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Verfasser: lennard
Datum: Mittwoch, den 13. September 2006, um 17:48 Uhr
Betrifft: Aufsatz

Dill: Die Antidiskriminierungs-Richtlinien der EU und das deutsche Staatskirchenrecht ZRP 2003 Heft 09 319
Die Antidiskriminierungs-Richtlinien der EU und das deutsche Staatskirchenrecht*
Rechtsrätin i.K.Dr. Ricarda Dill, Detmold

2. Antidiskriminierungsgesetzgebung und kirchliches Arbeitsrecht
Das Arbeitsrecht der Kirchen, ihrer Werke und Einrichtungen setzt seinem Wesen nach die Unterscheidung nach der Religionszugehörigkeit voraus. Damit gerät es zwangsläufig in einen Konflikt mit einer Antidiskriminierungsgesetzgebung, die jedwede Unterscheidung nach dem Religionsmerkmal verbietet.

Art. 140 GG i.V. mit Art. 137 III WRV sichert den Kirchen und ihren Einrichtungen ein Selbstbestimmungsrecht, welches das Recht umfasst, ihr Dienst- und Arbeitsrecht autonom zu regeln. Das Selbstbestimmungsrecht ermöglicht es den Kirchen insbesondere, Arbeitsverhältnisse an besondere Loyalitätsanforderungen an die Mitarbeiterschaft zu binden und durch Arbeitsvertrag verbindlich zu machen. Das BVerfG hat in seiner Grundsatz-Entscheidung vom 4. 6. 1985 bestätigt, dass Vertragsfreiheit und Selbstbestimmungsrecht zusammen es den Kirchen ermöglichen, den kirchlichen Dienst nach ihrem Selbstverständnis zu ordnen1. Es bleibt danach grundsätzlich den verfassten Kirchen überlassen, verbindlich zu bestimmen, was „die Glaubwürdigkeit der Kirche und ihrer Verkündigung erfordert“, was „spezifisch kirchliche Aufgaben“ sind, was „Nähe“ zu ihnen bedeutet, welches „die wesentlichen Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre“ sind und was als - gegebenenfalls schwerer - Verstoß gegen diese anzusehen ist2. Dies bedeutet, dass die Kirchen ihren Beschäftigten die Beachtung der tragenden Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre auferlegen und verlangen können, dass sie nicht gegen die fundamentalen Verpflichtungen verstoßen, die sich aus der Zugehörigkeit zur Kirche ergeben und jedem Kirchenmitglied obliegen. Das BVerfG hat damit anerkannt, dass die Kirchen ihren religiösen Auftrag nicht erfüllen können, wenn nicht in ihren Einrichtungen Personen arbeiten, welche bereit sind, sich mit diesem Auftrag persönlich zu identifizieren. Kirchliche und diakonische Arbeitgeber können daher den Abschluss von Dienst- und Arbeitsverträgen von der Zugehörigkeit zur Kirche abhängig machen3.

Den Umfang ihres Auftrags bestimmen die Kirchen dabei nach ihrem Selbstverständnis. Dem Staat ist es verwehrt, dieses Selbstverständnis zu bewerten oder durch eigene Erwägungen zu bestimmen. Für die evangelischen Kirchen bestimmt sich das kirchliche Selbstverständnis nach der Bibel und den sie auslegenden Bekenntnisschriften. Gem. Art. 7 der Confessio Augustana von 1530 (CA) ist Kirche „die Versammlung aller Gläubigen …, bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut dem Evangelium gereicht werden“. Die Weitergabe des Evangeliums ist nicht allein eine Aufgabe des geordneten kirchlichen Amtes (CA 14), sondern aller Christen. Dementsprechend nennt die Barmer Theologische Erklärung der Bekennenden Kirche von 1934 die Kirche Gemeinde von Brüdern und Schwestern, „in der Jesus Christus im Wort und Sakrament durch den Heiligen Geist gegenwärtig handelt. Sie hat mit ihrem Glauben wie in ihrem Gehorsam, mit ihrer Botschaft wie mit ihrer Ordnung mitten in der Welt der Sünde als die Kirche der begnadeten Sünder zu bezeugen, dass sie allein sein Eigentum ist, allein von seinem Trost und seiner Weisung in Erwartung seiner Erscheinung lebt und leben möchte.“ These 4 der Barmer Theologischen Erklärung interpretiert die „verschiedenen Ämter in der Kirche“ als „Ausübung des der ganzen Gemeinde anvertrauten und befohlenen Dienstes“.

Für das kirchliche Arbeitsrecht folgt daraus der Gedanke, dass alle Mitarbeitenden einer christlichen Dienstgemeinschaft angehören. Der Gedanke der Dienstgemeinschaft prägt alle kirchlichen Dienste und ist Basis ihrer religiösen Ausrichtung. Der kirchliche Dienst umfasst nach dem Selbstverständnis der Kirche die Verkündigung des Evangeliums, den Gottesdienst und den aus dem Glauben erwachsenden Dienst am Mitmenschen. Die Zugehörigkeit zur kirchlichen Dienstgemeinschaft fordert von allen Mitarbeitenden Loyalität, und zwar auch von solchen, die nicht unmittelbar im Verkündigungsdienst und nicht an prominenter Stelle stehen. Alle Mitarbeitenden wirken unabhängig von ihrer Stellung an der Verwirklichung des christlichen Auftrags mit. Die Kirchen erwarten daher grundsätzlich von allen Mitarbeitenden, dass sie an der Weitergabe des Evangeliums als dem Dienst, der der ganzen Gemeinde anvertraut und aufgetragen ist, mitwirken. Die Kirchenmitgliedschaft ist zwar keine hinreichende Bedingung dafür, da sie weder die Übereinstimmung mit den Bekenntnisgrundlagen und Handlungszielen der Kirche gewährleistet noch die Loyalität mit ihr. Aber sie ist notwendige Bedingung im Sinne einer unerlässlichen Mindestanforderung; wer nicht einmal Kirchenmitglied ist, von dem kann nicht die Beteiligung an der Weitergabe des Evangeliums verlangt werden.

Der Gedanke der Dienstgemeinschaft schließt Loyalitätsabstufungen im Sinne eines Tendenzschutzes aus. Der arbeitsrechtliche Tendenzschutzgedanke lässt sich von der Vorstellung leiten, dass die Nähe zum Auftrag des Tendenzbetriebs das Maß der Loyalitätspflicht begründet. Die von den Kirchen auferlegte Loyalitätspflicht ist jedoch grundsätzlich nicht von der „Tendenznähe“ abhängig. Denn der Tendenzschutz bezieht sich immer nur auf einige spezielle Rechtspositionen oder Rollen des Arbeitgebers, während der kirchliche Auftrag nach dem Selbstverständnis der Kirche sich auf sämtliche Bereiche des Lebens erstreckt4. Das BVerfG hat daher entschieden, dass hinsichtlich der Loyalitätspflichten von kirchlichen Mitarbeitern nicht zwischen Tendenzträgern und anderen Arbeitnehmern unterschieden werden kann5. Dies schließt es nicht aus, dass die Kirchen abgestufte Loyalitätspflichten auferlegen können. Die Grundsätze hierfür bestimmt jedoch die verfasste Kirche6. Die Arbeitsgerichte sind an die Maßstäbe der verfassten Kirche gebunden, es sei denn, sie begäben sich dadurch in Widerspruch zu den Grundprinzipien der Rechtsordnung, wie sie im allgemeinen Willkürverbot (Art. 3 I GG), sowie in dem Begriff der „guten Sitten“ (§ 138 I BGB) und des ordre public (Art. 30 EGBGB) ihren Niederschlag gefunden haben7.

In den Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland existieren rechtliche Regelungen über die Anstellungsvoraussetzungen für Mitarbeitende, nach denen die Zugehörigkeit zur evangelischen Kirche erforderlich ist. Aus der evangelischen Kirche Ausgetretene werden nicht eingestellt. Außerdem bestehen in den Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland Regelungen, wonach ein Kirchenaustritt ein Kündigungsgrund ist. Ausnahmen bestehen dort, wo geeignete Mitarbeiter evangelischer Konfession nicht zur Verfügung stehen. Selbst in diesem Fall ist jedoch Voraussetzung für eine Anstellung, dass der Mitarbeitende einer christlichen Kirche, z.B. einer Mitgliedskirche der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK), angehört.

Die Zuwanderung von Menschen anderer Religionen hat innerhalb der Kirchen und insbesondere der Diakonie zu einer anhaltenden Diskussion geführt, ob und in welchem Umfang kirchliche Dienste für Menschen anderer Religion zu öffnen sind („interkulturelle Öffnung“). Dabei stellt sich auch die Frage, ob Personen, die keiner christlichen Kirche oder einer anderen Religion angehören, im kirchlichen Dienst beschäftigt werden können. Einige

Dill: Die Antidiskriminierungs-Richtlinien der EU und das deutsche Staatskirchenrecht ZRP 2003 Heft 09 320

Gliedkirchen sehen die Einstellung nicht-christlicher Mitarbeitender in begrenztem Umfang vor, z.B. in Arbeitsbereichen ohne pädagogische oder betreuerische Außenwirkung. Arbeitsverhältnisse mit nicht-christlichen Mitarbeitenden sind auch dort möglich, wo kirchlicher Dienst, z.B. in Beratungsstellen oder Kindertagesstätten, sich an eine nicht-christliche Zielgruppe wendet. Im Einzelnen ist hier vieles umstritten und in einer Entwicklung befindlich. Für das Selbstverständnis der Kirchen wird es bei solchen Ausnahmen entscheidend darauf ankommen, ob es ihnen gelingt, ihre Identität, ihr Profil zu wahren. Die Anstellung nicht-christlicher Mitarbeitender darf nur in einem Rahmen und Umfang erfolgen, der die Glaubwürdigkeit des christlichen Dienstes nicht in Frage stellt. Die verfasste Kirche wird daher die notwendigen Rahmenregelungen treffen müssen, die eine Wahrung der Identität sicherstellt8. Festzuhalten ist, dass es eine originär kirchliche Entscheidung bleibt, ob und in welchem Maße sie sich nicht-christlichen Mitarbeitenden öffnen will. Sie hat dies anhand ihres Selbstverständnisses zu bestimmen. Es bleibt dem Staat und damit auch seinen Gerichten verwehrt, dieses Selbstverständnis zu bewerten oder gar eine eigene Maßstäbe für die Bestimmung der Loyalitätspflichten aufzustellen.

3. Das kirchliche Arbeitsrecht im EU-Rechtsrahmen
Die soeben dargestellten Grundsätze des (nationalen) kirchlichen Arbeitsrechts werden zunehmend durch europarechtliche Regelungen überlagert. Nach überwiegender Meinung geht europäisches Recht sogar dem nationalen Verfassungsrecht vor. Art. 13 EUV schafft eine Ermächtigungsgrundlage, der die Kirchen auf EU-Ebene das Selbstbestimmungsrecht aus Art 140 GG i.V. mit Art. 137 III WRV nicht direkt entgegenhalten können. Allerdings enthält das europäische Recht eine Anzahl von rechtlichen Sicherungen, die einen entsprechenden Schutz bewirken.

Art. 9 EMRK kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu.Gem. Art. 6 II EUV hat die EU die in Art. 9 EMRK garantierte Religionsfreiheit zu achten. Neben der individuellen Religionsfreiheit umfasst Art. 9 EMRK auch das Recht öffentlicher Glaubensausübung. Die Menschenrechtskommission hat den Religionsgemeinschaften die Berufung auf Art. 9 EMRK gestattet und damit den korporativen Aspekt der Religionsfreiheit anerkannt. Daher ist auch das Recht der Religionsgemeinschaften auf Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten durch die Organe der EU zu achten.

Ergänzend zu Art. 9 EMRK ist für die EG von Belang, dass das Staatskirchenrecht die nationale Identität i.S. des Art. 6 III EUV prägt. Soweit das Gemeinschaftsrecht der Regelungsbefugnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften Schranken setzt, ergibt sich aus Art. 6 III EUV eine Schranken-Schranke9.

Eine weitere Sicherung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts stellt die Erklärung zum Status der Kirchen und weltanschaulichen Gemeinschaften (Erklärung Nr. 11) zum Amsterdamer Vertrag (1997) dar10. Um dieser Vorschrift mehr Verbindlichkeit zu verleihen, ist es der Evangelischen Kirche in Deutschland ein wichtiges Anliegen, diese Erklärung in den Verfassungsvertrag für die EU zu überführen. Der aktuelle Entwurf der EU-Verfassung des EU-Konvents vom 24. 5. 2003 hat den Text der Erklärung Nr. 11 in Art. I-51 I und II überführt11. Erwägungsgrund 24 der Richtlinie 2000/78/EG nimmt auf Erklärung Nr. 11 ausdrücklich Bezug. Bei Auslegung der Bestimmungen der Richtlinie und bei der nationalen Umsetzung sind daher die nationalen staatskirchenrechtlichen Garantien zu beachten.

Im Richtlinientext selbst gewährt Art. 4 II den Kirchen und anderen Organisationen eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass bei der Bestimmung der beruflichen Anforderungen die Diskriminierungsmerkmale Religion bzw. Weltanschauung keine Rolle spielen dürfen12. Bei der Beantwortung der Frage, was „wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderungen angesichts des Ethos der Organisation“ sind, wird sich das erkennende Gericht am Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften orientieren müssen, will es nicht Art. 9 EMRK verletzen.

4. Ausblick
Es gibt auf Seiten der Kirchen eine gewisse Sorge, dass der EuGH Art. 4 II der Richtlinie im Sinne eines Tendenzschutzes interpretieren könnte (in dem Sinne, dass die Loyalitätspflichten umso intensiver sind, je näher der Arbeitnehmer zum kirchlichen Auftrag steht). Eine derartige Interpretation entspräche weder dem kirchlichen Selbstverständnis noch wäre es mit der Garantie der Religionsfreiheit vereinbar, die dem Staat eine Einmischung in kirchliche Angelegenheiten verwehrt. Es steht zu erwarten, dass Rechtsstreitigkeiten um die Tatbestandsmerkmale von Art. 4 II der Richtlinie 2000/78/EG entstehen werden, in denen die Kirchen die oben dargelegte Interpretation verteidigen werden. Die Kirchen können jedoch die genannten rechtlichen Sicherungen auf europäischer Ebene für sich in Anspruch nehmen.

Die Umsetzung der Richtlinie 2000/78/EG in nationales Recht steht noch aus. Dem Gesetzgeber ist hierfür eine Frist bis zum 2. 12. 2003 gegeben. Es bleibt daher abzuwarten, in welche rechtliche Form der nationale Gesetzgeber Art. 4 II der Richtlinie gießen wird.

Im Hinblick auf die weitere Rechtsentwicklung auf europäischer Ebene haben die Kirchen stets an den Subsidiaritätsgrundsatz erinnert. Das Protokoll Nr. 21 zum Amsterdamer Vertrag hat die Grundsätze für die Anwendung des Subsidiaritätsgrundsatzes erheblich konkretisiert. Sofern es sich bei Rechtsvorschlägen der EU um Fragen der Grund- und Menschenrechte und damit um Fragen von Verfassungsrang handelt, ist in besonderer Weise sicherzustellen, dass die von der Kommission vorzuschlagenden

Rechtsakte im Einklang mit nationalem Verfassungsrecht sowie der EMRK stehen und bewährte nationale Regelungen sowie Struktur und Funktionsweise der Rechtssysteme der Mitgliedstaaten geachtet werden.

Das Staatskirchenrecht ist in vielfältiger Weise Ausdruck der nationalen Identität und historisch gewachsener Strukturen. Es ist derzeit unter keinem denkbaren Gesichtspunkt ein Grund ersichtlich, der eine Harmonisierung der staatskirchenrechtlichen Systeme der europäischen Mitgliedstaaten erfordert. Auch die Integration nicht-christlicher und neuer Religionsgemeinschaften bietet keinen solchen Grund. Denn die staatskirchenrechtlichen Systeme der Mitgliedstaaten haben sich bisher als ausreichend flexibel erwiesen, um befriedigende Lösungen für die demografischen Veränderungen zu finden. Dieser Anpassungsprozess kann getrost den Mitgliedstaaten überlassen werden.

III. Richtlinie zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse und der ethnischen Herkunft
1. Inhalt
Die Richtlinie 2000/43/EG zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft vom 29. 6. 2000 beabsichtigt, einen Rahmen zur Bekämpfung der Diskriminierung auf Grund der Rasse oder der ethnischen Herkunft zu schaffen (Art. 1). Sie untersagt in ihrem Geltungsbereich jede unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft (Art. 2). Im Gegensatz zur Richtlinie 2000/78/EG ist ihr Geltungsbereich weiter gefasst. Er bezieht sich auf die Bedingungen für den Zugang zu Erwerbstätigkeit, den Zugang zu Berufsberatung, -ausbildung, der beruflichen Weiterbildung und der Umschulung, die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, die Mitgliedschaft und Mitwirkung in einer Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberorganisation, den Sozialschutz, die sozialen Vergünstigungen, die Bildung sowie den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen (Art. 3). Ebenso wie die Richtlinie 2000/78/EG sieht die Richtlinie 2000/43/EG eine Beweiserleichterung für die Opfer von Diskriminierung vor und gibt den Mitgliedstaaten auf, Sanktionen festzulegen, die bei einem Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot zu verhängen sind.

2. Der nationale Umsetzungsprozess in der 14. Legislaturperiode
Die Richtlinie 2000/43/EG ist bis 19. 7. 2003 in nationales Recht umzusetzen. Die Bundesregierung hat daher in der vergangenen 14. Legislaturperiode einen Gesetzentwurf für ein „Gesetz zur Verhinderung von Diskriminierungen im Zivilrecht“ (zivilrechtliches Antidiskriminierungsgesetz) vorgelegt. Der Entwurf sah vor, das in der Richtlinie 2000/43/EG enthaltene Diskriminierungsverbot im Zivilrecht zu verankern. Er hat gleichzeitig die Diskriminierungsmerkmale „Rasse“ und „ethnische Herkunft“ über die Richtlinie hinaus um die übrigen in Art. 13 EUV genannten Diskriminierungsmerkmale (Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexuelle Ausrichtung13) erweitert. Zur Begründung führte das Bundesministerium der Justiz an, dass es sachlich nicht vertretbar erschien, zwischen den einzelnen Diskriminierungsmerkmalen zu differenzieren.

Das Diskriminierungsverbot sollte auf alle Verträge anwendbar sein, die öffentlich angeboten werden. Selbst Anzeigen in Tageszeitungen sollten unter dieses Tatbestandsmerkmal fallen. Mit Ausnahme der Unterscheidung nach Rasse und ethnischer Herkunft sollten andere Unterscheidungen ausnahmsweise zulässig sein, wenn das Diskriminierungsmerkmal entweder in Bezug auf eine Beschäftigung eine entscheidende Voraussetzung für die Tätigkeit oder die Unterscheidung in den sonstigen Fällen „durch sachliche Gründe gerechtfertigt“ ist.

Der Entwurf stieß früh auf Kritik bei Wirtschafts- und Berufsverbänden, beim Deutschen Anwaltverein und den beiden großen christlichen Kirchen. Die Evangelische Kirche in Deutschland hat dabei jedoch stets betont, dass sie es begrüßt, dass die Europäische Union im Zuge der Entwicklung zu einer Wertegemeinschaft bzw. des Ausbaus dieser Wertegemeinschaft über die ursprünglichen in den Gründungsverträgen verankerten Diskriminierungsverbote hinausgeht und auch andere Benachteiligungen im Rechtsverkehr bekämpft. Sie unterstützt nachdrücklich eine Gesetzgebung zur Beseitigung der Diskriminierung aus Gründen der Rasse und der ethnischen Herkunft in der Form, wie sie durch die Richtlinie 2000/43/EG vorgesehen ist. Sie ist allerdings der Auffassung, dass dieses nur gelingen wird, wenn man Unterschiede zwischen einzelnen Differenzierungstatbeständen nicht einzuebnen versucht, sondern beim Erlass von Rechtsnormen berücksichtigt.

Die wesentliche Kritik der Kirchen und ihrer Wohlfahrtsverbände am Gesetzentwurf gründete sich auf das Argument, dass die Aufnahme des Diskriminierungsmerkmals „Religion oder Weltanschauung“ in einen Wertungswiderspruch mit der grundgesetzlichen Garantie des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts zu geraten droht. Eine solche Kollision war nach dem Gesetzesentwurf bei der Regelung des Zugangs zu kirchlichen Einrichtungen zu befürchten. Zum verfassungsrechtlich gewährleisteten Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und Religionsgemeinschaften gehört das Recht, darüber zu bestimmen, wer Zugang zu kirchlichen Einrichtungen, z.B. Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern etc. erhält. Daher steht ihnen das Recht zu, eigene Mitglieder beim Zugang zu Einrichtungen zu bevorzugen. Dies steht nicht im Widerspruch zum Anspruch der Kirche und Diakonie, ihre Einrichtungen für alle Menschen zu öffnen. Entscheidend ist vielmehr, dass die Entscheidung, sich nicht-christlichen Mitgliedern bzw. Nutzern zu öffnen, eine kircheninterne Entscheidung ist, die nicht vom Staat erzwungen werden kann. Diese Freiheit ist verfassungsrechtlich über Art. 140 GG i.V. mit 137 III WRV abgesichert. Die Kirchen nehmen daher auf Grund des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts das Recht in Anspruch, aus religiösen Gründen zwischen Vertragspartnern differenzieren zu können. Dieses Recht hatte die Bundesregierung in ihrem Entwurf nicht ausreichend berücksichtigt.

Im Zuge der Verhandlungen zum Gesetzentwurf gab es schließlich einen Vermittlungsvorschlag, der es den Kirchen erlaubt hätte, Vertragsangebote ausschließlich auf den Kreis ihrer Mitglieder zu beschränken. Dieser Vermittlungsvorschlag war jedoch für die Kirchen nicht akzeptabel, da er zu einer erheblichen Aushöhlung des Selbstbestimmungsrechts geführt hätte. Denn das Selbstbestimmungsrecht gewährt - wie bereits dargelegt - auch das Recht, Nicht-Mitglieder zu bevorzugen. Entscheidend ist, dass die Kirchen in eigener Verantwortung nach ihrem Selbstverständnis darüber entscheiden, welche Vertragspartner sie auswählen.

Der Evangelischen Kirche in Deutschland ging es bei ihrer Kritik am Gesetzgebungsvorhaben jedoch nicht ausschließlich um den Schutz der Religionsfreiheit und der

Rechte der Religionsgemeinschaften. Sie hält es auch für problematisch, wenn - um der berechtigten Bekämpfung sachfremder Diskriminierung willen - die Privatautonomie so erheblich eingeschränkt wird, wie das Gesetzgebungsvorhaben der Bundesregierung es vorsieht. Die privatrechtliche Gestaltungsfreiheit ist ein allgemeines Freiheitsrecht, das dem Einzelnen das Recht gibt, aktiv und initiativ nach eigenen Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten und in persönlicher Verantwortung zu handeln. Es muss bei Verträgen mit „gesteigertem sozialen Kontakt“, wie z.B. einem Untermietvertrag über ein Zimmer in der vom Vermieter selbst bewohnten Wohnung oder bei der Auswahl einer Tagesmutter, ein Rest an privater Gestaltungsautonomie verbleiben, der es gestattet, den Vertragspartner nach Kriterien auszuwählen, die keiner Rechtfertigung bedürfen.

3. Ausblick
Die Diskussion um das zivilrechtliche Antidiskriminierungsgesetz hat gezeigt, dass eine umfassende Antidiskriminierungspolitik sehr sorgsam zwischen den einzelnen Diskriminierungsmerkmalen unterscheiden muss. Ausgrenzungs- und Diskriminierungsstrategien äußern sich in unterschiedlicher Form und in unterschiedlichen Rechtsbereichen, je nachdem, ob sich Diskriminierung auf Religion, Behinderung, Alter, sexuelle Orientierung oder Geschlecht stützt.

Die Richtlinie 2000/43/EG verfolgt insofern einen zurückhaltenden Ansatz, als sie nur die Diskriminierungsmerkmale „Rasse“ und „ethnische Herkunft“ aufnimmt und den Mitgliedstaaten im Übrigen gestattet, einen weiter gehenden Ansatz zu verfolgen. Die geringen Erfahrungen der deutschen Gesetzgebung und Rechtspraxis mit Antidiskriminierungsgesetzen legen es nahe, sich im Umsetzungsprozess Zurückhaltung aufzuerlegen, um zunächst Erfahrungen mit einem zivilrechtlichen Antidiskriminierungskonzept zu sammeln.

Der Umstand, dass die Richtlinie 2000/78/EG einen weiteren Ansatz verfolgt und gegenüber der Richtlinie 2000/43/EG weitere Diskriminierungsmerkmale einbezieht, muss dazu nicht im Widerspruch stehen. Der breite Ansatz der Richtlinie 2000/78/EG ist Ausdruck des Umstands, dass Arbeitsverhältnisse wegen der dort existierenden Abhängigkeitsverhältnisse besonders strenger Maßstäbe bedürfen. Nicht ohne Grund haben Rechtsprechung und Lehre die Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte zuerst im Arbeitsrecht entwickelt. Diese Lehre ist auf andere Vertragsverhältnisse nur bedingt übertragbar.

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*Die Verfasserin ist Leiterin der Rechtsabteilung im Landeskirchenamt der Lippischen Landeskirche, Detmold. Bis zum 1. 5. 2003 war sie juristische Referentin beim Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der Bundesrepublik Deutschland und der EU, Berlin.

1BVerfGE 70, 138 = NJW 1986, 367.

2BVerfG, NJW 1986, 367 (369).

3Rüfner, in: Hdb. des StaatskirchenR, Bd. II, 2. Aufl. (1995), § 66, S. 901ff.

4Seelemann, ZevKR 44 (1999), 226 (232); Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, 3. Aufl. (2000), § 6 Rdnr. 25.

5BVerfGE 42, 312 (333) = NJW 1976, 2123.

6BVerfG, NJW 1986, 367 (369).

7BVerfG, NJW 1986, 367 (369).

8Vgl. Seelemann ZevKR 44 (1999), 226 (242).

9Richardi (o. Fußn. 4), § 1 Rdnr. 32.

10„Die Europäische Union achtet den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen und beeinträchtigt ihn nicht. Die Europäische Union achtet den Status von weltanschaulichen Gemeinschaften in gleicher Weise.“

11CONV 724/03.

12Art. 4 II lautet: Die Mitgliedsaaten können in Bezug auf berufliche Tätigkeiten innerhalb von Kirchen und anderen öffentlichen oder privaten Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, Bestimmungen in ihren zum Zeitpunkt der Annahme dieser Richtlinie geltenden Rechtsvorschriften beibehalten oder in künftigen Rechtsvorschriften Bestimmungen vorsehen, die zum Zeitpunkt der Annahme dieser Richtlinie bestehende einzelstaatliche Gepflogenheiten widerspiegeln und wonach eine Ungleichbehandlung wegen der Religion oder Weltanschauung einer Person keine Diskriminierung darstellt, wenn die Religion oder Weltanschauung dieser Person nach der Art dieser Tätigkeiten oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt. Eine solche Ungleichbehandlung muss die verfassungsrechtlichen Bestimmungen und Grundsätze der Mitgliedstaaten sowie die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts beachten und rechtfertigt keine Diskriminierung aus einem anderen Grund. Sofern die Bestimmungen dieser Richtlinie im Übrigen eingehalten werden, können die Kirchen und anderen öffentlichen und privaten Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, im Einklang mit den einzelstaatlichen verfassungsrechtlichen Bestimmungen und Rechtsvorschriften verlangen, dass sie sich loyal und aufrichtig im Sinne des Ethos der Organisation verhalten.“

13Der Gesetzentwurf gebrauchte die Formulierung „sexuelle Identität“, um im Gegensatz zum Begriff der „sexuellen Ausrichtung“ der Richtlinie auch transsexuelle oder zwischengeschlechtliche Menschen zu erfassen.

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