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Seite erstellt am 29.3.24 um 9:54 Uhr
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Verfasser: Elvira
Datum: Donnerstag, den 24. April 2003, um 23:41 Uhr
Betrifft: Vom Einsteigen und Aussteigen

Hallo Hennig,
auf ein sehr interessantes, aber auch ungemein vielschichtiges Thema hast Du uns da gebracht.

1.
>...da ich mich derzeitig sehr stark mit einer soziologischen Analyse der Kirche...
>, ob Ihr Informationen habt, welche Persönlichkeitsstörungen bei Mitgliedern fundamentalistischer oder sektiererischer Religionen besonders häufig aufkommen.

Habe ein bisschen gegrübelt, was Du mit  „soziologischer Analyse“ meinst, dann aber auf Persönlichkeitsstörungen eingehst, die doch eher in den Bereich der Psychologie oder gar Psychiatrie gehören. Natürlich kann man die Kirche auch auf soziologische Aspekte hin untersuchen, aber für mich fallen Persönlichkeitsstörungen nicht darunter.

2. In Deinem weiteren posting hast Du erklärt, was Du unter Persönlichkeitsstörungen alles einordnest: Depressionen und Borderline- Syndrom.

Es dürfte meiner Meinung nach schwierig sein, solche Erkrankungen als typisch sektenverursacht anzusehen. Denn viele andere Umstände im Leben eines Menschen können zu diesen Krankheit führen.
Im Falle von Depressionen ist das Ganze so komplex, dass diese Krankheit nicht nur auf Umwelteinflüsse zurückgeführt wird, sondern zum überwiegenden Teil, in der Gehirnbiochemie und genetischer Dispositionen liegt.

Ich hab das hier zwar schon häufig zitiert, aber ich muss es wieder tun. Dieter Rohmann leistet seit vielen Jahren Aussteigerarbeit und hat wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt. Stöbere mal auf http://www.kulte.de herum, da wirst Du einiges zur Thematik finden.

3. Wenn man aus einer Sekte aussteigt, zu der man sich mal freiwillig bekehrt hat, dann muss man irgendwann danach der Frage auf den Grund gehen: Warum bin ich überhaupt dazu konvertiert?
Natürlich können wir die wir von Missionaren belehrt und irgendwann getauft wurden sagen, dass wir belogen wurden, dass uns wichtige Informationen vorenthalten wurden, die unsere Einschätzung beeinflusst hätte. Wir können auch sagen, dass wir psychisch manipuliert wurden, durch Versammlungen speziell Fast- und Zeugnisversammlung, Musik und Gesang, Atmosphäre, Gebete, Krankensegen mit Handauflegen. Wir können vielleicht auch behaupten, dass schon die Diskussionen der Missionare eine Art Gehirnwäsche sind. Das alles sehe ich und ich sehe es als eine verbrecherische Art an, um Menschen zu ködern.
Aber egal irgendwann muss man sich dennoch ganz ehrlich die Frage stellen, warum man selbst auf all das so angesprochen hat.
Nachdem wie ich mich damit beschäftigt habe und dabei habe ich mich selbst auch voll in einer Studie von Dieter Rohmann (Ein Kult für alle Fälle, Edition Soziothek, 2000  ) wieder gefunden, sind es bestimmte Persönlichkeitsmerkmale und Lebensumstände und ein Alter zwischen 14- und 29 Jahren, die einem dafür anfällig machen, sich einer Sekte anzuschließen. (Ein Zitat daraus: Niemand tritt einer Sekte bei. Menschen schließen sich Interessengruppen an, die versprechen, ihre Bedürfnis zu erfüllen.)
Die Beschäftigung damit kann sehr schmerzlich sein und nach dem Verlassen der Sekte können solche Persönlichkeitsstrukturen wieder zum tragen kommen. Ich halte es daher für unerlässlich, sich dem zu stellen, warum es einem einst in die Arme der Sekte getrieben hat.

4. Diese angesprochenen Verhaltensstrukturen, die einem zum Sektenopfer gemacht haben, können in der Sekte dann noch verstärkt werden und sind beim Verlassen der Sekte nicht automatisch auch weg. Über einen langen Zeitraum erlernte Verhaltensmuster sind nur durch intensive Verhaltenstherapie wieder verlernbar.

5. Also insgesamt eine sehr ernste Problematik auf die Du uns da gestoßen hast. Was mich dabei etwas befremdet hat, ist Deine offenbar etwas abschätzige Haltung den Menschen gegenüber, die von so etwas betroffen sind.( Du weißt es so vehement von Dir selbst betroffen zu sein.)
Ich habe das hier zwar auch schon mal gesagt, aber ich werde es wieder tun, weil es mir sehr wichtig ist und stand up hat sich ja auch schon entsprechende geäußert.
Wenn jemand einen Herzinfarkt hat, dann wird er entsprechend behandelt und keiner wird ihn fragen mit wie vielen Zigaretten pro Tag er das mit verursacht hat. Er ist nur ein schwer kranker Mensch.
Wenn jemand eine Erkrankung der Psyche hat, dann hat das sofort etwas Anrüchiges, etwas wovon man sich distanzieren muss, etwas das man meidet, etwas das Scham hervorruft. Aber es ist nichts anderes, als  ebenso eine Krankheit, die man im besten Fall außer mit Medikamenten auch mit Psychotherapie behandeln kann. Manchmal kann man sie auch nicht heilen, aber das trifft auf so viele andere Krankheiten auch zu.
Psychische Erkrankungen haben immer den Makel der „Schuld“. Wenn es sich denn nicht wie weiter oben bei den Depressionen angedeutet, nicht um rein biochemische Ungleichgewichte handelt, sondern tatsächlich auf äußere Einflüsse zurück zu führen ist (z.B. permanente Gewalt in der Kindheit), dann sollten diese Menschen unser besonderes Verständnis erhalten und nicht auch noch stigmatisiert werden.

Elvira

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