei Substanzen, die eine unzweifelhaft psychoaktive Wirkung haben: Alkohol, Koffein, Nikotin. Alle drei werden von Mormonen gemieden.  Wen wundert es also, dass man unter Mormonen, die auch nur Menschen sind und ihre Konflikte untereinander haben, im Falle von Depressionen auf das einzig innerhalb der Gemeinschaft akzeptierte Mittel, nämlich einem Psychopharmakum, zurückgreifen? Und wen wundert es dann, wenn in Utah mehr Antidepressiva zur Anwendung kommen als anderswo, wo geraucht wird  (Nikotin mit seiner biphasischen Wirkung, andere Substanzen und Drogen), getrunken wird (Alkohol auf breiter Basis und zu allen möglichen gesellschaftliche Anlässen bis hin zur regelmäßigen, eigenen Stimulanz) und Koffein konsumiert wird (wobei Koffein unzweifelhaft ein hohes Suchtpotential innehat und zudem psychoaktiv ist)?

Also, für mich ist die Frage vorerst beantwortet: es gibt auf Grund des vorliegenden Materials und den oberflächlich daraus gezogenen Schlüssen keinen Beweis, nicht einmal einen Anscheinsbeweis, dafür, dass die absolute Zahl von depressiven Erkrankungen unter Mormonen oder in Staaten wie Utah höher sei als in anderen Regionen oder Gesellschaften. Es ist nur so, dass andere "Therapieformen" stattfinden, und Substitutionsmittel wie Alkohol, Nikotin und Kaffee unter Mormonen geächtet sind und deren Missbrauch in Utah bzw. unter Mormonen weniger bis gar nicht vorkommt.

Das einzig aussagekräftige Mittel wäre, wie gesagt, eine epidemiologische Untersuchung, um die absoluten Zahlen von psychisch Erkrankten  (Depressiven) in den verschiedenen Regionen der USA zu ermitteln. Diese Initiative müsste aber  von einer amerikanischen Bundesbehörde ausgehen. Sollte es aussagekräftige Statistiken in dieser Hinsicht geben, müssten sie dort zu finden sein bzw. seitens dieser Bundesbehörde veröffentlicht werden bzw. worden sein. Bis jetzt habe ich nichts darüber gefunden. Möglicherweise liegen der American Psychiatric Association solche Zahlen vor, die mir aber nicht bekannt sind.

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