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der Beitrag:
Verfasser: shana
Datum: Sonntag, den 12. Februar 2006, um 18:19 Uhr
Betrifft: Wider den Stachel löcken - oder wie ich durch Zufall mehr fand, als ...

.... ich eigentlich suchte .

> Ich habe diese Woche angefangen das Buch von Tom Harbur, "Der heidnische Heiland" zu lesen. Ein unheimlich interessantes Buch.
> Am Anfang zitiert er John Dominic Crossan ( Der historische Jesus)
> "Noch einmal: Ich sage nicht, dass die Menschen des Altertums wahre Geschichten erzählt haben und wir heutzutage klug genug sind, sie symbolisch zu verstehen. Nein, ich sage, sie haben sie symbolisch erzählt und wir sind heute dumm genug, sie wörtlich zu nehmen." In der HLT wird ja, aber auch alles was in der Bibel geschrieben steht wörtlich genommen.

Das erinnert mich daran, wie bei uns mal in einer geselligen Runde die Frage aufkam, wo die Redewendung ’wider den Stachel löcken’ wohl herkommt und was das denn nun genau bedeutet.
Als einzige Bibelleserin in der Runde war ich mir ziemlich sicher: Bibel. Aber wo genau? Vielleicht Damaskuserlebnis? - schwache Erinnerungen in meinem Siebgedächtnis... Wenn ja, dann in welcher der diversen ’leicht’ von einander abweichenden Schilderungen?

Na ja, um die Sache abzukürzen: Nach einigem Suchen hatte ich nicht nur die passende Bibelstelle gefunden ( Apg. 26:14), sondern auch die ernüchternde Erkenntnis, dass das Damaskuserlebnis des Paulus nicht nur zum Teil wortwörtlich, sondern auch vor allem inhaltlich einer Begebenheit in einem Stück (Das Bacchenfest) des griechischen Dichters Euripides  (480? bis 406 VOR Christus) ziemlich ähnlich ist, entnommen/entliehen wurde, was auch immer.

Als wir aber alle zu Boden stürzten, hörte ich eine Stimme zu mir reden, die sprach auf hebräisch: Saul, Saul, was verfolgst du mich? Es wird dir schwer sein, wider den Stachel zu löcken. Apg. 26:14     http://www.bibel-online.net/buch/44.apostel/26.html

(Wobei in meiner Bibel eine Fußnote darauf hinweist,  dass mit ’hebräisch’  hier in d. Regel das Aramäische gemeint ist, das zur Zeit Jesu die Umgangssprache war.)

Dazu (zur weiteren Abkürzung meiner umständlichen Ausführungen:-) )Uta Ranke-Heinemann in Nein und Amen:

" ..... Und der Stachel ist kein Pflanzen- oder Insektenstachel, sondern gemeint ist ein Stachelstock, mit welchem die Tiertreiber in der Antike ihre Tiere trieben. Der Satz meint also, es habe keinen Sinn, gegen den Stock des Treibers zu treten.........Dass sich im Neuen Testament ein antikes Zitat findet, ist an sich nicht verwunderlich, sonderbar ist nur, dass Jesus es ist, der dem Paulus gegenüber ein griechisches Sprichwort zitiert, vor allem, weil Paulus erklärt (Apg.26,14), Jesus habe zu ihm aramäisch gesprochen. Aber das eigentlich Sonderbare ist, dass es bei Jesus und bei Euripides nicht nur das gleiche geflügelte Wort, sondern auch die gleiche Situation ist. In beiden Fällen geht es um ein Gespräch zwischen einem verfolgten Gott und seinem Vefolger. Der verfolgte Gott ist bei Euripides der Gott Dionysos, und der Verfolger ist Pentheus, der König von Theben. Dionysos stellt, ähnlich wie Jesus, seinen Verfolger zur Rede: "Du schenkst meinen Worten nie Gehör... Statt als Sterblicher wider Gottes Stachel zu löcken, solltest du ihm lieber Opfer darbringen" (787ff).
Es liegt ganz offenkundig eine Übernahme dieser Dionysos-Episode in die Damaskus-Szenerie vor. Eine antike Verfolgungssage wird in eine christliche Verfolgungssage aufgenommen. Sogar das Detail, dass Euripides wegen seines Versmaßes nicht die Einzahl, sondern die Mehrzahl von "Stachelstock" nimmt, wird von Jesus übernommen..."

Also ich habe auch zu meinen christlichsten Zeiten die Bibel nie wörtlich genommen, ging aber schon mehr oder weniger davon aus, daß die Jesus- und die Apostelgeschichten ’irgendwie’ auf wahren Begebenheiten beruhten, deshalb brachte mich dieser unerwartete Fund schon etwas ins Grübeln, vor allem aber hatte es mich verärgert, dass dies und vieles andere ’Insidern’ seit langem Bekannte, nicht einer breiteren christlichen Öffentlichkeit zur Begutachtung und eigenen Beurteilung auf den Tisch gelegt wird.

Ach ja und wen’s noch interessiert, bzw. wer’s nicht schon eh weiß: ’löcken’ hat seinen Ursprung im Mittelhochdeutschen und meint ein Treten, Ausschlagen mit den Beinen, siehe auch frohlocken: springen vor Freude .....

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