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der Beitrag:
Verfasser: Renate
Datum: Dienstag, den 8. April 2003, um 15:49 Uhr
Betrifft: zum Beitrag "Mentalität"

>Wäre ich jetzt in Deutschland, könnten wir uns in einem Café treffen und uns in aller Ruhe persönlich unterhalten.

Das wäre etwas kompliziert, denn dazu müsstest du schon erst nach Wien kommen.;-)

>Es ist mir in 35 Jahren nicht gelungen, die Deutschen zu verstehen. Genauso verstehen die Deutschen die Amerikaner nicht. Ich kenne zwar "die Deutschen", kann mich aber nicht mit ihnen identifizieren.

Man sollte das nicht so verallgemeinern wie du das tust. Ich persönlich denke schon, dass ich die amerikanische Mentalität verstehe, ja sogar mag, soweit man die pauschal betrachten kann. Denn eigentlich ist sie auch von Staat zu Staat, quer über den gesamten Kontinent, sehr unterschiedlich. Was die US-Bürger allerdings alle grundsätzlich gemeinsam haben, ist u.a. ihr ausgeprägter Patriotismus, ebenso wie bei den Franzosen. Mir persönlich gefällt das eigentlich sehr, ich finde es gut, wenn man auf seine Heimat stolz ist und das auch deutlich zeigt. So lange einen dieser Stolz nicht dazu bringt auf andere herabzusehen oder dem Größenwahn zu verfallen andere mit den eigenen Idealen zwangsbeglücken zu müssen, ist das okay. Denn es ist immer richtig zu dem zu stehen was man fühlt. Das ist eine Seite der
Freiheit, die ich liebe und die mir wichtig ist.

Ich liebe auch den "Kitsch", den die Amerikaner in allen Feierlichkeiten so gerne zeigen. Das Leben ist sowieso viel zu ernst, also sollte man feiern wann immer man Grund dazu findet und wenn man das auf eine total ausgeflippte Art tut, umso besser, denn das hebt das Fest erst so richtig vom Alltag ab. Ich mag die Art der Amerikaner, wie sie auf andere zugehen, ihre Offenheit, ja das alles gefällt mir viel besser, als die kühle Verschlossenheit, Verbissenheit und das Misstrauen mancher Menschen. Ich mag die Freiheit, die grundsätzlich in diesem Land herrscht, auch wenn sie viele negative Erscheinungsbilder mit sich bringt. Das ist dann der Preis den man für die positive Seite bezahlen muss. Es ist dabei eben sehr viel mehr Eigenverantwortung gefragt, als z.B. in Österreich. Auch das gefällt mir. So viel zu meiner allgemeinen Einstellung zu den Amerikanern.

Aber ich bin mir auch der negativen Auswirkungen von übertriebenem Patriotismus bewusst. Der mit fanatischer Religiosität vergleichbar ist, da er genau wie diese blind für das Wesentliche macht, sich zu sehr auf die eigenen Belange konzentriert und deshalb Arroganz erzeugt. Das sind so in etwa die Kehrseiten. Die Folgen daraus sind dann ebenfalls abzusehen.

>Was uns unterscheidet:
>Du (stellvertretend für Deutschland)

Falsch! Ich vertrete immer nur meine eigene Meinung und maße mir nicht an für Andere zu sprechen, außer ich werde dazu aufgefordert und kann mich damit identifizieren.

>möchtest mit Saddam Hussein verhandeln, damit er aufhört, Massenvernichtungswaffen zu produzieren.

Falsch! Ich weiss, dass man mit solchen skrupellosen Fanatikern nicht verhandeln kann. Das habe ich wohl auch in meinen letzten Postings deutlich gemacht.
>Viele Menschen könnten noch leben, wenn Du etwas unternommen hättest anstatt nur zu verhandeln.

Und viele Menschen könnten noch leben, wenn sich die Amerikaner nicht dazu entschlossen hätten etwas zu unternehmen.

Ich hätte nichts dagegen, wenn Saddam Hussein getötet wird, egal von wem und auf welche Art. Ich weiss natürlich auch, dass das nicht die Lösung wäre, denn es stehen in so einem Fall immer schon Nachfolger bereit. Es geht auch nicht darum ob Saddam Hussein jetzt ein Tyrann ist und beseitigt gehört. Es geht darum, dass von Bush einfach so ein Angriffskrieg gegen einen souveränen Staat gestartet wurde, unter dem Vorwand ein Volk von seinem Diktator zu befreien, der wahre Grund aber, Machtdemonstration und in weiterer Folge Machtausbau, sowie Ausbeutung des vereinnahmten Staates, ist. Mal abgesehen davon, dass solche Angriffskriege immer eine Verletzung der Menschenrechte sind.

>Du klopfst ihm höflich auf der Schulter und sagst, "Würden Sie bitte aufhören?". Der Mann lacht, holt aus und schlägt Dir ins Gesicht.

Und damit würde ich mich zum Idioten stempeln. Es gibt da noch die Möglichkeit mich zu wehren ohne ihm gleich das Genick zu brechen und dann die Polizei zu holen. Es gibt (fast) immer mehrere Möglichkeiten.

>Ich (stellvertretend für die USA) bin bereit, das Blutvergießen (und auch die Androhung davon) notfalls (nachdem Verhandlungen gescheitert sind) mit Gewalt zu beenden. Klingt paradox, nicht wahr?

Nein, überhaupt nicht. Manchmal ist es notwendig Blutvergießen mit Gewalt zu beenden. Aber ausschließlich nur dann, wenn es Selbstverteidigung oder Verteidigung derer ist, deren Leben mir anvertraut wurde, für die ich verantwortlich bin und, die mich um Hilfe bitten. Auch in dem Sinne, dass ich nicht wegsehe, wenn in meiner Gegenwart versucht wird Schwächere anzugreifen. Es bedeutet aber nicht, dass ich auf eigene Faust durch
die Länder dieser Welt ziehen darf um alle - meiner Meinung nach - tyrannischen Sadisten zu töten, wobei ich auch noch völlig allein entscheide, dass es notwendig und die einzige Lösung ist. Die Probleme dieser Welt sind nicht nur schwarz und weiss und deshalb auch nicht so einfach zu lösen. Niemand hat das Recht sich zum Retter der Welt aufzuspielen.

Dazu jetzt mal auch ein Beispiel:
Ich höre von einem gewalttätigen Mann, irgendwo in einem indischen Dorf, der nicht nur seine Frauen und Kinder regelmäßig misshandelt, sondern auch eine primitive Fabrik besitzt, in der er seine Angestellten (auch Kinder) ausbeutet und durch die schrecklichen Arbeitsbedingungen, auch für viele Unfälle und Todesfälle verantwortlich ist. So nebenbei zündet er regelmäßig seine Frauen an, wenn die Mitgift aufgebraucht ist, um wieder Platz zu
schaffen für eine neue Ehe, die ihm wieder Mitgift einbringt.

Das hört sich alles furchtbar an. (Ist übrigens nicht frei erfunden, sondern so ähnlich immer wieder geschehen) Aber! Dringe ich jetzt mit Gewalt dort ein, töte ihn und zerstöre seine Fabrik, kann ich mir zwar auf die Schulter klopfen und voller Stolz behaupten: Ich hätte diese Leute von einem Tyrannen befreit, was prinzipiell auch stimmt, aber wie sieht die Realität aus? Ich habe vielen Menschen ihre Arbeitsplätze genommen, sie ihres regelmäßigen - wenn auch kargen - Einkommens beraubt, auf das sie angewiesen waren um zu Überleben, habe einer Frau und ihren Kindern den Ernährer genommen und bin vielleicht dafür verantwortlich, dass diese Kinder und diese Frau verhungern oder zumindest in noch größeres Elend geraten werden.

Ist meine "Heldentat" unter diesen Aspekten immer noch gerechtfertigt? Hätte ich mich vorher nicht erstmal mit den echten Folgen meiner Handlung auseinandersetzen müssen? Wären andere Wege nicht besser gewesen? Z.B., echte Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen, Aufklärung, Hilfe vor Ort, wenn ich mich schon so engagieren will? Und wenn ich dieses Beispiel jetzt noch auf den Irak-Krieg umsetze, dann wäre meine wahre Motivation auch nicht die Errettung der - von diesem Tyrannen - ausgebeuteten Menschen gewesen, sondern Demonstration meiner Macht und der Plan, dort eine neue Fabrik aufzubauen um die Leute anschließend selbst auszubeuten, wenn auch unter verbesserten Bedingungen, und mich dafür auch noch als Held feiern zu lassen. Also keine selbstlose "Hilfe".

>Für Dich gibt es natürlich keine Alternative, da Du felsenfest davon überzeugt bist, dass die "bösen Amerikaner" alle Verbrecher sind.

Woher beziehst du diese ebenso "felsenfeste" Überzeugung? Wie du siehst gibt es für mich eine Alternative, und wer sagt dir, dass ich "die Amerikaner" als "böse" und "verbrecherisch" betrachte? Habe ich das behauptet?

Man sollte niemals nach dem ersten Schein urteilen und schon gar nicht seine Vorurteile in andere hinein interpretieren nur weil es bequemer ist, als sich mit anderen Argumenten auseinanderzusetzen und herauszufinden weshalb jemand so argumentiert und handelt, wie er argumentiert und handelt. Und genau deshalb, weil viele Menschen diesen Fehler immer wieder begehen, entstehen Missverständnisse, werden Brücken zwischen Menschen niedergerissen, scheitert Gesprächsbereitschaft, entstehen Feindschaften und
letztlich Krieg.

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