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Verfasser: Gunar
Datum: Dienstag, den 17. Dezember 2002, um 7:53 Uhr
Betrifft: Nancy du Plessis’ Dokumentarfilm „Get the fire!“

Süddeutsche Zeitung
Dienstag, 17.12.2002

Mission possible

Die Dokumentarfilmerin Nancy du Plessis hat in „Get the fire!“ drei Mormonen begleitet

Sie sehen aus wie der Traum einer jeden Schwiegermutter: junge Männer mit akkuratem Haarschnitt, im gebügelten Anzug, eine Krawatte ordentlich um den Hals gezurrt. Manchmal sind auch junge Frauen dabei, ebenso wohlerzogen und freundlich. Sie sprechen die Leute in der U-Bahn an, gehen von Haustür zu Haustür, stehen hinter Info-Ständen in der Münchner Fußgängerzone. Denn sie haben eine Mission. Sie wollen die Menschen zur Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage bekehren. Besser bekannt sind die Gläubigen als Mormonen. 60 000 Missionare schickt diese Kirche jedes Jahr um die Welt. Die meisten kommen aus den Vereinigten Staaten. 120 davon sind derzeit in Süddeutschland unterwegs. Die US-Filmemacherin Nancy du Plessis, die seit einigen Jahren in München lebt, hat drei junge Männer aus Utah auf ihrer zweijährigen Mission hier begleitet. Kürzlich war ihre Dokumentation „Get the Fire – Young Mormon Missionaries Abroad“ beim Dokumentarfilmfestival in Amsterdam erstmals zu sehen.

Die Idee, einen Film über mormonische Missionare zu drehen, kam der New Yorkerin in der U-Bahn nach Untersendling, als eine junge Frau sie ansprach. „Es war unglaublich kalt und ich trug einen dicken Mantel vom Flohmarkt, um mich warm zu halten“, erinnert sich du Plessis. „Sie sagte zu mir ‚Oh, was für einen schönen Mantel Sie tragen.‘ Ich schaute auf: Was für eine lächerliche Aussage, das war alles andere als ein schöner Mantel! Dieses Mädchen war offensichtlich fremd hier.“ Das hat die Regisseurin interessiert, die restliche Fahrt erzählte ihr die junge Frau von ihrer Mission. Du Plessis recherchierte weiter und unterhielt sich erneut mit der Missionarin. „Nachdem sie mir alles erklärt hatte, dachte ich: Ja, das ist eine gute Geschichte!“

Gerne hätte du Plessis in ihrer Dokumentation eine junge Frau begleitet. „Aber ich war mir sicher, dass ich dafür nie die Erlaubnis der Kirche erhalten würde“, erklärt sie. „Frauen werden nicht ermutigt zu missionieren, im Gegenteil, sie sollen zu Hause bleiben, heiraten und neue Missionare gebären.“

Die Dreharbeiten begannen im August

1999. „Ich musste zustimmen, dass ich das Material vernichten würde, wenn der Missionar, den ich begleiten wollte, aufgäbe“, erinnert sich die Regisseurin. „Das ist der Grund, warum ich drei gleichzeitig beobachtet habe.“

Der Film beginnt damit, dass die drei Mormonen Matt Higbee, Jake Erekson und Brady Flamm die Briefe öffnen, in denen steht, dass sie in Deutschland missionieren werden. Daheim bei ihren Eltern wirken sie fasst noch wie Kinder. Doch schon im Missions-Trainingszentrum sehen sie mit frisch gescheiteltem Haar, im weißen Hemd und mit dunkler Krawatte viel älter aus.

Du Plessis beobachtet ihren Abflug und ist auch bei der Ankunft am Franz-Josef-Strauß-Flughafen dabei. Der hiesige Gebietsleiter, „Mission President“ Harker, empfängt die Neuen, schon in der Ankunftshalle erhalten sie ein Exemplar des Buchs Mormon. Du Plessis sieht ihnen beim Beten und Singen zu, beobachtet sie in der Kaufingerstraße, wo sie im Schneetreiben neben Schautafeln mit Heiligenbildern stehen und Passanten ansprechen. „Naaaa, tut mir leid, ich muss zur S-Bahn“, wehrt eine Münchnerin den Bekehrungsversuch ab und zerrt ihre Tochter Richtung Stachus.

Ablehnung erfahren die Missionare in den folgenden beiden Jahren oft. Viele schicken sie weg, wenn sie an ihrer Haustür klingeln. Manche bitten sie auch in ihre Wohnzimmer. Die Filmemacherin ist dabei und beobachtet alles. Sie hört den Missionaren zu, wenn sie von ihrer Aufgabe erzählen. Zwischen den Standardsätzen über das große Glück, „on mission“ sein zu dürfen, erhascht sie kurze Blicke auf den Kulturschock und die Zweifel, mit denen die drei Amerikaner mitunter kämpfen.

Die Rituale und Regeln der Kirche wirken befremdend. Alkohol, Kaffee, Sex, Fernsehen oder Radio sind verboten. Selbst nach Hause dürfen die drei nur selten telefonieren. Die Missionare müssen sich an einen strengen Tagesplan halten, oft marschieren sie zwölf Stunden lang von Tür zu Tür, stets gemeinsam mit ihrem Partner, mit dem sie auch zusammenwohnen. Obwohl sie ihre ganze Zeit mit dem anderen Missionar verbringen, duzen sich die jungen Männer nicht. Nach zwei Jahren sprechen sie sich nach wie vor mit dem Titel „Elder“ an.

Die Dokumentarfilmerin verzichtet auf Kommentare oder Erklärungen eines Sprechers. Trotzdem enthält der Film kritische Töne an der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage. „Ich habe nie etwas nachgestellt, selten gefragt, sondern in der Tradition des direct cinema beobachtet“, erklärt du Plessis. Die Kirche habe den Zugang zu den Missionaren stark beschränkt, so dass nicht viel Raum für Spontaneität geblieben sei. „Am Ende dachte ich mir: Oje, das ist alles sehr einseitig.“ Deshalb führte sie Interviews mit ehemaligen Missionaren. Diese sprechen beispielsweise das problematische Verhältnis der Kirche zur Homosexualität an. „Sie können über ihre Erfahrungen auf eine objektivere Art reden“, findet du Plessis. „Für Higbee, Erekson und Flamm war alles noch viel zu nah, und sie standen unter großem Erfolgsdruck.“

In den beiden Jahren haben die Missionare allerdings nur drei, vier Leute getauft. Trotzdem seien sie erfolgreich gewesen, glaubt du Plessis. „Die Mission hat viele Gründe. Für die jungen Männer ist sie eine Bewährungsprobe. Higbee zum Beispiel ist selbstbewusster geworden und kann leichter mit Leuten reden. Obwohl er niemanden getauft hat, war die Zeit hier für ihn persönlich ein echter Erfolg.“

MANUELA BALDAUF

Quelle

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