Das Exmo-Diskussionsforum

Beitrag 24 von 45 Beiträgen.
Seite erstellt am 29.3.24 um 13:04 Uhr
zur Nachrichtenliste
der Beitrag:
Verfasser: Nyu
Datum: Montag, den 15. September 2003, um 17:17 Uhr
Betrifft: Bezüglich "Ich bewundere"

Hallo Ella,

vielen Dank für Deine Ermunterung.
Ich habe gerade gestern in der Kirche feststellen müssen, dass der Unterschied zwischen Menschen, die an den Weg (die Kirche) glauben und dem Ziel (die agape-Liebe) sehr gross ist.
Ich meine, dass der Kern unserer Lebenserfahrung in unserer Fähigkeit TROTZ der Religionen uns selbst, unseren Mitmenschen und Gott aufrichtig zu lieben liegt.
In der Kirche bin ich verschiedentlich mit Menschen zusammengetroffen, bei denen irgenwie immer ihre Selbst-Definition über die Kirche im Vordergrund zu stehen scheint. Im Gegensatz dazu wohnt unter uns ein katholischer Mönch, der deshalb Mönch wurde, weil er irgendwann begann Christus zu sehen. Die Liebe Gottes ist für ihn eine Realität und folglich auch ganz unmittelbar, wenn er mit mir oder anderen mal über Gott reden kann.

Egal wie ich´s drehe und wende, ich bekomme den Eindruck, dass wir wohl eher die Religionen nicht ändern können. Mein Mönch kann die katholische Kirche nicht ändern (auch er ist gegen die Exkommunikation Homosexueller und andere nette Sachen, die die katholische Kirche genauso toll findet, wie die Mormonen), genauso wenig, wie es mir möglich ist, meine Kirche zu ändern.
Wenn ich an Jesus im Neuen Testament denke, dann denke ich an einen Menschen, der kompromisslos dem Geist des Gesetzes oder dem Willen Gottes folgte, anstatt dem durch die Pharisäer definierten Auslegungen des Gesetzes zu ihrem eigenen Interesse zu folgen. Auch wurde er kein erklärter Feind des Judentums, sondern machte den Menschen den Sinn und die Macht der Liebe und des Glaubens und der Gerechtigkeit klar.

Auf die verschiedenen Kirchen übertragen kann das heissen, dass man sich natürlich von einer authoritären und fundamentalistischen Organisation trennen kann, wenn sie einen daran hindert, den Glauben so zu leben, wie es einem das Gewissen eingibt und sich dann einer anderen anschliessen oder man kann in seiner Religion verbleiben und trotzdem seinem Gewissen folgen, selbst wenn das heisst, dass man mit Repressionen zu kämpfen hat.

> Henning, du hast mich neugierig gemacht, ist Deine Biographie auch zu lesen?

Das wird sich noch zeigen. Vorraussichtlich schon. Leider ist es momentan so, dass die Kirchenräson hier anderer Meinung ist. Es kann sein, dass die Pfahlpräsidentschaft meinen öffentlichen Diskurs ablehnt und von mir fordert, meine Aktivitäten einzustellen. Das würde auch heissen, dass ich meine Biographie nicht ins Internet stellen darf. Am 23.09. werde ich hier mehr wissen. Ich gehe momentan davon aus, dass ich mir keinen Maulkorb verpassen lassen werde. Auch eine Zensur kann für mich nicht akzeptabel sein. Ich bin aber sicherlich bereit, in der Sache Zugeständnisse zu machen.
Letztlich weiss ich noch nicht, wie ich reagieren werde oder was ich machen werde. Aber es wird eine Lösung sein, bei der ich mich nicht verbiegen lasse.
Für das Wort "Ausschluss" ist es noch zu früh.

> Aber was ist das Ziel?
> Ich denke mir oft, als Mormonen haben wir viel zu stark für das Ziel gelebt und den Weg als Mittel zum Zweck gesehen. Dabei ist unser Leben als Weg doch viel mehr!
> Verlier’ Dein Ziel nicht aus den Augen, aber nehme auch den Weg als Teilziel an!

Das Ziel für mich ist, wie gesagt, ein Leben in der Liebe und dem Einverständnis mit Gott. Das ist es, was manche mit "Erlösung" meinen. Andere nennen das "zu sich selbst finden", wenn sie z.B. Gott nicht bewusst mit ins Boot nehmen (wollen).

Jeder in diesem Leben will "glücklich" sein. Nur verstehen die Menschen den "Weg" unterschiedlich, wie man sich das "Glücklichsein" erhält oder es findet. Ich persönlich finde, dass ich glücklich bin, wenn ich mit Gott und mir selbst im Reinen bin. Wenn ich meine Kinder vernachlässige, dann bin ich das nicht. Wenn ich mich nicht lieben kann, dann bin ich das nicht. Wenn ich meine Mitmenschen übervorteile und sie bestehle, weil ich mir Macht und Geld erhoffe, dann setze ich auf die falschen Mittel oder den falschen Weg, um das Ziel "Glücklichsein" zu erreichen.
Du sagst, dass man auch den Weg als Ziel annehmen sollte. Die z.B. Juden lesen ihren Talmud nicht in der Vergangenheitsform und auch nicht in der Zukunftsform, sondern immer in der Gegenwartsform. Der Grund hierfür ist wohl, dass Gott für den gläubigen Juden immer gegenwärtig ist. Das heisst, dass das Ziel "Jetzt" ist. Das Einssein mit Gott ist "Jetzt".
Nehmen wir das Beispiel von diesem Mann und seinem sterbenden Vater: hätte der Vater seinen Sohn sofort nach dessen Ankunft in die Arme geschlossen und um Verzeihung gebeten, dann wäre die "Erlösung" ja auch "Jetzt" gewesen. In dem Fall war sie halt eine knappe Woche später, obwohl die Hand des Herrn in dieser Familie die ganze Zeit ausgestreckt (also "Jetzt") war.

> Der große Vorteil meiner Taufe, an die ich damals mit ganz anderen Ansprüchen herangetreten bin, ist doch, daß ich mich mit christlicher Religion (wenn man sich im speziellen doch auch gewaltig streiten kann) eingehend befaßt habe.
> Das hat mich auf jeden Fall positiv geprägt.
> Was ich mit diesen Erfahrungen weiterhin anfange, liegt einzig bei mir!
> Ich kann vorwärts oder rückwärts gehen.

Danke für diese Worte. Ich denke auch, dass es an Dir liegt, was du aus Deiner individuellen Erfahrung machst. Wie immer.
Ein Zurückgehen könnte bedeuten, dass Du wieder anfangen würdest, Deinen eigenen Willen dem Willen der Kirche unterzuordnen und nicht Deinem Gewissen und Deinen Gefühlen. Das wäre ein Rückschritt. Die Kirche hätte es sicherlich gerne, wenn Du Dein Gewissen und Dein Herz dem Willen der Kirche angleichst und DANN Deinem Gewissen und Herzen folgst. Sie unternimmt daher einiges, um Dich wirklich zu bekehren.

Im schlimmsten Fall ist es so wie bei Orwells 1984. Letztlich wurden die beiden Protagonisten durch ihre ganz individuelle Angst gebrochen und verleugneten ihre Liebe zueinander und wurden dann seelische Marionetten. Durch "Big Brother" der ja alles immer sah, kannte Big Brother auch die Ängste jedes Einzelnen.
Es ist nicht unbedingt fair, die Mormonenkirche mit dem von Orwell beschriebenen totalitären Regime zu vergleichen, das ja schlimmer abschneidet als das Dritte Reich. Aber dennoch lassen sich manche Menschen ähnlich einbinden - egal für welche Sache.
Du findest Fundamentalisten in allen Weltanschauungen.
Auch wenn es sich käsig anhört: der Schlüssel dazu, dieses zu durchbrechen und die Grenzen zwischen den Menschen verschwimmen zu lassen, ist immer die Liebe.
Das mag utopisch klingen, aber das ist mir egal. Nichts anderes wollen oder sollen die Religionen ja erreichen - immer ihre eigene Form von Utopia. Die Mormonen nennen es Zion oder das Neue Jerusalem (das da liegt, wo ja natürlich auch schon Eden war - in den U.S.A).

Von daher habe ich sehr viel aus meinem Konflikt mit der Kirche und mit Gott gelernt.
Moleskine war ja recht deutlich und vielleicht sogar ein wenig ungeduldig mit seinem "Bleib doch mal locker" (sinngemäss). Und bestimmt nervt das auch viele. Aber ich kann halt nur so. Was soll´s.

liebe Grüsse,
Henning

zur Nachrichtenliste
auf diesen Beitrag antworten:

nicht möglich, da das maximale Themenalter erreicht wurde.

zur Nachrichtenliste
das Themengebiet: zur Nachrichtenliste
die neuesten Beiträge in diesem Themengebiet: zur Nachrichtenliste
die neuesten Beiträge außerhalb dieses Themengebietes: zur Nachrichtenliste
zurück
www.mormonentum.de