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Beitrag 7 von 25
zum Thema berechtigte Polygamie?
Seite erstellt am 29.3.24 um 1:47 Uhr
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der Beitrag:
Verfasser: James
Datum: Samstag, den 2. Februar 2002, um 15:37 Uhr
Betrifft: Missionarsschwachsinn

Olek schrieb u.a.:

>Vor kurzem habe ich Missionare der Kirche Jesu Christi kennengelernt. Sie erzählten mir ... Die Polygamie war nur in einer Epoche erlaubt,

Korrekt. Wobei, genau gesagt: Die praktische Ausübung war "in einer Epoche" erlaubt. "Lehre" ist sie nach wie vor (trotz allen Abstreitens von z.B. halbwissenden Missionaren, siehe mehr dazu unten). Sie wird nicht (!) offiziell von der Kanzel oder Leitfäden gelehrt, ihre praktische Ausübung würde bei Bekanntwerden den sofortigen Ausschluß zur Folge haben. Trotzdem ist sie fester Bestandteil der mormonischen "Heiligen Schrift", ist ein ewiges "Gesetz" (!), "das Gesetz der Priestertums", das "Gesetz der Sara" etc. (siehe dazu Lehre und Bündnisse 132, insb. ab Verse 28. Die mormonischen Führer lehrt über 50 Jahre, daß der Mormone nur das "ewige Leben" erreichen kann, wenn er (nicht zu vergessen SIE !!!) u.a. in Polygamie (eigentlich Polygenie) lebt und dieses notwendige Gesetz nie von Erden genommen wird und kann. Nun denn ... heute wird es unter den Teppich gekehrt. Die sozialen, kulturellen, politischen und ... last, but surely not least (!) ... die finanziellen Umstände haben sich eben geändert.

>in der es durch den Krieg und die Verfolgung der Mormonen einen ernormen Frauenüberschuß in Utah gab. Deshalb frage ich euch jetzt in diesem Diskussionsforum: Gab es in der Polygamie-Epoche wirklich einen so großen Frauenüberschuß?

Es gab ihn nicht. Trotz aller Märchen durch Missionare oder Mitglieder. Solch purer Unsinn kommt dadurch zustande, weil den Missionaren fast ausschließlich vorgefertigte Bekehrungsskripte vorgegeben und Hardsellingtechniken (Verkaufstechniken) beigebracht werden. Das Resultat zählt, nicht die Fakten. Es gibt nur "offizielles Material." Und Mitglieder erfahren in ihren Kircheklassen, Reden und Publikation keine Fakten zu diesem Punkt, sondern höchstens Mythen. Die sie nicht überprüfen .. wollen ... könnnen ...

>Und wie groß war dieser?

Einige kurze, grundsätzliche Bemerkungen dazu, zu mehr hab ich jetzt keine Lust und Zeit (besser Priorität heute ... Harry Potter Band 4 und Fußball Arsenal London spielt gleich ... sind mir wichtiger, Füße hoch und enstpannen;-) )

1) Missionare sind entweder naiv, manchmal arrogant naiv und jung. Haben keinen wirklichen Durchblick über den Horizont hinaus dessen, was sie im Mission Trainings Centre und beim "Seminar" gelernt haben. Anders, und ich meine es durchaus nicht Böse, die Jungs (und paar Mädels) in Schutz nehmend: Sie wissens nicht besser und meinen es nicht unbedingt böse und "lügen" auch nicht. Vor 62 Jahren war meine Mutter auch eine begeisterte BDMlerin, voller Überzeugung (in Reichskunde stets eine 1), glühendem Eifer und das Gefühl im Herz, der "Führer ist unser Heil." Ende 1944 wußte sie es besser, die harten Fakten waren schließlich in die letzte Gehirnzelle gedrungen. Natürlich gibt es Missionare die lügen können, das die Schwarte knackt. Sind eher die Ausnahme.

2) Nächstes Mal (wie immer bei solchen Punkten) die Missionare nach "harten Fakten" fragen ... "Excuse me Elder, but ..." Da geht ihnen ganz schnell die Luft aus ... und das Zeugnis setzt ein (mehr haben sie nicht), und Geist wo und wie er will. Das Thema ist damit dann eigentlich erledigt. Denn wenn sie diese "Wahrheit" verkünden, ist es ihre Pflicht sie zu belegen, nicht Deine.

3)Fakten wohlgemerkt, und kein Pseudozitat wie (und daher rührt z.B. in Deutschland solch Schwachsinn, von der bei Mormonen zur Perfektion erhoben "verbalen Beweisführung" (... "das is so weil so is, hab ich mal gehört ...") z.B. aus dem Schinken von William E. Berrett, "Seine Kirche wiederhergestellt," Frankfurt a. M., 1972, S. 168, wo sich findet:

"Mehr Frauen als Männer schlossen sich der Kirche an. Das traf besonders für die Zeit in Nauvoo und für eine Reihe von Jahren nach der Ankunft der Heiligen in Utah zu. ... Es ist eine unleugbare Tatsache, daß die überzähligen Frauen in das Familienleben eingegleidert wurden."

Hört sich beeindruckend an. Quelle? Tatsächlich: Als Fußnote 6 findet sich: "Roberts, Comprehensive History of the Church, III, S. 291 und 488 (da findet sich nix im Original) und auf S. 291:

"... 10th of October, 1847; by which time, 2,095 souls had arrived in the valley, in which the number of women exceeded that of the men ..."

Die schlichte Aussage also von Roberts: "2.095 Seelen kamen im Tal an (gemeint ist das Salzseetal, m. Z.. logisch übrigens, weil hunderte von Männern mit dem "Mormon Battalion woanders unterwegs waren), wobei die Zahl der Frauen die der Männer überstieg ..."

Quelle der Quelle? Niente. Dies übrigens als Beleg also schlicht ein Witz.

4) Man fragt sich eigentlich was das übrigens eh soll? Eine soziologisch-statistische "Erklärung" für die Polygamie? Ablach ... Eine Erklärung die übrigens von den damaligen Führern der Kirche nicht gegeben wurde, und da gab es genügend absurde. Es würde z.B. dafür sorgen, daß es unter den Mormonen keine Prostitution gäbe!!!

5) Aber kürzen wir diesen Schwachsinn ab: Zitiere nächstes Mal den jungen Ungebildeten, die Dir etwas beibringen wollen, einen ihrer eigenen "Apostel." Einen ihrer anerkanntermaßen (in HLT-Kreisen) großen Lichter: John A. Widtsoe. Der schrieb:

"Plural marriage has been a subject of wide and frequent comment. Members of the Church unfamiliar with its history, and many non-members, have set up fallacious reasons for the origin of this system of marriage among the Latter-day Saints. The most common of these conjectures is that the Church, through plural marriage, sought to provide husbands for its large surplus of female members. The implied assumption in this theory, that there have been more female than male members in the Church, is not supported by existing evidence. On the contrary, there seem always to have been more males than females in the Church. Families -- father, mother, and children -- have most commonly joined the Church. Of course, many single women have become converts, but also many single men.

The United States census records from 1850 to 1940, and all available Church records, uniformly show a preponderance of males in Utah, and in the Church. Indeed, the excess in Utah has usually been larger than for the whole United States, as would be expected in a pioneer state. The births within the Church obey the usual population law -- a slight excess of males. Orson Pratt, writing in 1853 from direct knowledge of Utah conditions, when the excess of females was supposedly the highest, declares against the opinion that females outnumbered the males in Utah. (The Seer, p. 110) The theory that plural marriage was a consequence of a surplus of female Church members fails from lack of evidence. ... Another conjecture is that the people were few in number and that the Church, desiring greater numbers, permitted the practice so that a phenomenal increase in population could be attained. This is not defensible, since there was no surplus of women.

The simple truth and the only acceptable explanation, is that the principle of plural marriage came as a revelation from the Lord to the Prophet Joseph Smith for the Church. It was one of many principles so communicated to the Prophet. It was not man-made. It was early submitted to several of his associates, and later, when safety permitted, to the Church as a whole (John A. Widtsoe, Evidences and Reconciliations, Salt Lake City, 3. Aufl., 1991, S. 391ff.).

Kurz: "... Mitglieder, die mit der Geschichte nicht vertraut sind ... haben irrige Gründe für den Ursprung dieses Systems der Ehe ... aufgestellt. ... großen Überschuß an weiblichen Mitgliedern zu versorgen suchte" ... diese irrige Annahme durch "Beweise nicht ... unterstützt wird ... Ganz im Gegenteil, scheint es immer mehr Männer als Frauen in der Kirche gegeben zu haben. ... die Theorie, daß die Mehrehe eine Folge eines Überschusses an weiblichen Kirchenmitgliedern war, schlägt durch den Mangel an Beweisen fehl. ... Dies ist nicht vertretbar, da es keinen Überschuß an Frauen gab.

Widtsoes Erklärung für die Vielehe: Sie war einfach "offenbart." So einfach.

6) Die tatsächliche Faktenlage zeichnet ein ganz anderes Bild. Werke wie z.B. Nels Anderson, Desert Saints: The Mormon Frontier in Utah, Chicago, 1942, S. 390ff.; Lowell Bennion, The Incidence of Mormon Polygamy in 1880: ’Dixie’ versus Davies Stake, in: Journal of Mormon History, Bd. 11, 1984, S. 27ff. und ebd., Larry Logue, A Time of Marriage: Monogamy and Polygamy in a Mormon Town, S. 3ff., zeigen dies deutlich auf. Siehe auch z.B. Richard D. Poll, History and Faith: Reflections of a Mormon Historian, Salt Lake City, 1989, S.103ff. und Stanley S. Ivins, Notes on Mormon Polygamy ("The claim that plurality was needed because of a surplus of women is not borne out by statistics), in: D. Michael Quinn, Hrsg, New Mormon History, Salt Lake City, 1992, S.177.

7) Übrigens: Simpelste Logik, nichte gerade die Stärke von jungen Missionaren ... und so manchen Mitgliedern ... zeigt auch das Gegenteil auf: Andere Berichte zeigen auf, keine Lust die jetzt nich rauszusuchen, daß es, wie Widtsoe ja oben erwähnt, zu wenige Männer gab! Gerade die Polygamie führte zu einer Frauenknappheit auf dem Heiratsmarkt. Gerade die jüngeren Männer fanden zunehmend keine Frauen oder halt den Rest vom Schützenfest (sorry, Ladies ...). Die Frauen heirateten die vermögenderen (richtig geschrieben?) Kirchenführer. Von den versprach man bzw. frau sich auch einen besseren, höheren "ewigen Lohn." Dadurch kam es durchaus auch zu "bad feelings." Belegt ist auch, daß die jüngeren, mit weniger Kohle, Achtung, hohem Kirchenamt und Prestige, wenn überhaupt, die "ansässigen" Mädels (besser, die in die Gefahr geratend "alte Jungfern" zu werden .. wieder, sorry Ladies) heirateten. Die jüngeren (hübscheren), insb. die relativ frisch bekehrten und ausgewanderten Frauen aus Großbritannien und Skandinavien waren kaum erreichbar für sie.

>Gab es eine bestimmte Gruppierung von Männern, die Polygamie betrieben haben?

Ja, man grundsätzlich sagen, umso älter, kirchenranghöher und vermögender, desto wahrscheinlicher das Polygamistendasein inkl. der Anzahl der Frauen. 2-4 war typisch, bei ranghöheren Männern, nach oben "keine" Grenze.

>Hatte die betroffenen Frauen überhaupt noch so etwas wie ein echtes Familienleben

Frage wäre: Was ist ein "echtes" Familienleben? Es gab durchaus Frauen, die das polygame Leben genossen (Freiräume, eigener Haushalt, die meißten Frauen sorgten für sich selbst etc.

>und was dies wirklich die optimale Lösung des Problems?

"Das" Problem, wie oben festgestellt, gab es ja nicht.

Cheers, James

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