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Verfasser: shana
Datum: Sonntag, den 12. Februar 2006, um 0:07 Uhr
Betrifft: Vernunft - Religiöse Abrüstung - metaphysisches Spekulieren und Träumen in

mystischen Nischen .....

Hier noch ein Auszug aus einem anderen Schmidt-Salomon Vortrag, um das mit der Idee ’Religion/Spiritualität als erlaubte (notwendige) Privatsache’ etwas zu verdeutlichen.

Einfach um den (zur Zeit noch oder überhaupt?) bestehenden spirituellen Bedürfnissen der Menschen gerecht zu werden und somit zu verhindern, dass bei aus Vernunftsgründen ’verordneter’ längerer religiöser Abstinenz nicht auf einmal doch wieder ’über Nacht’ religiöse Volksverführer an die Macht kommen, die diesen entstandenen ’Mangel’ für sich und ihre Zwecke ausnutzen.

aus:  http://www.kirchenkritik.de/archiv/lebenohnegott.html

<<< 3. Resümee

Für viele konsequente Humanisten und Humanistinnen steht fest, daß es in Anbetracht des fortschreitenden Fundamentalismus von absoluter Dringlichkeit ist, auf einen Prozeß weltweiter, religiöser Abrüstung hinzuwirken, ohne die ein friedliches Zusammenleben der Menschen kaum möglich sein wird.

Bei der anstehenden, wichtigen Aufgabe der Dekonstruktion der Religionen ist aber dringend darauf zu achten, daß die wertvollen, nichtreligiösen Bestandteile der Religionen nicht verloren gehen. Es geht hier also um eine wahrhaft dialektische Aufhebung, nicht um eine plumpe Zerstörung von Religion, d.h. es geht wesentlich auch um eine Weiterführung ihrer humanen Aspekte, die bei der notwendigen Negation ihrer inhumanen Nebenwirkungen nicht übersehen werden darf. In der Sprache des obigen Bildes ausgedrückt : Wir brauchen nicht nur eine weltweite religiöse Abrüstung, sondern auch eine weltweite religiöse Um-rüstung, eine weltweite religiöse Konversionpolitik, die darauf abzielt, das potentiell Lebensdienliche, das in jeder religiösen Tradition zu finden ist, vom Lebensfeindlichen zu trennen und in die nichtreligiöse, agnostische, auf das Menschliche beschränkte und daher weitgehend restrisikofreie Umgebung zu verpflanzen.

Ein besonders wichtiger, aber auch besonders schwieriger Bereich ist hierbei der Bereich der Mystik. Erinnern wir uns: Die agnostische Position, die ich hier darstelle, schließt nicht prinzipiell die Möglichkeit der Existenz eines Gottes / einer Göttin oder mehrerer GöttInnen aus. Sie sagt lediglich, daß wir, wenn wir von Gott sprechen, nur von unserer Konstruktion eines Gottes sprechen können (nicht von dem Gott, wie er (oder sie?) möglicherweise "an sich" - also losgelöst von unserer Wahrnehmung - existieren mag). Eben darum stellt es ja einen nicht hinzunehmenden Verstoß gegen die Gleichberechtigung dar, wenn ein Mensch behauptet, daß seine Argumentation durch eine durch Offenbarung erfahrene höhere Instanz (Gott) legitimiert ist.

Das aus dieser Erkenntnis resultierende Verbannen Gottes aus dem Bereich der öffentlichen, politischen Diskussion (eine verschärfte Form des jüdischen Bilderverbots) bedeutet jedoch nicht, daß es nicht wünschenswert wäre, daß das Individuum sich den zentralen Fragen der Mystik stellt und über ein Leben nach dem Tod, die Existenz eines metaphysischen Weltensinns, die Existenz von GöttInnen etc. spekuliert. Wenn es dem Individuum gut tut, dies zu tun, und zudem keine Abnahme der Bereitschaft zum Kampf für humanere Verhältnisse erfolgt, so ist metaphysisches Spekulieren und Träumen - egal ob es allein oder in einer Gruppe erfolgt - legitimiert. Angesichts der unbestreitbaren Stärke des Bedürfnisses des Menschen, seinen Alltag durch "Flowerlebnisse" zu überschreiten, wäre von einer freien und humanen Kultur sogar zu fordern, daß sie "mystische Nischen" errichtet, in denen sich die Menschen ohne Gefahr zeitweise von der limitierenden, reglementierenden Vernunft befreien können.

Aber: Aus der Mystik, dem System von Fragen, darf keine Religion, kein gesellschaftlich relevantes oder gar bestimmendes System von Antworten werden. Außerhalb der mystischen Nischen ist transzendentale Enthaltsamkeit angesagt, oder - wie es Adorno formulierte: "äußerste Askese jeglichem Offenbarungsglauben gegenüber, äußerste Treue zum Bilderverbot, weit über das hinaus, was es einmal an Ort und Stelle meinte." (9)

Mit anderen Worten: Wir sollten zwar mit aller Kraft darauf hinwirken, daß das bei DemagogInnen zur Bekräftigung der eigenen Position beliebte Herbeizitieren eines vermeintlich göttlichen Willens bei den Zuhörenden kein ehrfürchtiges Erzittern, sondern heftigste Lachsalven auslöst. Wir sollten aber auch zu verhindern versuchen, daß ein plumper Materialismus an die Stelle der traditionellen Religion tritt. Dieser würde nämlich wichtige menschliche Bedürfnisse negieren und dadurch den FundamentalistInnen Trümpfe an die Hand geben, die sie zu gegebener Zeit hemmungslos nutzen würden, um verlorengegangenes Terrain zurückzuerobern.

Ich komme zum Schluß: Ich glaube daß es unumgänglich ist, die Religionen heute konsequent auf den Prüfstand zu stellen. Welche Elemente der Religionen können wir weiter verwerten? Was müssen wir im Sinne einer humaneren Kultur fallen lassen?

Ich bin der Meinung, daß wir die reichen, kulturellen Schatzkammern der Religionen (ich erinnere hier nur an die wunderbare Tradition christlicher Musik, die von der Musik des Mittelalters, über Palestrina, Bach, und Bruckner bis zu Arvo Pärt heute reicht) nutzen sollten, aber wir sollten endlich lernen, bei all dem Gott aus dem Spiel zu lassen! In einer Zeit nämlich, in der tagtäglich Zehntausende verhungern, in der die Zerstörung der Natur zunehmend katastrophale Dimensionen annimmt, brauchen wir - dringend wie nie zuvor - , eine einheitliche und solidarische Weltkultur, die von Offenheit geprägt ist - und nicht von Offenbarung, eine Kultur, die den Menschen dient - und nicht zweifelhaften, von Menschen geschaffenen Göttern.

Die Geschichte lehrt uns, daß diejenigen, die besonders stark bekundeten, daß Gott auf ihrer Seite steht, stets auch diejenigen waren, die besonders fern den Menschen waren. Ich denke, wir sollten uns im Namen der Menschlichkeit endgültig von der immer wieder mißbrauchten Vokabel "Gott" verabschieden. Das aber verlangt, daß wir lernen, die existentielle Verunsicherung zu ertragen, die mit einem Leben ohne Gott unbestreitbar verbunden ist. Wir müssen z.B. lernen, die Möglichkeit zu ertragen, daß der Tod vielleicht wirklich das definitive Ende ist. Mit anderen Worten: Es muß uns gelingen, den Gedanken an unsere eigene Endlichkeit auch ohne verbindliche religiöse Rückversicherungen zu ertragen. Der religiöse Schrecken wird nämlich erst dann ein Ende haben, wenn das Ende für uns ohne Schrecken ist. <<<

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