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Seite erstellt am 23.4.24 um 11:29 Uhr
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der Beitrag:
Verfasser: Nyu
Datum: Freitag, den 15. August 2003, um 12:13 Uhr
Betrifft: Zum Thema Bibel und Sekten

Servus Renate,

Du hast geschrieben:
> Untersucher der HLT-Kirche werden getäuscht. Das steht fest. Für einen gläubigen Christen ist es dann zu spät, wenn er erkennt, was tatsächlich dahintersteckt.

Das muss ich bejahen. Es gibt viel, was ein zukünftiger Heiliger der Letzten Tage nicht weiss. Es gibt ja auch viel, was ein gestandener Heiliger der Letzten Tage nicht weiss.
Ersteres liegt daran, dass das Produkt Kirche so gut und gottgefällig wie möglich dargestellt werden soll. Alle legen sich ins Zeug, einen guten Eindruck beim "Untersucher" zu hinterlassen (Berichtigung !- viele legen sich ins Zeug. Anderen ist das total egal.)
Zweiteres ist da schon komplexer: die Tatsache, dass auch viele Heilige der Letzten Tage ja gar nicht wissen, was ihre Kirche lehrt, liegt zum einen darin, dass sie entweder nie in der FHV oder der Priestertumsversammlung sind, weil sie ja in Berufungen stecken, die sie von diesen Klassen fernhalten, oder weil sie noch nie Lehre und Bündnisse gelesen haben bzw. reflektiert haben. Oder sie wissen diese Dinge nicht aus folgendem Grund:
Ich habe mir oft Gedanken darum gemacht, ob und was ich meiner Gemeinde, die ich ja wegen meiner Frau immer wieder besuche, in einer Zeugnisversammlung sagen könnte. Ich stelle mir das vor - ich mit meinen Sandalen und meinem bunten und oben offenen Hemd vor diesen HLT-Soldaten in ihren weisshemdigen, dunkelkrawattigen Uniformen. Wenn ich diesen Anblick tatsächlich ertrage ohne schneeblind zu werden, würde ich einfach nur schweigend am Pult stehen müssen. Was soll ich denen sagen. In der Sekunde, wo ich auch nur ansatzweise eine reflektierte Sichtweise präsentiere, werde die ersten aufstehen und rausgehen. Ich würde Ja noch nicht mal vordergründig kritisieren oder den Führern der Kirche offen wiedersprechen wollen, sondern einfach nur ein bischen Humanismus in Verbindung mit geistiger Völkerverständigung und unmittelbarer Beziehung zu Gott und ohne ideologische Scheuklappen einstreuen. Aber in dieser Gemeinde und auch in den Gemeinden aus denen ich komme, ruft so etwas Stress hervor. Die wollen einfach nur die Inhalte der 13 Glaubensartikel mit eigenen Worten untermalt von "faith-promoting" Geschichten hören, welche dann durch ein Zeugnis "...ich weiss, dass bla bla bla..." abgeschlossen werden.
Ich kann dann ja mal "...im Namen des Grossen Geistes der Mutter Erde, Amen" schliessen. Geiler Brüller.
Aber ich werde sarkastisch. Sorry.
Aber das ist auf jeden Fall der Grund, warum die Heiligen der Letzten Tage eigentlich gar nicht wissen, was sie glauben. Nur verrückte Apologeten und besessene Exmos ziehen sich Journal of Discourses UND Lehren der Erlösung UND Millenial/Mortal Messiah wirklich rein.
So weit muss man ja vielleicht ja auch nicht gehen um zu verstehen, wo der Hase in dem Laden läuft. Es reicht ja schon der besagte erblindende Blick auf die weissen Hemden oder das kompromisslose Gesetz des Zehnten oder WdW oder diese vergeistigte frömmelnde Weltfremdheit, um das zu verstehen.
Okay okay, über die einzelnen Punkte kann man ja unterschiedlicher Meinung sein. Aber letztlich muss man eines  unbesehen anerkennen - die HLT-Kirche ist eine fundamentalistische Organisation.

Du schreibst weiter:
> trotzdem möchte ich jetzt mal die Behauptung in den Raum stellen, dass bibelkritische Menschen weitaus weniger gefährdet sind, einer sogenannten christlichen Sekte in die Falle zu gehen.

Grundsätzlich sind kritische Menschen weniger gefährdet, einer Sekte in die Falle zu gehen. Das liegt daran, dass sie nicht jeden Mist unbesehen annehmen und für sich alleine denken können. Sekten sollen den Menschen eine Richtung geben, die sie vorgeben können. In der Regel ist es eine Richtung, die für die Sekte lukrativ ist, also finanziell lohnend. Das trifft nicht auf die HLT-Kirche zu, eine solche Behauptung, die Kirche sei "in it for the money" und deshalb missionarisch aktiv, stimmt einfach so nicht. Man kann sich darüber streiten, ob das AUCH Grund dafür sein kann aber sicherlich ist das nicht Alleinstellungsmerkmal. Aber es gibt ja auch andere Kriterien, die eine Sekte definieren:
- Unfähigkeit der Mitglieder und Führer, Ambivalenzen auszuhalten
- psychologische Probleme der Mitglieder aufgrund sozialpsychologischer Probleme der Organisation
- widersprüchliche oder wirre Dogmen
- starre Trennung von "die Welt" und "das Reich Gottes"
- Unfähigkeit, mit Kritik umzugehen
...um nur einige Punkte zu nennen.
Menschen, die von solchen Organisationen angezogen werden, brauchen eigentlich psychologische Hilfe. Auf jeden Fall brauchen sie die Integration in eine Organisation, die kein Problem mit ihrer Absonderlichkeit hat, sondern sie um sie selbst willen mag.
 
Als ich mich damals der Kirche anschloss, ging es mir mies und ich war 18 Jahre alt. Ich suchte die Orientierung, war also auch für diese Kirche anfällig. Ich wollte aber ja auch die Mitgliedschaft. Und keinesfalls bereue ich im Nachhinein diese Entscheidung, da sie mich in Vielem zum Positiven geprägt hat, wofür ich dankbar bin. Es ist nun einfach so, dass ich laufen gelernt habe und diese Art der Stütze nun nicht mehr will. Die HLT-Kirche ist aber auch nicht so abgedreht, dass einem sofort klar wird, dass dieser Verein eine Sekte ist. Die Zeugen Jehovahs sind da natürlich noch viel offensichtlicher in ihrer fundamentalistischen und elitären Nonkonformität mit gesellschaftlichen Normen (der Beitrag dieses Journalisten und ehemaligen ZJ, den Gunar zitiert hat, ist ein trauriger Beleg dieser Tatsache).
 
Also, hier noch einmal diese Frage: werden bibelkritische Menschen von der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage angezogen. Nun ja - die Mormonenkirche ist ja auch bibelkritisch. Sie nimmt sich bestimmte Bibelverse und UNTERSTREICHT damit ihre Lehren. Sie BEGRÜNDET sie aber nicht aus diesen Versen. Faktisch schert sie sich gar nicht darum, was die Bibel lehrt oder nicht lehrt. Sie hat ein viel grösseres Interesse daran, die Bibelkritiker anzugehen und ihnen eine Alternative zu bieten, wenn sie denn schon über diese Ecke kommen muss und nicht über die Gemeinschaftsecke. Also, wenn sie über die Dogmen überzeugen muss und nicht "durch den Geist" oder "durch die Gemeinschaft" oder den Missionar "flirt to convert".

> also sollten wir endlich erkennen, dass das falsche Verständnis der Bibel die Wurzel alles Übels ist, der Grund dafür, dass Menschen auf solche Sekten, die ihr Leben bestimmen und sie krank machen, immer wieder hereinfallen.

Ich glaube eher, dass die Kritik an der Bibel grundsätzlich die Wurzel des Übels ist.
Das muss ich erklären. Ich finde auch, dass Bibelkritik ein spannendes Thema ist und auch Sinn macht. Aber manche kommen doch daher und finden diesen oder jenen Vers, der ihnen mehr gefällt als der Kirche aus der sie kommen und gründen dann ihren eigenen Verein. Daraus kann dann eine Sekte entstehen, die z.B. lehrt, dass man samstags nicht arbeiten soll oder dass man alles was man hat und kann oder meint zu können abgeben soll oder dass es kein Leben nach dem Tod gibt, sondern nur die Auferstehung für die "Heiligen" oder dass man vom "Geist gedrängt" wirren Kram plappern soll usw.
Dass heisst, hier findet eine Bibelkritik statt oder vielmehr eine Kritik der Exegese (also der Schriftauslegung) der Stammkirche von der man sich dann abspaltet und eine "reformierte" Kirche gründet oder Stammkultur, aus der man dann eine "wiederhergestellte" Kirche gründet. Um bei den christlichen Sekten zu bleiben.

Menschen, die die Bibel als das "inspirierte, fehlerfreie und unverrückbare Wort Gottes" ansehen sind für mich sowieso keine Diskussionspartner. Leider habe ich viele Gesprächspartner, für die das Buch Mormon das "inspirierte, fehlerfreie und unverrückbare Wort Gottes" ist. Man kann sich also vorstellen, dass das nicht sehr viel einfacher ist, sondern nur das Problem an sich verlagert.

Abschliessend muss ich also sagen: nicht die Bibelkritik (ob richtig oder falsch) ist die Wurzel allen Übels, sondern das "mindset" des Kritikers. Was bezweckt denn jemand damit, dass er die Bibel kritisiert? Will er vielleicht eine Kirche gründen? Vielleicht eine Sekte? Will er Geld? Will er aufklären? Will er sich für seine Fehler rechtfertigen? Oder geht es ihm tatsächlich um die Sache?
Wenn ich persönlich die Bibel kritisiere, dann tue ich es weil ich hoffe, dass dieser Vollstrecker-Gott, welcher dort oft erscheint, nicht wirklich richtig dargestellt wurde. Oder weil ich glaube, dass Jesu Gang auf dem Wasser metaphorisch gemeint ist, damit wir etwas daraus lernen können und nicht etwa weil mir das sagen soll, dass ich mit Glauben auch die Abkürzung über den Fluss nehmen kann.
 
Ich könnte ja genausogut sagen, dass die Kritik des Grundgesetzes die Wurzel allen Übels in der Bundesrepublik ist, wenn dann irgendwelche Rechtsfundamentalisten und Dosenpfanderfinder und EU-Richtliniendurchsetzer daherkommen.

Liebe Grüsse,

Henning

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