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Verfasser: Renate Datum: Freitag, den 19. November 2004, um 15:21 Uhr Betrifft: Bedingungslos glauben
Was bewegt Menschen dazu, bedingungslos zu glauben, auch wenn der Glaube noch so irrational ist?
Aus dem Buch "Wunder Wahn und Wirklichkeit" von Theo Löbsack, Wissenschaftsjournalist - 1976 im Bertelsmann-Verlag:
"Er [Glaube] ist eng mit dem Vertrauen verwandt, er hat etwas Bedingungsloses, Hingebendes, aber er ist auch vordergründig deutbar als ein Fürwahrhalten von etwas rational nicht Beweisbarem. [...] dabei wird behauptet, er sei in dem vernünftigen Wissen um die Glaubwürdigkeit des Gottesbegriffes begründet. Weil dieser Glaube jedoch zu letzter innerer Einsicht in die Glaubensgegenstände nicht kommen könne, wird er auch vom Willen mitgetragen. Er äuÃert sich in allerlei Riten, in andächtiger Stimmung, im Gebet, aber auch im Verhalten den Mitmenschen gegenüber, in der Art zu denken und zu handeln. [...] das alles findet auch seinen Niederschlag in ÃuÃerlichkeiten. Um seine Gläubigkeit auszudrücken, benimmt man sich entsprechend. Beim Kirchgang verstummt das Gespräch schon bei der Annäherung an die Pforte des Gotteshauses. Die Gesichstzüge werden ernster, der Schritt wird gemessener. [...] Die meisten Gläubigen machen in der Kirche den Eindruck, als fühlten sie sich von einem Unsichtbaren beobachtet. [...]"
Es ist die psychische Beieinflussbarkeit des Einzelnen und es sind Phänomene, die in der Masse auftreten. Dazu der französische Soziologe Gustave Le Bon in seinem Buch über die Psychologie der Massen. Er hat da eindrucksvolle Beispiele zusammengetragen:
Experiment in den USA:
Zehn Personen, die einen begründete und sachlich richtige Meinung über einen bestimmten Tatbestand hatten, nahmen an einer Diskussion teil, in der sie erleben muÃten, wie eine gröÃere Zahl anderer Menschen - die Mehrzahl einer gröÃeren Gruppe - die gleiche Meinung zugunsten der entgegengesetzten aufgaben. Die Folge war: Von den zehn Versuchspersonen gaben sechs nun ihrerseits ihre Meinung sofort auf und wechselten zu der entgegengesetzten über. Zwei Versuchpersonen wurden unsicher, und nur zwei blieben bei ihrem - im übrigen richtigen - Urteil. Das Fazit dieses Experiments ist: Die meisten Menschen nehmen die Meinung fremder Gruppen an, wenn diese von einer tatsächlichen oder vermeintlichen Mehrheit verkündet wird.
Es scheint so zu sein, dass bei den meisten Menschen die Angst, mit einer Auffassung allein dazustehen, viel stärker ist, als die Befriedigung, bei einer als richtig erkannten Meinung zu bleiben. Die Angst vor der Isolation, dem "Getrenntwerden von der Horde", das sich beim Frühmenschen in der Wildnis unter Umständen tödlich auswirkte, sitzt bei den meisten von uns auch heute noch psychisch tiefer im UnterbewuÃtsein, als uns lieb sein sollte.
Von Meinungsforschern immer wieder bestätigt:
Eine bestimmte Auffassung muà nur primitiv genug, schlagzeilenhaft, plakativ vorgebracht werden, um "anzukommen" oder zu überzeugen. Mitunter geht der Erfolg einzelner Meinungsverkünder auch allein darauf zurück, daà die Mehrheit dazu schweigt. "Im Schweigen", befand die deutsche Meinungsforscherin Frau Noelle-Neumann, "liegt der entscheidende Positionsverlust, denn nur die Meinung, die sich darstellt zählt."
Ãber den Begriff "Masse":
Gustave Le Bon: Vom psychologischen Gesichtspunkt bedeutet der Ausdruck "Masse" etwas ganz anders. Unter bestimmten Umständen, und nur unter diesen Umständen, besitzt eine Versammlung von Menschen neue, von den Eigenschaften der einzelnen, die diese Gesellschaft bilden, ganz verschiedene Eigentümlichkeiten. Die bewuÃte Persönlichkeit schwindet, die Gefühle und Gedanken aller einzelnen sind nach derselben Richtung orientiert. Es bildet sich eine Gemeinschaftseele, die wohl veränderlich, aber von ganz bestimmter Art ist."
( Le Bon geht davon aus, dass der Mensch in der Masse in erhöhtem MaÃe beeinflussbar ist, die bewuÃte Persönlichkeit kann dabei völlig ausgelöscht sein, Unterscheidungsvermögen und Willen gehen dabei verloren) :
"Ungefähr in diesem Zustand befindet sich der einzelne als Glied einer Masse. Er ist sich seiner Handlungen nicht mehr bewuÃt [...] Unter dem Einfluà einer Suggestion wird er sich mit unwiderstehlichem Ungestüm auf gewisse Taten werfen. Und dies Ungestüm ist in den Massen noch unwiderstehlicher als bei den Hypnotisierten, weil die für alle einzelnen gleiche Suggestion durch Gegenseitigkeit wächst. Die einzelnen in der Masse, die eine hinreichend starke Persönlichkeit haben, um dem Einfluà zu widerstehen, sind in zu geringer Zahl vorhanden, und der Strom reiÃt sie mit [...] Die Hauptmerkmale des einzelnen in der Masse sind also: Schwinden der bewuÃten Persönlichkeit, Vorherrschaft des unbewuÃten Wesens, Leitung der Gedanken und Gefühle durch Beeinflussung und Ãbertragung in der gleichen Richtung, Neigung zur unverzüglichen Verwirklichung der eingeflöÃten Ideen. Der einzelne ist nicht mehr er selbst, er ist ein Automat geworden, dessen Betrieb sein Willen nicht mehr in der Gewalt hat. [...] Allein durch die Tatsache, Glied einer Masse zu sein, steigt der Mensch also mehere Stufen von der Leiter der Kultur hinab. Als einzelner war er vielleicht ein gebildetes Individuum, in der Masse ist er ein Triebwesen, also ein Barbar. Er hat die Unberechenbarkeit, die Heftigkeit, die Wildheit, aber auch die Begeisterung und den Heldenmut ursprünglicher Wesen, denen er auch durch die Leichtigkeit ähnelt, mit der er sich von Worten und Vorstellungen beeinflussen und zu Handlungen verführen läÃt, die seine augenscheinlichsten Interessen verletzen. In der Masse gleicht der einzelne einem Sandkorn in einem Haufen
anderer Sandkörner, das der Wind nach belieben emporwirbelt."Dazu wieder Löbsack:
" Diese Erkenntnisse Le Bons zeigen, daà die Figur des "Hypnotiseurs" besonders wichtig ist, des Führers, des Volkstribunen, des Priesters oder schlicht desjenigen, der dem anderen seine Meinung zungenflink mit mehr oder weniger trickreichen Manövern oder gar demagogisch aufdrängt. Das muà nicht immer eine groÃe Persönlichkeit sein. Es können geschickte Schauspieler sein oder Manipulateure."
Hab ich zufällig auf meiner HD - vielleicht hilft es, ein wenig zu verstehen, was da in uns abläuft..