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Verfasser: Nyu
Datum: Montag, den 12. Januar 2004, um 14:34 Uhr
Betrifft: bez. kirchliche Strukturen

sage mir doch einmal, wo Du meinst, dass die Ur-kirche annähernd so strukturiert wäre wie die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage des 21. Jahrhunderts? Diese direkte Frage soll keinesfalls ein Vorwurf sein.
Blicke aber einmal auf die zeitgenössische Mormonenkirche:

- 15 Apostel (unter Joseph Smith 12), die Managerposten in der Kirche inne haben und zumindest bis in die 1980er hinein auch ein Gehalt bezogen. Der Prophet und seine beiden Ratgeber kommen aus dem Kollegium der 12 Apostel, haben aber weitergehende administrative und priesterliche Vollmachten als die 12 selbst. Diese Männer prophezeien nicht wirklich etwas, was mir bekannt wäre. Sie gehen nicht wirklich unter die Leute in der Welt. Sie heilen keine Kranken und treiben auch keine Dämonen aus. Sie verkündigen das Evangelium nicht auf den Gassen und Plätzen und im Fernsehen.

- unter ihnen sind in der ecclesiastischen Linie noch 5 Kollegien der Siebziger wovon die ersten beiden Kollegien der Siebziger am Bekanntesten sind und meines Erachtens nur das erste Kollegium der Siebziger auf Lebenszeit berufen ist. Die ersten beiden Kollegien sind tatsächlich ca. 70 weisse, wohlhabende, ältere überwiegend amerikanische Männer, die sozusagen das untere Top-Management der HLT AG sind. Auch diese Männer sprechen nur auf Pfahl- oder Regionsebene zu den Mitgliedern und bereisen in der Regel keine Gemeinden in der Peripherie und an der Front, wo ihre Hilfe gebraucht wird. Häufig fallen die Siebziger dadurch auf, das sie auf Pfahlkonferenzen Ansprachen geben, die sie so und so ähnlich schon -zig mal gegeben haben (z.B. Gene R. Cooks Geschichte mit Mick Jagger usw.) oder sie stauchen auf Missions- und Zonenkonferenzen Missionare und deren Präsidenten zusammen. Sie fliegen erster Klasse oder Business Class und übernachten in den Missionsheimen, bei Pfahlpräsidenten (eher selten) aber in der Regel in recht netten und anspruchsvollen Hotels.

- unter den Aposteln sind auch die Hilforganisationen (FHV, PV, JD, Sonntagsschule usw.) organisiert. Allerdings werden alle lehrinhalte exakt von den (männlichen) Führern der Kirche vorgegeben. Jede Implikation auf eine Gleichwärtigkeit der Frauenhilfsorganisation wird unterbunden (der Ausspruch einer FHV-Leiterin auf einer Generalkonferenz: "wir sind den Brüdern dankbar, was sie für uns tun..." wurde in Aufzeichnungen und im "Konferenzstern" (wie er damals noch hiess) herausgeschnitten.)

- unter den Aposteln ist, bezogen auf die Kirchenverwaltung und -Struktur das Kollegium der Präsidierenden Bischofschaft mit (ich glaube) sieben Kirchenbeamten. Unter ihnen findest Du eine weltweite Kirchenverwaltung mit -zig tausenden Mitarbeitern und (freiwilligen) Missionaren, die die Assets verwalten und die Struktur aufrecht erhalten sowie den kirchlichen Medienkonzern verwalten und managen.

- Unter dem "geistlichen" Top Management der Kirche findest Du die Pfahlpräsidentschaften mit Hohen Räten und Pfahlleitern der "Hilfsorganisationen", die die Kirche auf regionaler oder lokaler Ebene leiten. Mit ihrer Struktur findest Du die Kirche im Mikrokosmos 1 zu 1 dargestellt mit 12 Hohen Räten, HO-Leiter/innen, Sekretären. In der Kirche unter Joseph Smith organisierte Emma Smith die "Female Relief Society". Joseph Smith übergab die Schlüssel für eine Organisation NEBEN dem Priestertum an die damalige FHV ("...I now turn the keys unto you"). Später wurde das dann verändert und zentralisiert (... Ich glaube es war Joseph F. Smith, der die Kirchengeschichte diesbezüglich veränderte ("...I now turn the keys in your behalf.")

- Neben der Pfahlorganisation findest Du parallel dazu die Missionsorganisation, die auch zentral von Salt Lake aus organisiert wird und von wo auch die Budgets für jeden Missionar einer Mission definiert werden. Die Missionare sehen immer gleich aus (..mit Ausnahme z.B. Tonga, wo sie Röcke tragen), lehren das gleiche und verhalten sich gleich, da das "Weisse Handbuch" (der Verhaltenskodex) weltweit identisch ist. In Frankfurt sind die Missionare faktisch arm und leben von unter 200 EUR im Monat. Sie dürfen nur zwei Mal im Jahr mit den Eltern telefonieren und haben keinen Zugang zum Internet. Sie bekommen eigentlich immer dann eine neue Regel, wenn irgendwo auf der Welt oder in der eigenen Mission ein Missionar Mist baut. Es gibt keine Kontrollinstanzen oder eine Art Vertrauensperson oder sogar Betriebsrat für Missionare. Beschwerdebriefe über die Willkür des Missionspräsidenten an die Siebziger oder die Apostel werden an den Missionspräsidenten zurückgeschickt.

- Unter den Pfahlpräsidentschaften findest Du die lokalen Bischofschaften oder Zweigpräsidentschaften (je nach Grösse). Ihre Diese sind, genau wie die Ebene über ihnen, Richter in Israel. Sie können Mitglieder ausschliessen oder sie sonstwie disziplinarisch behandeln. Des Weiteren haben Sie Inspirations- und Handlungsgewalt für ihre Gemeinde.

- Management ist immer Top-down und niemals Bottom-up. Von unten kommen immer nur Vorschläge aber niemals Weisung. Die Kirche ist extrem zentralisiert. Dort (Zentral) wird bestimmt, welche Themen behandelt werden, welche Form von Versammlungen angeboten werden, welchen Inhalt diese Versammlungen haben dürfen usw.

- Zehntengelder bleiben nicht lokal oder regional vor Ort, sondern gehen immer nach Salt Lake City, um von dort aus verteilt zu werden nach einem Schlüssel Währung / Mitglied. Ich weiss nicht, ob dieser Schlüssel weltweit gleich ist oder regional angepasst wird. Bei der Rückverteilung spielt aber nicht nur das objektive Kriterium "Mitgliedergrösse" eine Rolle, sondern auch Beziehungen zur Kirchenverwaltung (...so ist z.B. erklärbar, warum manche Gemeinden immer wieder aussergewöhnliche Sonderrechte erhalten.)

- Die Kirche steht in der mormonischen Theologie im Vordergrund und nicht Gott. Die Kirche feiert sich praktisch unaufhörlich selbst (In PR und kirchenhistorisch relevanten Stätten sowie in den Konferenzen und Zeugnisversammlungen aber auch in der offiziellen Lehre), wärend intern strenge Verhaltensregeln dominieren, die Schuldgefühle in den Mitgliedern produzieren, da die Kirche sehr viel verlangt. Gelehrt wird: die Gnade aus den Werken durch Konformität und nicht die Werke aus Gnade durch Befreiung des Geistes in Christus.

So. Das ist nun Deine Wiederherstellung der Ur-Kirche. Gerade der letzte Punkt war für mich ausschlaggebend, mich von der Kirche zu entfernen.

Ich kann ja mal kurz schreiben, wie ich die Ur-Kirche empfinde:
- Die Kirche war alles andere als technokratisch. Sie war klar von dogmatischer Dynamik und dem Geist des Herrn geprägt, der den Mitgliedern eingab zu singen, zu beten, anzubeten und zu lehren sowie gemeinsam zu Essen oder vom Abendmal zu nehmen. Die Versammlungen waren extrem dynamisch und um Konsensfindung bemüht.

- Es gab eine flache Struktur: Bischof vor Ort und Apostel als reisende Führer der Gemeinschaft, die zwar klare Weisungsmacht hatten aber jedem dienten und sich unter die Mitglieder stellten. Sie scheuten die eigene Arbeit nicht, sondern waren Mitgliedern oder nicht-Mitgliedern dienlich oder erhielten Unterstützung.

- Die Apostel bereisten die Gemeinden vor Ort und predigten vor Andersgläubigen. Sie vollbrachten aktiv Wunder die teils Missionswerkzeug waren und teils nicht. Sie stellten sich nicht vor Gott, sondern führten die Mitglieder zu Gott. Sie stellten die Lehren nicht gegen die vorhandenen Glaubensgrundsätze vor Ort, sondern ergänzten diese in Christus.

- Ihre Lehre förderte die Freiwilligkeit und die Menschwürde. Die Werke aus der Gnade stand im Vordergrund und nicht die Gnade aus den Werken.

Was meinst Du: wo liegen hier die Unterschiede?

liebe Grüsse,
Henning

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