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der Beitrag:
Verfasser: Nyu
Datum: Mittwoch, den 28. Januar 2004, um 23:56 Uhr
Betrifft: Reflektion - mal wieder

Bitte verzeiht, wenn ich in diesem Beitrag einfach einmal ein bischen ausschweife. Es ist nicht, weil ich in meine eigenen Worte verliebt bin, sondern weil ich selber nur einmal offen mit meinen Gedanken schwanger gehen möchte, um vielleicht etwas zu verstehen.

Gestern hatte ich eine interessante Diskussion mit meiner lieben Frau über das Thema Kirchengeschichte. Warum wir dieses Gespräch hatten überlasse ich jetzt einfach einmal Eurer Phantasie...

In der daraus folgenden Diskussion am Abend, hatte ich die Gelegenheit, über meine Erfahrungen und den Schatz meiner reichhaltigen Erkenntnisse zu philosphieren.
Sie war ja der Meinung, dass ich meine "Inaktivität" durch die Informationen vor allem auf dieser Website genährt hätte.

Tatsächlich bin ich in meinem Loslösungsprozess kaum in die Tiefen der Kirchengeschichte vorgedrungen, um mir alle Details über das Mountain Meadows Massacre, die verschiedenen Versionen der ersten Vision, Vielehe, Priestertum für die Schwarzen, historische Authenzität des Buches Mormon, das Buch Abraham, Marc Hoffman usw. reinzuziehen. Sicher kam mal was hoch und Marc Hoffman und die Kinderhook Platten interessierten mich dann doch am Rande, aber niemals drang ich wirklich in die Tiefen der Materie ein.
Tatsächlich hielt ich stattdessen eine Recherche in den Erfahrungsberichten anderer Aussteiger und eine Analyse der Kirche heute und der Validität ihrer Theologie und ihres Dogmas für viel interessanter. Auch war und ist es mir wichtig, mich selbst im Lichte Christi zu verstehen und zu begreifen, was sein Plan für die Menschen ist und warum es so viele Kirchen gibt, die alle steif und fest davon überzeugt sind, die einzig-seeligmachende Wahrheit entdeckt zu haben und welches Licht wirft das auf die Mormonenkirche?

Joseph Smith ist und bleibt doch ein Rätsel.
- Er hat nie über einen längeren Zeitraum von ein paar Jahren mal ehrlich und fleissig gearbeitet und dafür sich ein bischen Geld erspart, sondern für Bezahlung nach Gold gesucht, sowie andere eher spannende Sachen gemacht, um an Geld zu kommen
- Keiner der 11 Zeugen blieb bei der Kirche oder wäre über den Tod von JS hinaus in der Kirche geblieben. Joseph und Hyrum waren die letzten der 11 Zeugen aus der Familie Smith, die starben, obwohl sie vorzeitig einen unnatürlichen Tod fanden. Aber sicher wären sie nicht mit Brigham nach Deseret gegangen
- Die Kinderhook Platten, das Buch Abraham, das Egyptian Alphabet and Grammar, die Bibelübersetzung und andere "Übersetzungen" sind, im historischen Kontext betrachtet faktisch nichts als Phantasiegebilde
- Das trifft auch auf das Buch Mormon (historisch betrachtet) als grösste Fabrikation zu
- Die "Kirtland Safety Society Anti-Banking Company", also die mormonische Bank von Kirtland, die über die eine von der Kirche gekaufte fast bankrotte Bank in Michigan re-finanziert wurde, ging mit Pauken und Trompeten unter, so dass Heber C. Kimball später über den Sommer 1837 schrieb, dass damals nicht einmal 20 Menschen auf der Erde Joseph Smith noch für einen Propheten gehalten hätten. Zu dieser Zeit befanden sich auch 6 der 12 Apostel in offener Rebellion gegen Joseph
- die Bibelübersetzung wurde nie beendet
- bevor er starb schrieb Joseph an die Apostel auf Mission im Osten, dass sie ihre Garments aussziehen sollten und das Gesetz für Vielehe als gegenstandslos betrachten sollten
- Viele der Inhalte aus dem Buch Mormon sowie der Form der Übersetzung stammen von Salomon Spaulding, der 1816 starb. Die Verbindung? Sidney Rigdon, der Spaulding zeit seines Lebens kannte und wusste, wo das Manuskript für sein Buch lag.
- Joseph war mit mindestens einem Dutzend Frauen verheiratet, bevor Emma überhaupt von ihnen wusste. Manche von ihnen waren minderjährig. Er sagte manchen, dass ein Engel mit einem gezogenen Schwert ihn töten würde, wenn sie ihn nicht heiraten würden und er somit dieses Gebot vom Herrn nicht befolgen könne.
- Er sah sich gerne als Mann von Welt, ritt stolz daher, begleitet von seiner Armee und seinem Hofstab, gekleidet in einer stolzen Uniform, wie ein General oder ein König von Nauvoo.

Das ist die eine Seite von Joseph Smith. Offensichtlich hatte Joseph Smith kein Händchen für "die Dinge der Welt" und verursachte eine ganze Menge Verwirrung.

Die andere Seite von Joseph Smith ist die, die in uns den Glauben wachruft und die uns motiviert, ihm zu glauben.

- er war ein lieber und einfühlsamer Mensch, der auch dem letzten Sklaven freimütig seinen besten Anzug schenkte
- er verstand es, seinen Mitmenschen wunderbare Dinge mitzugeben und sie zu motivieren und in ihnen den Glauben an Gott zu entfachen
- Joseph Smith war ein Mann zu dem Emma Zeit ihres Lebens trotz aller Probleme treu war, weil sie wohl bis zum Schluss ihren Glauben an ihren Mann nicht verloren hatte
- Er blieb trotz aller Probleme immer noch irgendwie ein bodenständiger und weltgewandter Freund für jene, die ihm treu waren
- die Dinge, die er aufschrieb oder diktierte, wirken auf den Leser wie heilige Schrift. Das Buch Abraham ist nachgewiesenermassen keine Übersetzung von irgendetwas. Aber es fällt leicht, es inhaltlich als Heilige Schrift anzuerkennen, selbst wenn "Abraham" niemals so etwas geschrieben haben wird. Das Buch Mormon ist und bleibt eine Leistung aus dem man Erfahrungen mit dem Glauben machen kann und von dem man lernen kann, wenn man es schafft, an seinem Mythos vorbeizublicken.
- Seine Lektionen über den Glauben und seine Glaubensgrundsätze sowie seine offensichtliche Fähigkeit, Grundsätze über Himmel und Erde darzulegen sind beeindruckend und charismatisch und erhellend, selbst wenn man letztlich doch nicht in allen Punkten mit seinen Lehren übereinstimmt.

Ich frage mich jetzt, wie es sein konnte, dass Joseph Smith zu einer solch widersprüchlichen Persönlichkeit wurde. Was genau war eigentlich Josephs Berufung vor Gott, wenn es die überhaupt gegeben hat? Worin bestand Brigham Youngs Aufgabe? Was macht einen Propheten zu einem Propheten? Worin unterscheidet sich die mormonische Sicht von der Aufgabe eines Propheten von der Sicht Gottes darüber, was ein Prophet sein sollte? Welche Implikationen hat diese Erkenntnis für die Verbindlichkeit eines Propheten, Wegweiser für den "einzig-wahren Weg" zu sein?

Ich glaube, dass Joseph Smith jemand war, der, wenn man ihm nur die Gelegenheit dazu liess und er da auch zu aufgelegt war, mit seinem Zuhörer in den Abend-und Nachthimmel blicken konnte, um, inspiriert durch die Sterne und die Neugier seines Gesprächspartners, Stunden über Stunden über Gott und die Schöpfung philosphieren konnte und in immer neue Dimensionen der Ideen und Grundsätze vorstiess. Er muss jemand gewesen sein, der einfach nur die Fähigkeit hatte, Dinge ganz natürlich zu verstehen, selbst wenn er dann manchmal mit seinem "Verständnis" in die falsche Richtung trieb.
Vielleicht hatte er Visionen, vielleicht betrachtete er aber seine grenzenlose Phantasie auch einfach nur als Vision, wenn sie mal mit ihm durchging und er selber an deren Göttlichkeit glaubte. Vielleicht war er auch wirklich ein Prophet.

Aber dann die nächste Frage: was waren Propheten früher? Sie waren häufig die letzten bedingungslos an den Gott der Väter glaubenden Menschen eines erwählten Volkes, die Gott manchmal einfach aus dem Leben holte, um sie irgendwo hinzuschicken und irgendwelche Dinge zu sagen, die die Leute in der Regel sauer machten. Manchmal waren sie Kaufleute, manchmal Fischer oder Zimmerer oder Ärzte oder Juristen oder Schäfer. Nur selten gehörten sie zum religiösen Establishment und wenn, dann traf sie die prophetische Berufung unvorbereitet, meistens waren sie Underdogs und immer begegnete man ihnen mit Misstrauen, was fast genauso häufig tötlich endete.
In der apostolischen Zeit gab es dann wieder Propheten. Da jetzt der Heilige Geist nach Christus über die sich bildenden Gemeinden ausgeschüttet wurde, waren dann einfach viele Menschen Propheten, die die prophetische Gabe hatten, wodurch auch immer. Aber die Zeit der Propheten wie zu alters ist halt vorbei. Die ganzen strukturellen Zwänge und hinweisende und an die Schuld erinnernde Riten, wie zur Zeit des alten Bundes, waren in Christus erfüllt.

Kleiner Einschub:
Daniel interpretierte ja den Traum Nebukadnezzars. Die Wahrheit Gottes zerstörte in diesem Traum letztlich alle Reiche der Erde, um die ganze Erde zu füllen. Die Mormonen beziehen das natürlich auf ihre Kirche, so wie alle anderen Sekten das auch auf ihre Kirchen beziehen. Diese Theorie geht aber nicht auf. Nebukadnezzar hat garantiert niemals die Mormonenkirche gesehen, sondern er hat gesehen, wie sich die Wahrheit auf der ganzen Welt ausbreitet.
Das Judentum hat durch zwei grosse geschichtliche Ereignisse für ein Vermächtnis gesorgt, das die Geschichte der Menschheit über viele Jahrtausende bestimmt hat und bestimmen wird. 1. Sie sind unter alle Völker zerstreut worden und 2. Aus ihm ist das Christentum hervorgegangen.
Es ist meine Überzeugung, dass jetzt erst, 2000 Jahre später, einige Ergebnisse dieser beiden Ereignisse zu Früchten gekommen sind. Warum auch nicht? Alle möglichen Werte- und Gesellschaftsentwürfe haben sich als nicht haltbar herausgestellt und womöglich wird sich auch weiterhin die liberal-demokratische Grundordnung zukünftig mit einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft durchsetzen und sich als haltbar erweisen. Diese Ergebnisse sind über Jahrhunderte aus jüdisch-christlichen Werten hervorgegangen.
Einschub Ende.

Meine Meinung ist, Propheten finden sich überall und in vielen Kirchen. Genau wie damals kommen sie eher nicht aus dem religiösen Establishment, sondern von überall her. Diese strenge Polarisierung, die die Mormonenmissionare in der ersten Diskussion vornehmen, es gäbe viele falsche Propheten und dann halt noch gute mormonische Propheten, ist irgendwie falsch gewickelt. Der Heilige Geist kann uns in der Tat durch unser Gefühl sagen, wer Recht hat und wer nicht und was zu mir passt und was nicht; aber keinesfalls gibt es da nur in einer Kirche "wahre" Propheten, die ausgerechnet noch seit über 150 Jahren genau zum religiösen Establishment gehören und eben keinesfalls jemals "Underdogs" waren.
Joseph Smith mag ein Prophet gewesen sein. Aber egal, was er war, Brigham Young war nur noch so eine Art charismatischer predigender König eines Volkes im Ausseits. Er hätte niemals dieselben Fehler gemacht wie Joseph Smith, weil Smith nämlich ein Träumer war, er hatte aber auch nicht seine Gaben, genausowenig wie irgendeiner seiner Nachfolger, die alle höchstens mehr oder weniger gute Manager waren. Vorstandsvorsitzende über einen 15-köpfigen Vorstand der HLT AG.

Nur weil Joseph Smith vielleicht einer von vielen Propheten im Haushalt Gottes in allen Kirchen war, ist deshalb doch nicht die Kirche, die sich aus seinen mehr oder weniger guten "Ideen" oder Eingebungen entwickelte, die "einzig wahre" Kirche mit der allein seeligmachenden "Vollmacht" vor Gott. Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage ist eines von vielen Instrumenten in der Hand Gottes, Menschen zu ihm zu führen. Dazu ist es vielleicht nötig, dass viele Menschen glauben, dass sie die einzige vor Gott gültige Wahrheit gefunden haben. Genau wie bei den vielen anderen Religionen auch.
Es gibt keine einzig-wahre Kirche.
Es gibt nur die einzig-wahre Liebe, die sich in den Kirchen manifestieren kann aber nicht muss. Und wenn der Herr wieder einmal was grosses plant oder die Menschen umkehren müssen, dann sendet er Propheten, die dann auch mal gerne das religiöse Establishment ordentlich durchschütteln (wahrscheinlich werden sie dann ausgeschlossen und kehren ihren Gemeinden den Rücken). Diese Menschen leiten dann aber nicht unbedingt eine Kirche und schon gar nicht so eine wie die Mormonenkirche, wo den Leuten (weissen wohlhabenden Männern) technokratisch erzählt wird, dass sie, weil sie sich in der Kirche liniengetreu verhalten haben und beruflich erfolgreich waren, jetzt Propheten, SEHER und OFFENBARER zu sein haben, obwohl sie vielleicht viel weniger prophetische Gabe besitzen, als der arme Missionar mit den etwas zu langen Haaren oder den schlechten Zahlen, den sie gerade auf der letzten Zonenkonferenz zurechtgewiesen haben.
Gott erwählt sich seine Propheten, Seher und Offenbarer selber.
Ich glaube wirklich, dass der Herr diese und auch andere Kirchen führt und leitet, wie ich das auch schon gefühlt und erlebt habe. Häufig kommen die besten Impulse aber von unten und aus der Basis. Ich will überhaupt nicht gegen diese Kirche arbeiten und sie schlecht machen. Im Gegenteil, obwohl ich viele Fehler sehe, hoffe ich, dass sie sich gut entwickelt und dass sie sich bald ändern möge und von ihrem hohen Pferd absteigt. Ich würde ihr diese Einsichten gönnen und wünschen.

Henning

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