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Verfasser: Gipfelstürmer
Datum: Dienstag, den 2. Dezember 2008, um 23:30 Uhr
Betrifft: Meine Gedanken zu Eurem Treffen

Lieber Björn,

ich bin ein großer Fan von Richard Mouw, dem Präsidenten des Fuller Theological Seminarys (es handelt sich hierbei um das größte evangelikale theologische Ausbildungsseminar der Welt). Gerade habe ich sein Buch „Praying at Burger King“ zu Ende gelesen. Darin erzählt er, wie er einmal eine katholische Kathedrale in Frankreich besuchte. Ihm fiel dort ein Punkerpärchen auf, das sich ebenfalls in dem Gebäude befand. Beide stritten sich offenbar. Richard Mouw wunderte sich darüber, in der Kathedrale auf Punker zu treffen. Er verlor sie eine Zeit lang aus den Augen. Irgendwann sah er das Punkermädchen vor einer Marienstatue stehen. Sie blickte der Skulptur direkt in die Augen. Auf einmal kniete sie sich hin und fing an zu weinen. Nach einigen Minuten kam der Punkerjunge hinzu, nahm sie bei den Händen, beide umarmten sich und gingen Hand in Hand aus dem Gebäude. Richard Mouw schreibt hierzu: „I don’t really understand what happened to that young woman that afternoon, and I probably never will. But I’m glad that she knelt before the Virgin. My hunch is that it was very good for her to shed those tears” (S. 108). Weiter unten fügt er Folgendes hinzu: „On that afternoon, though, I prayed to the Holy Mother. After the couple left, I sat in a pew in the side chapel and looked into the face of the statue. ‘Mary’, I asked, ‘please don’t let her wander far. Keep her safe, and lead her to your son” (S. 108).

Ich finde diese Geschichte absolute klasse. Natürlich glaubt Richard Mouw nicht daran, dass Maria eine immerwährende Jungfrau war, die nach einem makellosen Leben zur Himmelskönigin wurde und deren Gebete die Macht haben, Gott von Gerechtigkeit zu Gnade umzustimmen. Für so eine Annahme gibt es keine biblische Grundlage. Dennoch zeigt er großen Respekt vor der religiösen Erfahrung einer jungen Frau. Und er erkennt demütig an, dass das „unbiblische“ Mittel der Marienverehrung durchaus einen guten Zweck erfüllen kann. Ein solcher Geist des Verständnisses ist mir unheimlich sympathisch. Ich denke, dass jede christliche Konfession durch biblische Aussagen angreifbar ist. A.J. Jacobs hat kürzlich ein Buch mit dem Titel „The Year of Living Biblically“ veröffentlicht. Darin schildert er seine Erfahrungen mit dem Versuch, ein Jahr lang so genau wie möglich nach der Bibel zu leben. Seine Erlebnisse sind echt skurril. Ich behaupte mal, dass weder Du noch ich der Bibel so genau folgen wie es A.J. Jacobs getan hat. Wir sind angreifbar. Man kann viele Aspekte unseres Glaubens anhand der Bibel in Frage stellen. Oder bist Du etwa der festen Überzeugung, dass Gott zwei Prostituierte geheiratet hat? Wenn das Deiner Vorstellung widerspricht, dann ist Dein Glaube nicht biblisch, denn in Ezechiel 23:1ff. steht eindeutig: „Das Wort des Herrn erging an mich: Menschensohn! Es waren einst zwei Frauen … sie trieben Unzucht in Ägypten , schon in ihrer Jugend trieben sie Unzucht … Sie wurden meine Frauen und gebaren Söhne und Töchter.“

Ich halte nicht viel davon, die persönlichen Überzeugungen von Menschen, die sich ehrlich bemühen, ein gottgefälliges Leben zu führen, anhand der Bibel zu attackieren. Man wirft dabei mit Steinen, während man selbst im Glashaus sitzt. Aus meiner Sicht ist es viel nutzbringender, sich gegenseitig verständnisvoll zuzuhören und für die Überzeugung des Gegenübers etwas zu empfinden, was Krister Stendahl (der ehemalige Bischof von Stockholm) so schön als „holy envy“ bezeichnet hat. Das ist jedenfalls meine Meinung.

Viele Grüße

Gipfelstürmer

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