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Verfasser: Martin007
Datum: Freitag, den 5. Mai 2006, um 16:32 Uhr
Betrifft: Die Rückkehr der Patriarchats

Hier habe ich einen Artikel im Spiegel über die Endlichkeit der nicht-patriarchalichen Gesellschaftsformen gefunden.

"Die gehen Elche jagen"

Der amerikanische Autor Phillip Longman über die Rückkehr des Patriarchats, den wachsenden Einfluss der religiösen Fundamentalisten und das Aussterben der 68er Generation

SPIEGEL: Mr Longman, die Deutschen fürchten momentan, dass sie bald aussterben. Deshalb will der Staat junge Paare mit Elterngeld ermuntern, Kinder in die Welt zu setzen. Auch die Väter sollen zum Dienst an der Krippe ermuntert werden. Ist das sinnvoll?

Longman: Ich habe mit meiner Frau heute Morgen beim Frühstück über diese deutsche Initiative geredet. Wir haben sehr gelacht. Die Schweden haben vor ein paar Jahren ein ganz ähnliches Modell probiert. Wissen Sie, was viele schwedische Männer in ihren freien Monaten gemacht haben sollen? Sie sind jagen gegangen, Elche jagen. Die Elchjagdinitiative. Das ist ein Schwedenwitz. Das ist ja alles ganz lieb gemeint. Auch der Vater soll ein bisschen helfen. Es ist vielleicht politisch korrekt, aber es bringt nichts, glauben Sie mir.

SPIEGEL: Kann der Staat denn gar nichts gegen den Geburtenrückgang machen?

Longman: Ich glaube, dass man Eltern pro Kind 25 Prozent ihrer Lohnsteuern erlassen sollte. Um diese Vergünstigung zu bekommen, muss man erst mal einen Job haben und kann nicht einfach zu Hause sitzen und Babys produzieren, wie Gegner der Familienförderung gern behaupten. Außerdem sollten Eltern weit weniger in die Rentenversicherung einzahlen als Nichteltern. Aber ein bisschen habe ich das Vertrauen in den Staat schon verloren, das stimmt.

SPIEGEL: In einem verstörenden Essay haben Sie vor kurzem eine Rückkehr des Patriarchats angekündigt.

Longman: Es hat sich bewährt. Das Patriarchat ist ein Selbstverteidigungsmechanismus der Gesellschaft, der in der Geschichte immer wiederkehrt. Es ist ein konservatives Familienmodell, das besonders für diese Zeiten geeignet ist, in denen der Wohlfahrtsstaat zusammenbricht.

SPIEGEL: Und die Männer sind Diktatoren in diesem Familienstaat.

Longman: Ja, ja, so stellen sich das viele Feministinnen vor. Sie sagen, dass Männer das Patriarchat errichten, um die Frau zu kontrollieren und zu unterdrücken. Aber das ist Unsinn, denn für die Männer ist das Patriarchat nicht besonders attraktiv. Es bedeutet hohe Verantwortung und wenig Abwechslung. Man ist für den Unterhalt einer ganzen Familie zuständig und verpflichtet sich, ein Leben lang mit einer Frau zusammenzuleben. Das will doch kein Mann im Ernst. Ich auch nicht.

SPIEGEL: Sie schreiben, dass die Frau im Patriarchat die Wahl zwischen Hure, Nonne und Ehefrau hat.

Longman: Ja.

SPIEGEL: Was sagt Ihre Frau dazu?
Longman: Meine Frau arbeitet, wir haben ein Kind. Ich bin kein Patriarch, das ist, wie ich bereits sagte, keine akzeptable Lebensform für mich. Und genau deswegen werden Familien wie unsere ihren Einfluss auf die Gesellschaft verlieren. Solange Leute wie wir so wenig Kinder haben, gehört die Zukunft Männern und Frauen, die im Patriarchat leben. Vielleicht bekommt das Patriarchat in der Zukunft ein paar neue Farben. Männer und Frauen reden mehr miteinander, teilen sich Arbeiten im Haushalt, zumindest am Anfang einer Beziehung. Aber ich glaube nicht, dass es sich grundsätzlich ändert.

SPIEGEL: Also Männer tragen die Verantwortung, Frauen erziehen Kinder, die in der Lage sind zu überleben, gutes Kindermaterial, wenn man so will?

Longman: Ja. Aber Sie sagen es so, als wäre das kein sinnvolles Leben für die Frau. Die meisten Frauen genießen ihre Mutterschaft und finden es auch vorteilhaft, nicht nebenbei noch in die Fabrik zu gehen. Und weil wir immer älter werden, wird auch das Leben der Frauen nach den Kindern immer länger. Sie können noch mal eine berufliche Karriere beginnen oder das tun, was die Viktorianer eine gemeinnützige Laufbahn nannten.

SPIEGEL: Sie backen Cookies für die Schultombola.

Longman: Viel mehr als das. Frauen haben damals eine unglaubliche Aktivität in ihren Kommunen entwickelt. Die amerikanische Politik im 19. Jahrhundert wurde in wesentlichen Teilen von Frauen vorangetrieben. Der Bürgerkrieg hätte ohne all die wütenden Frauen in den Nordstaaten, die sich gegen die Sklaverei auflehnten, nie begonnen. Das Alkoholverbot wurde vor allem von Frauen vorangetrieben. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Frauen eine sehr große gesellschaftliche Rolle spielen, gerade dort, wo es die größten Defizite gibt, im Sozialwesen. Statt in irgendwelchen Werbeagenturen zu arbeiten, könnten sie helfen, Slums aufzuräumen, Kneipen zu schließen, Kindergärten aufzubauen, Schulen zu verbessern oder andere Sachen, die kluge, engagierte Frauen damals im viktorianischen Zeitalter unternommen haben.

SPIEGEL: Wie reagieren die amerikanischen Frauen auf Ihre düsteren Prognosen?

Longman: Ach, eigentlich gar nicht. Die meisten Reaktionen kamen aus dem Ausland, vor allem Deutschland und Kanada scheinen sich sehr dafür zu interessieren, zwei Länder mit äußerst niedrigen Geburtenraten. Die Amerikaner dagegen denken immer noch, ihr größtes Problem sei die Überbevölkerung, weil sie keinen Parkplatz für ihren Geländewagen kriegen. Ihnen fällt nicht ein, dass es an der Größe des Autos liegen könnte. Wir sind in demografischen Fragen 20 Jahre hinterher.

SPIEGEL: Aber Ihre Geburtenraten sind doch auch ziemlich hoch, verglichen mit Europa.

Longman: Ja, das liegt daran, dass wir eine religiöse und eine Immigrantengesellschaft sind. Und wer kommt zu uns? Vor allem patriotische, familienorientierte Lateinamerikaner. Das unterstützt meine Theorie nur. Die Gesellschaft wird konservativer. Patriarchisch geführte Familien haben einfach mehr Kinder. Die Einzelkindfamilie der aufgeklärten Sechziger- und Siebziger-Jahre-Eltern wird sehr wahrscheinlich aussterben. Sie wird keine Spuren hinterlassen.

SPIEGEL: Sie sehen so aus, als freuten Sie sich darüber?

Longman: Im Gegenteil. Ich glaube, dass wir in einer patriarchalischen Welt viele individuelle Freiheiten verlieren werden. Aber wir sind selbst schuld. Seit den sechziger Jahren beschäftigt sich die amerikanische Linke vor allem mit Selbsterforschung, Selbstverwirklichung, Selbstbefreiung, Homosexualität, Abtreibung und vernachlässigt eine ihrer ältesten Traditionen: den Familien- und Mutterschutz. Mother Jones zum Beispiel, eine große amerikanische Arbeiterführerin vor hundert Jahren, wollte nicht, dass Frauen so viel Geld verdienen wie Männer, weil sie sonst keinen Anreiz hätten, zu Hause zu bleiben und Kinder zu bekommen. Die Männer müssten in der Lage sein, den Familienunterhalt zu verdienen, damit die Frauen nicht von den kapitalistischen Schweinen in Bergwerke und Spinnereien getrieben würden. Sie sprach sich für Lohndiskriminierung aus - interessante Position für eine Arbeiterführerin.

SPIEGEL: Sind Sie Demokrat oder Republikaner?

Longman: Sagen wir so: Ich wünsche mir eine Linke, die sich wieder mehr für die Arbeiterklasse einsetzt, die für die Familie kämpft, für Kinder und Frauen. Eine altmodische Linke.

SPIEGEL: Frank Schirrmacher, der in Deutschland gerade einen Bestseller über die Rückkehr der Familie geschrieben hat, sieht die Welt eher von 40-jährigen Frauen dominiert als von Männern. Die Deutschen haben jetzt eine Bundeskanzlerin, die Amerikaner demnächst vielleicht eine Präsidentin.

Longman: Die Europäer bekommen immer einen Schreck, wenn sie das Wort Patriarchat hören, sie denken wohl an ein muslimisches Modell, eine Art importiertes Patriarchat, in der Ehebrecherinnen gesteinigt werden. Aber die Form, die ich meine, entwickelt sich aus der Gesellschaft heraus, nur durch die Bevölkerungsdynamik. Es hängt alles davon ab, wer die Kinder bekommt. Und das sind bei uns die Konservativen. Protestantische Fundamentalisten bekommen Kinder, weil es Gottes Auftrag ist, sich zu vermehren. Ein biblisches Gebot. Und diese Leute glauben an die Bibel, im wörtlichen Sinne. Und es läuft auch umgekehrt, viele Kinder sind ja nicht geplant, aber wenn du vier Kinder in unserer Zeit hast, ist es besser, du glaubst auch an etwas, das größer ist als du selbst.

SPIEGEL: Aber denken Sie im Ernst, diese Familien bekommen Kinder, um die Gesellschaft zu erobern?

Longman: Sie setzen sich einfach durch. Die Staaten mit der höchsten Geburtenrate haben bei den letzten Wahlen Bush gewählt, die mit der niedrigsten Kerry. Wobei sich das ändern kann, der konservative Flügel der Demokraten bemüht sich im Moment sehr um die fundamentalistischen Christen. Wenn es ernst wird, ist George W. Bush eher beim Großkapital als bei Gott. Wir messen diesen Bewegungen an der Oberfläche der Politik viel zu viel Bedeutung zu. Bush und Ihre Bundeskanzlerin sind austauschbare Figuren. Das Entscheidende spielt sich am Boden der Gesellschaft ab, in den Familien.

SPIEGEL: Ihre Theorien über das Paarverhalten klingen wie Naturgesetze, grausam. Liebe kommt überhaupt nicht vor.

Longman: Es ist eine spätbürgerliche Idee, dass Ehe auf Liebe gegründet ist. Patriarchalische Gemeinschaften leben von Heuchelei. Man hat Geliebte, auf beiden Seiten. Bisschen ernüchternd, aber so funktioniert’s. Man bleibt zusammen, weil man aufeinander angewiesen ist. Man teilt sich die Aufgaben. In kommunistischen Diktaturen waren die Scheidungsraten unter anderem deshalb so hoch, weil man versucht hat, zwischen Mann und Frau absolute Gleichberechtigung herzustellen. In vielen akademischen Berufen waren Frauen erfolgreicher als Männer, verdienten genauso viel. Das ist nicht gut für die Ehe.

SPIEGEL: Also ist das Patriarchat ein notwendiges Ãœbel?

Longman: Ich würde sagen, eine Überlebensfrage. Sehen Sie sich zum Beispiel Israel an, eines der wenigen entwickelten Wirtschaftsländer, wo die Geburtenrate noch hoch ist. Und das liegt nur an der orthodoxen jüdischen Bevölkerung des Staates. Die Unterschiede in der relativen Geburtenrate zwischen orthodoxen und reformierten Juden sind astronomisch. Und warum? Weil es die orthodoxen Siedler sind, die sich sagen: Je mehr von uns in dieser Siedlung leben, umso unwahrscheinlicher ist es, dass die Palästinenser über die Mauer klettern.

SPIEGEL: Folgt man Ihnen, können uns nur Diktatoren oder Patriarchen vorm Aussterben bewahren.

Longman: Diktatoren haben es nie geschafft, die Geburtenrate dauerhaft hochzuhalten, nicht mal Hitler. Das Patriarchat dagegen schafft das. Ein Grund ist, dass es meist die Frauen sind, die es wiedererfinden. Die Töchter der Sechziger- und Siebziger-Jahre-Feministinnen zum Beispiel wollen nicht die gleichen Fehler machen wie ihre Mütter. 1979 gaben nur 45 Prozent aller jungen Frauen Amerikas an, dass Mutterschaft ihr höchstes Lebensziel ist. Heute sind es 68 Prozent.

SPIEGEL: Und irgendwann bekommen sie mit vierzig Kinder, weil sie es sich dann leisten können.

Longman: Nein. Das ist ein sterbender Trend, glaube ich. Kinder sind teuer. Wenn man viele Kinder bekommt, dann nur, weil man es als seinen Auftrag begreift. Die alten, weltlichen Eltern, die Sie meinen, suchen sich ihre Kinder wie Haustiere. Sie sind keine Stammhalter, sondern Spielgefährten, eine Zerstreuung. Alte Eltern sagen sich: entweder ein Pudel oder ein Kind. Manche warten auch so lange, bis es zu spät ist. Ich bin einer von ihnen. Meine Frau und ich haben mit 40 ein Kind adoptiert. Kurz danach ist meine Frau an Brustkrebs gestorben. Ich habe noch mal geheiratet. Ich bin 50, mein Sohn ist 10. Ich habe dieses Leben selbst gelebt.

SPIEGEL: Bereuen Sie das?

Longman: Es gibt nichts Schöneres für mich, als Vater zu sein. Aber es hat seinen Preis. Es gibt so viele Images für die Rolle des Mannes. Abenteurer, Erfinder, Playboy, künstlerisches Genie, Heiliger. Die konkurrieren alle miteinander. Das Patriarchat ist keine einfache Lösung. Es steckt die Männer in die Kiste wie die Frauen. Aber es hat sich in der Geschichte als sehr überlebensfähig erwiesen. Es ist mittlerweile nicht mehr peinlich, sondern sehr angesagt in der amerikanischen Gesellschaft, dass man als Frau zu Hause bleiben kann, um die Kinder zu erziehen. Man kann es sich leisten, heißt das. Man hat ein Alphatier als Mann. Es gibt die Übermutter als positive Figur. Die Desperate Housewives sind Fernsehhelden.

SPIEGEL: Der Held der neuen amerikanischen Fernsehserie "Big Love" ist allerdings ein Polygamist in Utah. Bill Paxton spielt einen Mann mit drei Frauen. Wenn man Ihnen eine Weile zuhört, glaubt man nicht an einen Zufall. Ist der Polygamist als Serienheld bereits Zeitgeist?

Longman: Oh, ich weiß nicht. Die Show reibt sich wohl eher am Argument der christlichen Fundamentalisten, dass die Legalisierung der Schwulenehe an den Grundfesten unserer Gesellschaft wackelt. Ich glaube nicht, dass Polygamie das große Comeback feiern wird. Aber man weiß nie.

INTERVIEW: ALEXANDER OSANG

ZUR PERSON
Phillip Longman hat in der jüngsten Titelgeschichte des amerikanischen Magazins "Foreign Policy" das Patriarchat als eine Lebensform beschrieben, die sich perfekt eignet, um in einer Gesellschaft des zusammenbrechenden Sozialstaates zu überleben. Familien mit konservativen, religiösen Werten werden sich auf Dauer gegen die weltlichen Kleinfamilien durchsetzen, weil sie mehr Kinder hervorbringen, prophezeit er. Longmans Schrift hat weltweite Reaktionen ausgelöst. In Kanada wurde Longman gebeten, vor dem Senat auszusagen. In Deutschland widmete ihm Harald Schmidt eine ganze Kolumne, und die "Süddeutsche Zeitung" schrieb: "Longmans Schrift zum Patriarchat, das ist Frank Schirrmachers Manifest ,Minimum’, wenn man ihr dessen Optimismus nimmt, was die Potenzen der Frau betrifft." Longman, 50, ist Senior Fellow der liberalen New America Foundation. In seinem Buch "The Empty Cradle" sowie in Texten für "Atlantic Monthly", "Washington Post", "New York Times Magazine" und "USA Today" beschreibt Longman seit Jahren Ursachen und Folgen des weltweiten Geburtenrückgangs. Phillip Longman ist verheiratet und Vater eines zehnjährigen Sohnes.

Quelle:
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,413649,00.html

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