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Verfasser: Gunar
Datum: Freitag, den 9. August 2002, um 13:51 Uhr
Betrifft: Vier Jahre an einer religiösen US-Uni – keine guten Bedingungen für den Sport

aus:
Der Tagesspiegel
9.8.2002

Unter Gottesmännern

... Kirsten Bolm wird wohl über die Niederlage hinweg kommen. Sie hat ja schon ganz andere Situationen überstanden. Diese Geschichte in den USA zum Beispiel. Kirsten Bolm sagt: „Ich kam aus dem Jenseits.“ Das liegt in ihrem Fall in Provo, Utah, nicht weit von Salt Lake City. Vier Jahre lang, bis Herbst 2001, hat Kirsten Bolm dort bei den Mormonen gelebt. Besser gesagt: Sie ist unter die Mormonen gefallen. „Eine Leidenszeit“, sagt die 27-Jährige.

Die Leidenszeit begann eigentlich ganz harmlos. 1994 wurde Kirsten Bolm Junioren-Weltmeisterin im Hürdensprint und bekam daraufhin viele Stipendien-Angebote von Unis aus den USA. Damals zog sie es aber doch vor, nach Hannover zu gehen, zum Psychologie-Studium. Allerdings fand sie dort dann keinen Trainer und hörte drei Jahre lang fast auf mit dem Sport. Schließlich wollte sie weg aus Hannover – und erinnerte sich an die US-Offerten. Die einzige Uni, die ihr einfiel, war die Privat-Uni in Provo. „Die hatten sich damals sehr um mich bemüht.“ Später erkannte Bolm auch, warum: „Die hatten nämlich große Mühe, europäische Sportler zu finden, die mit der Religion von Provo zurecht kamen.“ Denn Provo wird von orthodoxen Mormonen finanziert.

Kirsten Bolm hatte etwas gehört von Mormonen und ihren streng-religiösen Regeln, aber so richtig ernst hatte sie das nicht genommen. „Da sind 30 000 Studenten, da wird es doch locker zugehen“, dachte sie – und nahm das Angebot an, dort Psychologie zu studieren. „So nebenbei“ verpflichtete sie sich auch noch, den Ehrenkodex der Mormonen-Uni zu achten: keinen Kaffee zu trinken und keinen Tee, keine Zigaretten zu rauchen und knielange Röcke und Shorts zu tragen. Nächtliche Besuche im Schlafsaal der Männer waren verboten.

Erst als sie dann wirklich in Provo ankam, merkte sie, „dass die es wirklich ernst meinen". Kirsten Bolm durfte nicht mit bauchfreien Tops herumlaufen, sie durfte auch nicht nachts zu ihrem Freund, obwohl der eine eigene Wohnung hatte und nicht im Schlafsaal nächtigte. Und nur unter heftigem Stirnrunzeln tolerierten die Uni-Verantwortlichen, dass die junge Deutsche in kurzen Hosen über die Hürden sprintete. Die Uni-Chefs „hätten es gerne gesehen, wenn wir in langen Shorts und mit T-Shirt trainiert hätten“, so wie die Sportlerinnen einer Mormonen-Uni in Idaho. „Die kamen sogar zum Wettkampf in langen Shorts“, erinnert sich Kirsten Bolm.

Die Deutsche riskierte Kopf und Kragen: Irgendwann zog sie illegal zu ihrem Freund. Offiziell dagegen wohnte sie bei einer Freundin, und die schwieg eisern. „Aber wenn rausgekommen wäre, dass ich bei meinem Freund wohne, wäre ich hochkant von der Uni geflogen“, sagt Kirsten Bolm. Da war auch das Training schon längst zum Problem geworden. Ihren College-Coach empfand die Sprinterin als wenig geeignet, ihr fehlte die individuelle Betreuung, stattdessen kam sie sich vor wie bei einer „Massenabfertigung". Die Ergebnisse waren dementsprechend: „katastrophal".

Nach einem Jahr ließ Kirsten Bolm sich schließlich von ihrem Vater, der sie schon früher betreut hatte, Trainingspläne schreiben. Die Uni willigte ein, und Kirsten Bolm lief wieder schnell. Sie hätte natürlich auch zurück gehen können nach Deutschland, weg vom harten Mormonen-Leben, „aber ich hatte mich eingelebt, ich hatte Freunde, da wollte ich nicht gehen. Außerdem war die Uni-Ausbildung exzellent".

So wurde sie Deutsche Meisterin 2000 und 2001, aber der Sprung an die europäische Spitze, der war mit dem Training in Provo nicht möglich. Schließlich entschloss Kirsten Bolm sich doch, wieder nach Deutschland zu gehen. Jetzt trainiert sie bei dem erfahrenen Rüdiger Harksen und ist zufrieden. Vielleicht hat sie Provo, besser: den langen Shorts, aber heute beim Wettkampf doch noch ein letztes Mal nachgetrauert. Es war nämlich kalt in München.

http://www.tagesspiegel.de/archiv/09.08.2002/160070.asp

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