Das Exmo-Diskussionsforum

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der Beitrag:
Verfasser: Nyu
Datum: Montag, den 22. Dezember 2003, um 14:28 Uhr
Betrifft: Exmos und ihre Probleme

Es war sicherlich richtig, dass Du hier auch einmal (nochmal) angesprochen hast, worin denn die Schuld der Kirche in Bezug auf den Geisteszustand der durch sie irgendwie belasteten derzeitigen oder ehemaligen Mitglieder sowie deren Familien eigentlich liegt.
Wenn man also davon spricht, dass irgendwelche Gruppen Probleme haben, dann haben sie diese Probleme natürlich durch die Kirche oder die Art und Weise, wie sie darauf reagiert haben.
Du schreibst, dass orthodoxe Mormonen bestimmte Bestandteile ihrer Gefühlswelt als störend empfinden würden. Das stimmt. (Ich bitte darum, meine Verallgemeinerung "die Mormonen" abstrakt und nicht personalisiert zu betrachten).
Das mit den abgespalteten Emotionen geht ja sogar so weit, dass bestimmte, an kultureller Vielfalt und emotionaler Reife Unerfahrene, das Gefühl der Verwirrung aufgrund von Widersprüchen zu ihrem kulturell (nicht mal unbedingt theologisch) bedingten Weltbild, als "satanische Einflüsse" identifizieren.
Bsp.: Eine 19-jährige JAE in einer Kleinstadt in Utah wird in einer Sonntagsschulklasse mit der Diskussion konfrontiert, ob man mit dem Kinderkriegen warten soll, bis ausreichende finanzielle Mittel vorhanden sind und bei der Wahl des Ehepartners auch den eigenen Verstand zu gebrauchen, anstatt die Kirche die Entscheidungen treffen zu lassen. Der Widerspruch zu ihrer mormonischen Kultur verursacht Verwirrung in ihr, die daraufhin von ihr als "schlechtes Gefühl" interpretiert wird, das von Satan kommt.
Hierzu gleich aber mehr...
Du schreibst noch:
> Wozu also Riten, wozu weitere Gebote, außer dem der Liebe ja sogar der Feindesliebe? Wer nach Jesus Christus wieder ein Gesetz und Riten einführt, zeigt, dass er ihn nicht verstanden hat.
Ich hatte ja auch geschrieben, dass ich nicht unbedingt die Tempelriten gänzlich abschaffen würde, wenn sichergestellt wäre, dass sie den Mitgliedern helfen, zu verstehen, welche Mission Christus wirklich hatte und das unterstreichen, was Du über die Mission Christi geschrieben hast. Von daher wäre es, meiner Meinung nach, sogar hilfreich, Christus auch durch Riten und äussere Handlungen zu verstehen. Aber immer wenn ich anfange, diese Riten zur Bedingung zu machen, verlieren diese ihren positiven Einfluss und werden zu Mitteln der Unterdrückung (gerne auch Gleichschaltung) und der Ablenkung von Christus.
Was wird uns durch die Tempelbündnisse abverlangt?
Alles was ich bin und habe und was mich moralisch und ethisch und als Mensch ausmacht, werde ich für den Aufbau der HLT-Kirche opfern und weihen, wenn es von mir verlangt wird. Des weiteren werde ich lernen, bestimmte Leidenschaften zu zügeln und an den Werten des "wiederhergestellten Evangeliums" auszurichten.
Das mag, entgegen dem ersten Eindruck, auch bedeuten, dass ich mich auch mit meinem Gefühl für Gerechtigkeit weihe und eben gerade jenen Fundi-orthodoxen paroli biete und meinen Erkenntnissen folge und gegen den Strom schwimme. Die Frage ist nur: habe ich da überhaupt Bock zu? Muss ich mir diesen Scheiss antun, die Pharisäer in ihre Schranken zu weisen? Wenn ich das aber nicht tue, dann bleibt nichts von den Tempelbündnissen übrig als das, wonach sie sich anhören: Mittel zur Beschneidung der gottgebenen Vernunft.
 
Wir können aber gerne einmal diskutieren, ob solche, wie von mir im vorangegangenen Beitrag skizzierten Bündnisse überhaupt mit der Botschaft Christi verträglich sind. Aber ich hielte solche Riten für weniger offensiv und problematisch als z.B. das, was ich in den letzten Wochen in verschiedenen Freikirchen beobachten musste. Ich hatte irgendwie den Eindruck, dass dort Christus zum Götzen gemacht wird. "Mein" Christus ist weit weniger offensiv und weitaus vernünftiger und bodenständiger aber nicht weniger verbindlich als dieser calvinistische Jesus dort.
Jetzt aber nochmal dazu, dass, wie Du schreibst, nur die Liebe verbindlich sein sollte.
Frage: ist es schlimm, wenn man sich einer Schulblade zugehörig fühlt? Welchen Sinn könnte es haben, wenn ein Mensch durch eine Zugehörigkeit zu einer Institution seine Werte an dieser Institution ausrichtet, um daran zu lernen, ethische Werte zu verinnerlichen und auch zu praktizieren?
Wenn ich ein deutscher, protestantischer Christ bin, dann bin ich in der Lage, mein Selbstbild dreifach zu fokussieren. 1. ich bin deutsch, 2. ich bin Christ, 3. ich bin protestantischer Christ. Bezogen auf diese drei Dinge könnte ich einen positiven Patriotismus entwickeln, der sich auch nicht nur an Sekundärtugenden orientieren muss, sondern positive Energien freisetzen kann. Das Problem am Mormonismus ist ja, dass gerade diese Komponente überbetont wird - irgendwie sehr amerikanisch - Patriotismus (zu Kirche, Kultur und Nation) und Leistung.
Wenn ich einfach nur liebe, laufe ich dann nicht Gefahr, dass dies manchen Menschen zu wenig halt gibt?

So, jetzt zu Deiner Anregung:
> Sehr witzig wie Ihr beiden da voll ins Netz des Mormonismus gegangen seid. Ein Mormone/die Kirche hat niemals Probleme, da er ja die rechte Lehre gefunden hat. Ein Exmo hat keine Probleme, weil der die wahre Lehre entlarvt hat. Und beide seid Ihr so klug zuzugeben, dass beide Gruppen doch ab und an Probleme haben.

Du meinst hier vielleicht, dass der Mormonismus ja der Täter ist und sowohl Mormone als auch Ex-Mormone die Opfer, oder?
Ich sehe für meinen einen Satz dort wohl zwei Interpretationsmöglichkeiten:-).
1. ich finde, dass viele Exmos (natürlich nicht in diesem Forum;-) ) zynisch und bissig und übertrieben hart auf die Kirche und oft auch das Christentum überhaupt reagieren. Teilweise werden hier auch die Regeln des guten Geschmacks verletzt (bestimmt, weil man auch an ihnen die Regeln des guten Geschmacks verletzt hat). Bsp.: Wenn eine Frau vergewaltigt worden ist und Opfer wurde, dann kann ich mit Sicherheit tolerieren, wenn sie zukünftig Probleme hat, mit Männern normale Beziehungen einzugehen. Ich werde wohl nie ganz verstehen können, was das genau heisst, aber ich kann dann doch wohl sicher akzeptieren, wenn sie ernste Schwierigkeiten hat. Ich muss aber nicht akzeptieren, wenn sie mir, der ich damit nichts zu tun habe, z.B. an der Arbeitsstelle mit einer "Schwanz ab" Einstellung das Arbeitsleben schwer macht.
Ich finde schon, dass der Vergleich: vergewaltige Frau / gebrannter Exmo, passt. Viele Ex-mormonen können nie wieder unkomplizierte Bindungen zu einer Religion eingehen.
Ich finde aber auch, dass man vielen gläubigen Mormonen mit Bissigkeit unrecht tut und sie obendrein auch noch in ihrem Sektierertum bestärkt.

2. Mir könnte ( ! ) ja auch aufgefallen sein, dass Tobis Äusserung "einige Probleme" eine masslose Untertreibung ist. Somit hätte ich dann sehr subtil darauf reagiert und aus seiner Sicht eben so untertrieben. Man darf hier ja nicht vergessen, dass viele gläubige Mormonen die Exmos für verlorene Satanisten halten, wärend viele überzeugte Exmos die Mormonen ebenso für verlorene Satanisten halten (in den USA wird diese Diskussion teilweise noch viel militanter geführt). Sicherlich meiden ein orthodoxer Mormone und ein wegen seiner Veröffentlichungen exkommunizierter Exmormone einander wie der Teufel das Weihwasser. Von daher könnte man unsere rhetorischen Untertreibungen als Sarkasmus werten.

Liebe weihnachtliche Grüsse,
Henning

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