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zum Thema Ralfs Zweigpräsidentschaft - mal anders gesehen !
Seite erstellt am 28.3.24 um 18:25 Uhr
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der Beitrag:
Verfasser: Henning
Datum: Donnerstag, den 18. Januar 2001, um 21:32 Uhr
Betrifft: Ralfs Zweigpräsidentschaft - mal anders gesehen !

Hallo Ralf,

ich kenne Dich nicht und auch dieses Forum hier eigentlich nicht . Bislang habe ich immer rege an den Beiträgen der HLT-Liste vom Österreicher Heber Ferraz-Leite teilgenommen, auch wenn mir da manche Meinungen ab und zu zu engstirnig und manchmal einfach nur peinlich vorkamen.

Nach erster Sichtung dieser Website muss ich sagen - alle Achtung. Technisch gesehen ist diese Website echt super. Selten sieht man eine Website, die technisch so gut gestaltet war - ohne den unnötigen Schnickschnack und dennoch so übersichtlich blieb und einfach zu handhaben ist.

Aber vielleicht erst einmal zu meiner Person.
Mein Name ist Henning. Ich wurde im September 1989 im Alter von 18 Jahren in die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage getauft und ging 14 Monate später auf Mission in den U.S. Bundesstaat New York. In meiner Mission waren all diese "historical sites" wie der Sacred Grove, Joseph Smith Home, Palmyra und Fayette, der Hügel Cumorah und sogar der Susquehannah Fluss floss durch eine "meiner" Gegenden in denen ich meinen Dienst versah.
Ich erfüllte meine vollen 2 Jahre und kam dann im November 1992 wieder nach Deutschland zurück. Das erste halbe Jahr danach war ein Schock aber ich sammelte mich bald wieder irgendwie und wurde dann zunächst Gruppenleiter und dann Zweigpräsident in einer kleinen Gemeinde in der Nähe der Stadt in der ich getauft wurde.

1994 heiratete ich eine liebe Frau aus meiner kleinen Stadt, die sich kurz nach meiner Taufe auch der Kirche anschloss. Wir kannten uns vorher nicht. Ihr wisst sicherlich, wie gross die Chance in Deutschland, ja vor allem in der eigenen Heimatstadt ist, seine Partnerin für´s Leben zu finden.
Mein Amt als Zweigpräsident hielt ich 5 Jahre inne, so dass ich dann im Herbst 1999 aus meiner Berufung entlassen wurde.
Unsere Gemeinde war sehr klein und manchmal schien es mir, als würde ich sehr viel zum Bestand unserer kleinen Einheit beitragen. Ich hatte "fast" zu keiner Zeit Ratgeber. Einmal war da für ein paar Monate ein ziemlich gutmütiger aber planloser Missionar, der mir zur Seite gestellt wurde. Ich hatte in dieser Zeit nur einen Finanzsekretär.
Nach meiner Entlassung war ich mal Sonntagschulleiter und Lehrer und dann eine kurze Zeit lang gleichzeitig noch Gemeindemissionsleiter. Zum Schluss war ich dann nur noch GML.

Beruflich ging es mir aber mies, also war dann der Todesstoss für die Gemeinde bald gegeben. Meine Familie (wir hatten im Dezember 1999 einen Sohn, Samuel, bekommen) und ich zogen dann aufgrund eines sehr guten Jobangebots im August 2000 nach Frankfurt. Chantal kümmert sich um den Kleinen und ich fahre dann jeden Tag in die Stadt und mache meinen Job, damit wir klar kommen.

Kurz vor meiner Ablösung aus meiner Berufung zog eine junge Familie in unsere Gemeinde. Er wurde dann an meiner statt Zweigpräsident. Er war und ist echt ein super Typ. Aber an dem Tag an dem ich bekannt gab, dass ich nach Frankfurt ziehen würde, teilte er mir auch mit, dass er von der Bundeswehr wieder versetzt würde und im Herbst wieder in Schleswig-Holsstein sein würde. Das war der Hammer für die Gemeinde und nachdem wir zwei Familien nun weggezogen sind, liegt der Zweig nun in seinen letzten Zuckungen und wird aufgelöst.

Unsere jetzige Gemeinde ist absolut super. Sicherlich gibt es da auch Probleme, aber mir scheint, als sind die Mitglieder hier ganz gut aufgehoben.
Das war echt super, wie die neue Gemeinde ganz spontan bereit und in der Lage war, uns bei unserem Einzug zu helfen. Die Leute waren innerhalb weniger Stunden organisiert und zur Stelle.

Ich möchte aber noch einmal einen Moment auf die bisherigen 11 Jahre meiner Mitgliedschaft eingehen, und wie ich es empfunden habe, Mitglied zu sein.
Die Zeit als Zweigpräsident war hart - keine Frage. Da ist ja nicht nur die Arbeit und das Wenige, das man bewegt. Da ist ja auch der Seelenschmerz, den man hat, wenn man meint, man hätte noch viel mehr tun müssen, dann würde es der Gemeinde sicherlich viel besser gehen. Zum Schluss war die Seelenpein so gross, dass ich dem Herrn unter Tränen eingestehen und mitteilen musste, dass ich nicht mehr kann. Und ich wusste auch, dass es so war.

Vielleicht entsteht aufgrund meiner bisherigen Schilderung der Eindruck, ich sei wohl ein wenig naiv, all das mit mir machen zu lassen, zumal der Zweig ja auch überhaupt nicht gewachsen war und zum Schluss dann ja sogar aufgelöst wurde.

Aber ich war in der ganzen Zeit immer höchst kritisch und bin es auch noch. In der Zeit meiner Mission in der sogenannten "Cradle of the Restauration Mission" hatte ich teilweise verzweifelt im Heiligen Hain bei Palmyra gebetet und nach einer Antwort gesucht, ob Joseph Smith wirklich im Jahre 1820 an diesem Ort Gott den Vater und seinen Sohn Jesus Christus gesehen hatte, aber ich hatte damals nie eine Antwort diesbezüglich erhalten und das verzweifelte mich (erst später dann wurde mir klar, dass J.S. bis 1823 warscheinlich gar nicht dort gewohnt hatte). Bis heute habe hier keine positive Antwort erhalten, so sehr ich mich auch bemüht habe.
Ich bin also immer noch kritisch, vielleicht - mehr denn je. Sowohl gegenüber den Fundamentalisten unter den Mormonen und den (in ihrem Sinne) Orthodoxen, wie als auch gegenüber den liberalen Weltverbesserern und den ewig Meckernden in und ausserhalb der Kirche. Und von denen finde ich HIER ja wohl zuhauf.

Aber ein Zeugnis erhielt ich schon sehr schnell und dieses Zeugnis wuchs von Jahr zu Jahr. Nämlich das Zeugnis, das der Herr mich in dieser Kirche wollte, das er mich hier hergeführt hat und das ich hier hingehöre.

Frage doch einmal viele der aktiven Mitglieder der Kirche, ob sie der Meinung sind, ein spirituell begründetes Zeugnis davon zu haben, dass Gott (wie auch immer er es ihnen mitgeteilt hat) sie in diese Kirche geführt hat. Und das er vielleicht aus denselben oder vielleicht noch gewichtigeren Gründen ihnen rät in der Kirche zu bleiben. Sie werden Dir sicherlich eine Antwort geben können.
Es mag auch solche geben, die sich aus dem einen oder anderen Grund genötigt oder gedrängt fühlen ständig zu gehen, ohne ein solches Zeugnis zu haben. Aber ich bin überzeugt, dass sich das bei jedem im Laufe der Zeit richtet. Auf die eine oder die andere Art und Weise.

Zu meiner Zeit sind sicherlich einige Mitglieder an mir verzweifelt, so wie ich an einigen Mitgliedern verzweifelt bin.
Ralf, wenn Du an Deine Zeit zurückblickst, wirst Du erkennen, dass das auch auf Dich zutriffst, der Du doch Richter in Israel warst - und laut mormonischer Theologie auch noch bist, bzw. es auch wieder sein wirst, Deine Glaubenstreue vorausgesetzt.

Wie sehr war ich damals verzweifelt. Viele Dinge aus dem mormonischen Mythos und der mormonischen Theologie ergaben für mich keinen Sinn und Fragen lasteten schwer auf mir, in einer Zeit, in der ich das am allerwenigsten gebrauchen konnte.
Ich glaube, dass ich bis heute einige Antworten gefunden habe. Antworten, die den "Orthodoxen" sicherlich nicht passen würden.

Aber eines habe ich bisher nicht zugelassen und kann es auch bei mir und Anderen unter keinen Umständen gut heissen.
Und das ist, mein Herz zu verhärten.

Viele haben dies getan und die Flinte ins Korn geworfen und sich dabei auch noch gerechtfertigt gefühlt - sei es durch doktrinelle Widersprüche oder durch Fehltritte Einzelner. Man muss wohl die Beweggründe jedes Einzelnen prüfen aber dies auch sehr kritisch tun. Ich bin sehr davon überzeugt, dass viele der ehemaligen Mitglieder der HLT-Kirche Gründe anführen, die nur als Fassade dienen für allzu Menschliches und somit nicht mehr den edlen Märtyrer-Charakter hat, oder was auch immer.

Ich habe bisher keine Alternative zu den sonntäglichen Versammlungen in einer Gemeinde der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage gefunden - für mich.

So viele Fehler ich auch in der Kirche, der ich angehöre finde, ich finde einfach keine Alternative. Ich muss das Gute nehmen und den Austausch mit den Geschwistern heiligen und das Schlechte abweisen.

Nun, ich hoffe, dass mein Standpunkt in der Sache klar geworden ist.

Gruss, Henning

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