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Verfasser: Fritz
Datum: Dienstag, den 26. Juni 2007, um 1:50 Uhr
Betrifft: Sendung vom 23.06.2007 19:20 Uhr (NDR)

Hat wer die Sendung gesehen? Da werden sie wieder schäumen und springen die HLT’s zuerst ein Bild vom Salt Lake Tempel und Engel Moroni und dann dieser Bericht.

Warren Jeffs war einer der meistgesuchten Verbrecher der USA. Jetzt wird ihm im US-Bundesstaat Utah der Prozess gemacht: Wegen Verführung Minderjähriger und Beihilfe zur Vergewaltigung. Warren Jeffs war der Anführer einer Polygamisten-Sekte. Heimlich leben etwa 50.000 Menschen in Utah und im angrenzenden Arizona in Polygamisten-Familien - schätzt die zuständige Staatsanwaltschaft. Viele von ihnen beziehen sich dabei auf den Gründer der Mormonen-Kirche, Joseph Smith. Sie ignorieren das Verbot der Polygamie, das auch die "Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage" vor mehr als 100 Jahren ausgesprochen hat. Einige Polygamisten gehen angesichts des Prozesses gegen Warren Jeffs jetzt in die Offensive. Unser US-Korrespondent Thomas Berbner hatte die Gelegenheit, einen Mann zu Hause zu besuchen, der stolz ist auf seine sechs Frauen und 50 Kinder:

Das Anwesen steht irgendwo südlich von Salt Lake City. Keine direkten Nachbarn, niemand der unbequeme Fragen stellt. Der Besitzer hat guten Grund, die Abgeschiedenheit zu suchen.

Wir sind verabredet mit einem praktizierenden Polygamisten: Ivan Nielsen hat gleich mehrere Frauen.

Ivan bezeichnet sich selbst als fundamentalistischen Mormonen. Im Gegensatz zur offiziellen mormonischen Kirche hat er die Vielweiberei nie aufgegeben.
"Das ist meine Familie, erklärt Ivan. Mit meiner ersten Frau Carol habe ich 16 Kinder. Mit seiner zweiten Frau hat Ivan zwölf Kinder, für die ganze Familie Nielsen braucht der Fotograf schon ein Weitwinkelobjektiv."

"Ich habe rund 50 Kinder. Meine Frauen führen Buch über die Enkel, ich habe 175 Enkelkinder. Und 25 Urenkel." Und wie viele Frauen? "Sechs”, erzählt Ivan Nielsen.

Kathleen ist Ehefrau Nummer vier. Sie kocht heute das Mittagessen für die anwesenden Familienmitglieder. Vier der anderen Frauen sind im Moment außer Haus, sie arbeiten in einem familieneigenen Betrieb. Die Nielsens sind relativ wohlhabend. Mit dem Verkauf von Geräten zur Wasseraufbereitung verdient Ivan Nielsen das Geld für sich, seine Frauen und seine Kinder.

"Ich bin damit aufgewachsen, meine Eltern waren Polygamisten, deshalb war es nicht schwierig, mich dafür zu entscheiden. Ich wollte das immer schon und es ist richtig gut", meint Kathleen Nielsen.

Valerie, Frau Nummer drei, reicht Ivan als erstem am Tisch das Essen. Das Familienoberhaupt ist 76 Jahre alt, Mathew, sein jüngster, ist vier. Ich kenne nicht alle Namen meiner Kinder”, sagt Ivan und fügt im Scherz hinzu: "Ich kann irgendeinen Namen rufen, irgendjemand in der Familie dreht sich immer um."

"Wir sind normale Menschen, das kann doch jeder sehen. Wir leben wie sie, nur dass unsere Familie größer ist. Ich kann nicht sehen, was der große Unterschied sein soll, warum viele sagen, das sei eine verrückte Art zu leben", so Kathleen Nielsen. "Du hast mehr Menschen, die dich lieben", fügt Ivan hinzu, "und mehr Menschen, die du lieben kannst."

Die offizielle mormonische Kirche verbietet Polygamie, wer polygam lebt, wird exkommuniziert. Wir besuchen den Tempelbezirk der Mormonen in Salt Lake City, hier wird vor allem der Gründer der "Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage" verehrt, Joseph Smith. Er war der erste Polygamist unter den Mormonen: Gott hat mir befohlen, dass ich mehr als eine Frau haben soll, sagte Smith zu seinen Glaubensbrüdern. Natürlich galt die göttliche Erlaubnis der Vielehe nur für Männer. Der erste Prophet der Mormonen soll 33 Frauen gehabt haben.

Brigham Young, der zweite Prophet, hatte mehr als 50 Frauen. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts gaben die Mormonen die Polygamie auf, unter dem Druck der Bundesregierung in Washington. Viele aber praktizierten die Vielweiberei heimlich weiter, erklärt uns Mark Shurtleff, und der muss es wissen. Der Mann ist der Generalstaatsanwalt von Utah.

"Wir haben 20 bis 30.000 Polygamisten in Utah, 40 bis 50.000, wenn ich die angrenzenden Bundesstaaten mit einrechne. Natürlich ist es nach dem Gesetz eine Straftat, aber wenn ich jeden Polygamisten einsperren wollte, müsste ich zuvor alle unsere Gefängnisse leeren. Und sie haben ja auch noch so viele Kinder, um die 20.000. Würden wir ihre Eltern einsperren, würden sie unsere Einrichtungen für Kinderfürsorge überschwemmen. Es ist gegen das Gesetz, aber gegen alle Polygamisten vorzugehen, ist einfach nicht möglich", so Mark Shurtleff.

Der Generalstaatsanwalt will nur die schlimmsten Zustände unter Polygamisten bekämpfen wie hier in Colorado City. Der Ort liegt direkt auf der Grenze zwischen Arizona und Utah. So konnten sich die Bewohner über Jahrzehnte der Strafverfolgung entziehen: Rückte die Polizei aus Utah an, flüchteten die Polygamisten einfach über die Staatsgrenze nach Arizona.

Häuser sind riesig in Colorado City - hinter hohen Zäunen verbergen die Polygamisten ihre großen Familien. Colorado City ist die Heimat der fundamentalistischen "Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage". Sie spaltete sich von der offiziellen mormonischen Kirche ab, als die die Polygamie aufgab. Rund 10.000 Mitglieder leben nach den strengen Prinzipien eines nahezu allmächtigen Propheten: Sie verheiraten ihre Töchter als Minderjährige, fast alle Einwohner stammen von einer der beiden Gründungsfamilien ab.

Der Ort hat die weltweit höchste Rate einer seltenen Erbkrankheit - Folge jahrzehntelanger Inzucht.
Niemand hier will mit uns sprechen: Ein schwarzer Geländewagen folgt uns und versucht, uns am Drehen zu hindern.
Der Prophet von Colorado City steht jetzt vor Gericht: Warren Jeffs war monatelang auf der Liste der 10 meistgesuchten Männer der Vereinigten Staaten. Jeffs wird Beihilfe zur Vergewaltigung vorgeworfen.

"Warren Jeffs hatte unglaubliche Macht: Er konnte Frauen Schulbildung und Jobs verweigern, er konnte sie an ältere Maenner verheiraten, mit denen sie Sex haben mussten. Wenn sie nicht gehorchten, drohte er ihnen, dass sie für alle Zeiten in der Hölle brennen, wenn sie nicht tun, was er verlangt. Und wenn man von Kindesbeinen an lernt, dass dieser Mann für Gott spricht, gibt ihm das unvorstellbare Macht über ihr Leben", so Mark Shurtleff.

Brenda Jensen hilft jungen Menschen, die aus Colorado City fliehen wollen. Brenda hatte noch Glück im Unglück. Ihr Vater war überzeugter Polygamist, doch die Zustände in Colorado City waren ihm zuwider. Er verlies mit seiner Familie die Kolonie, nachdem Brendas Schwester gegen ihren Willen verheiratet wurde.
"Meine Schwester wurde an einen Mann vergeben. Ich habe damals ein Zimmer mit ihr geteilt. Sie hat jede Nacht geschrien, gebetet und geweint. Ich hörte meinen Vater sagen: ’Du musst das nicht machen.’ Doch sie hat sich gefügt, sie hatte solche Angst um ihr Seelenheil", erzählt Brenda Jensen.

Die Schwester lebt noch heute in Colorado City, ohne Kontakt zu ihrer Familie. Die meisten Kinder in Colorado City wachsen in völliger Isolation auf: keine moderne Musik, kein Fernsehen, keine unabhängige Schule.

Wenn die Jungen der Gemeinde heranwachsen, werden viele von ihnen aus dem Ort verbannt. Sie sollen nicht mit den religiösen Führern der Gemeinde um die jungen Mädchen konkurrieren.

Fawn Broadbent ist erst vor kurzem aus Colorado City geflohen. Fawn hat die schrecklichen Erziehungsmethoden der Polygamisten am eigenen Leib erfahren: Ihr eigener Vater quälte seine Kinder, wenn sie nicht gehorchten. Fawn Broadbent erinnert sich: "Mein Vater hatte diese Methode, uns zu disziplinieren: Wenn ich oder meine kleine Schwester weinten, hielt er unseren Kopf unter Wasser, bis wir fast keine Luft mehr hatten. Ich habe selbst gesehen, wie in einer anderen Familie ein vier Monate altes Baby grün und blau geprügelt wurde, weil es keine Ruhe gab. So etwas tut man niemandem an.”

Viele Mädchen wurden schon mit 14 Jahren verheiratet. Auch Fawn wurde mit 14 für ehetauglich erklärt: "Wenn ein Vater dachte, seine Tochter sei reif für die Ehe, brachte er sie zu Warren Jeffs. Der trug ihren Namen in ein Buch ein, es heißt das Buch der Freude. Dann suchte Jeffs einen Mann für das Mädchen. Meistens wussten die Mädchen erst zwischen 15 Minuten und einer Stunde vorher, dass sie gleich verheiratet werden."

"Wir sind zurück bei Ivan Nielsen. In unserer Familie gibt es keinen Zwang”, sagt er und bringt als Beleg einen dicken Wälzer voller alter Zeitungsartikel. Über Jahrzehnte hat er Buch geführt über die vergeblichen Versuche des Staates, der Polygamie Einhalt zu gebieten. Auch Valeries Familie wurde einst verhaftet: "Das ist meine Grossmutter", sagt Val, "mein Grossvater, meine Mutter". Dass sie Ivan mit anderen Frauen teilen musste, habe sie nie gestört, sagt Ehefrau Nummer drei.

Valerie Nielsen: "Am Anfang war ich schon eifersüchtig: Ich war schließlich 20 Jahre jünger als die beiden ersten Frauen. Doch dann habe ich verstanden, dass das nur zu meinem Vorteil war: Ivan war dadurch schon sehr erfahren, ein ganzer Mann, der genau wusste, wie man eine Frau behandelt. Klar habe ich mich zu Beginn jedes Mal ausgeschlossen gefühlt, wenn er mit den anderen Frauen zusammen war, doch dann habe ich verstanden, dass sie ihm Dinge beibringen, von denen ich nur profitieren kann. Ich hatte keinen Grund zur Eifersucht.”

Ivan wacht streng über die Erziehung seiner Kinder. Sie werden zuhause unterrichtet, hauptsächlich über die Lehren von Joseph Smith, des Gründers und ersten Polygamisten der mormonischen Kirche. Mary und Hannah Nielsen sind 16 und 17: Beide wollen sich ihre Männer später mit anderen Frauen teilen: "Es wird von mir verlangt, das zu tun", sagt Mary. "Damit ich später ins Himmelreich einziehen kann." Und Hannah: "Ich glaube, dass ich das tun muss. Ich kann mir gar nicht vorstellen, anders zu leben, ich wüsste gar nicht wie."

"Ich sage meinen Kindern von klein an, dass das der richtige Weg ist. So lebt auch unser himmlischer Vater. Er ist der Vater von Abermillionen Menschen, und die können ja schlecht von einer einzigen Frau sein. Das ist es, was wir glauben. Und wenn wir Gottes Herrlichkeit schauen wollen, müssen wir es ihm gleichtun. Wie soll ich in Paradies einziehen und als Monogamist mit Abraham, Isaak und Jakob an einem Tisch sitzen. Alle die waren schließlich Polygamisten. Ich würde dort kein Wort über die Lippen bekommen", erklärt Ivan Nielsen.

Der Preis für diese Heilserwartung ist hoch. Auch in Ivans Familie gibt es Missbildungen und Erbkrankheiten. Trotzdem hält er an dem Prinzip fest, dass ein rechtgläubiger Mann viele Frauen haben muss. Das Fundament meiner Religion ist einfach, sagte der erste Prophet der Mormonen, Joseph Smith: den Willen Gottes zu Kennen und ihn zu leben.

Religionsfreiheit ist eines der wichtigsten Fundamente Amerikas. In Utah schützt sie auch Menschen, die Vielweiberei zum göttlichen Prinzip erklären.

Autor: Thomas Berbner

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