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Beitrag 16 von 19
zum Thema Alkoholverbot
Seite erstellt am 19.3.24 um 10:36 Uhr
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Verfasser: James
Datum: Freitag, den 1. März 2002, um 9:57 Uhr
Betrifft: Die Glaubenskaserne und Kohle

Olek schrieb:

>Bist Du selbst mal im Missionar-Training-Center ausgebildet worden, oder warum kennst Du dich so genau aus?

Zuerst, es gibt mittlerweile 15 MTC’s weltweit (Stand 28.02.2002). Das Haupt-MTC ist natürlich noch immer in Provo, Utah. Zu meiner Missionszeit gab es außer dem MTC in Utah keine weiteren, die europäischen Missionare kamen i.a.R nicht ins MTC nach Utah. Da ich zudem in mein Heimatland England "berufen" wurde, war kein Bedarf gegeben die englische Sprache in einem MTC erlernen zu müssen. Daher wurde ich "direkt" nach England geschickt. Heute ist es fast immer so, daß selbst die europäischen Missionare in ein MTC kommen. So haben zwei meiner Söhne eine Mission erfüllt (einer ist dabei) und sind beide in ein MTC nach England gekommen. Einer ging anschließend nach Bayern (!), der andere ist noch in Südengland ... heeeeeeeeeeeey! Die sind i.a.R die ersten beiden Monate in der "Glaubenskaserne" (siehe dazu mehr weiter unten). Kenne ein MTC aus einem längeren Aufenthalt nicht. Kenne es von Berichten von anderen Mormonen, auch meinen Jungs, einer Vielzahl von Berichten (vornehmlich aus mormonischen Quellen) und einer eintägigen persönlichen Erfahrung bzw. Besuch aus einem USA Besuch.

Wobei: Das MTC ist ja nur der Einstieg, das "Training" setzt sich ja auf Mission fort. Dafür ist ja u.a. der sog. Missionspräsident und die weiteren Führungsfunktionäre da, den letzten Schliff geben. Dafür gibt es Trainingsbücher und Anweisungen, plus ein wöchentliches (auf jeden Tag bezogen) Berichtswesen! So manche Firma wäre froh über ein so funktionierendes Reporting. Über jede Stunde und Aktivität muß Rechenschaft abgelegt werden, inkl. Aufsteh- bzw. Zubettgehzeiten. Insbesondere natürlich die "Erfolge" der täglichen Missionsarbeit (Anzahl und Qualität der "Untersucher", deren "Fortschritt" etc.) Im Grunde genommen ist jeder Handschlag genau vorgeschrieben. Mormonen selbst würden dies natürlich nicht als "Verkaufstraining" bezeichnen, logisch. Diese "Erfolge" bestimmen natürlich auch die "Karriere" des einzelnen Missionars, seinen Aufstieg in der Hierarchie, vom "Junior" zum "Senior", zum "Distriktsleiter", zum "Zonenleiter", bis zum "Assistenten zum Missionspräsidenten." Mormonen werden natürlich betonen, daß dies alles unter Inspiration geschieht.

Die "Lehrstoffe" (Diskussionen) der Missionare sind genau vorgeschrieben, in Rollenspiele werden diese eingeübt. Körpersprache (Mimik, Gestik) werden genau festgehalten und eintrainiert. Im MTC und auch später (im Missionsfeld zum Teil abhängig von der "Qualität" der örtlichen Funktionäre. Jeder Frischling, Mormonen selbst reden von "Greenies" (Grünlingen, noch naß hinter den Ohren), offiziell ein "Junior" werden einem erfahrenen Mitarbeiter zugeteilt, dem "Senior." Es gibt z.B. "Lehrbücher" (eins liegt mir vor) für das Verhaltenstraning, eben dem "Verkauf." Denn nichts anderes wird ihnen beigebracht, ihre Botschaft und sich selbst zu "verkaufen." Unterwegs auf "Seelenfang", so ein Bericht (siehe weiter unten). "Erfolgreicher Verkauf" bedeutet in der Konsequenz, a) sich selbst, seine Persönlichkeit verkaufen, und b) die Bedürfnisse des "Kunden" (mormonisch: Untersucher) zu ergründen, besser, ihn selbst ergründen zu lassen, und diese zu befriedigen. In z.B. dem "Missionary Guide. Training for Missionaries", wird den Missionaren auf 252 Seiten erläutert wie sie (Zitat von der ersten Seite):"

"Leuten helfen zu Christus durch die Verordnungen der Taufe ... zu Christus zu kommen. ... Sie können den Leuten, durch das Anwenden eines Prozesses der Verpflichtungsmethode genannt wird, dabei helfen sich zu bekehren. ... Es gibt eine Vielzahl von Missionierungsgrundsätzen und Fertigkeiten ..."

Der Aufbau ist stets gleich: Einführung, Übung (inkl. Wie sollte man es nicht machen, plus: Wie man es richtig macht), Kritik des Trainers, Zusammfassung.

Einen sehr guten Eindruck über das "Verkaufstraining" vermittelt ein ZDF-Bericht aus dem letzten Jahr. Zu finden hier (unbedingt ansehen!):

http://reporter.zdf.de./

Klicke dort unter: Archiv (oben Mitte, oder unten rechts)

Dort dann auf "Chronologisch anzeigen" klicken, runterscrollen zur Sendung vom 20.6.2001, dort auf den Beitrag "Mormonen auf Mission" klicken.

Dort findest Du schon die treffenden Worte zum Beitrag:

"Im "Missionary Training Center" (MTC) der Mormonen in Provo im US-Bundesstaat Utah bereiten sie sich auf diese Aufgabe vor. Das MTC - eine Art Glaubenskaserne: In nur zwei Monaten werden hier hier jedes Jahr 60.000 junge Missionare auf ihre Aufgabe im Ausland eingestimmt: Sie lernen die fremde Sprache, und ein bißchen auch die fremde Welt kennen.

Rollenspiel im Original-Wohnzimmer

Im Rollenspiel im original deutschen Wohnzimmer werden "Sister Tschirhart" und "Elder Morgenegg", wie sie sich während der Mission nennen werden, vorbereitet: Welche Fragenkönnten im Lauf des Gespräches gestellt werden? Und was sind die richtigen Antworten? Das Gespräch verläuft in freundlicher Atmosphäre, kritisiert wird hinterher. "Ich möchte mehr Begeisterung, mehr Lächeln sehen", sagt der Trainer bei der Videoauswertung: "Du lächelst für Gott"."

Nun das Video abspielen (entsprechend Deiner technischen Gegebenheiten).

Man kriegt selbst einen guten Eindruck wenn man sich die offizielle Kirchenwebsite unter dem Aspekt Missionsarbeit anzieht. Selbst im Schreibstil des "glaubensfördernen Berichts" kommt die "Glaubenskaserne" gut rüber, inkl. Tagesablauf etc. Siehe dazu z.B. "Life at the Missionary Training Center" (einem offiziellen Infopack für die Medien!):

http://www.lds.org/media/newsrelease/extra/display/0,6025,665-1-112-1,00.html

Die Glaubenskaserne selbst wird hier beschrieben:

http://www.lds.org/media2/fillertext/0,6959,509-1-300,FF.html

Selbst das Kirchenvideo (natürlich unkriitsch) bringt die "Botschaft" rüber (meiner Meinung nach). Man muß nur genau hinschauen bzw. hinhören:

http://www.lds.org/media/newsrelease/extra/display/0,6025,665-1-112-8,00.html

> Die Frage ist ja auch: Wer hat überhaupt etwas davon wenn neue Mitglieder bereitwillig ihren "Zehnten" zahlen? Alle Personen, einschließlich dem Präsidenten, arbeiten doch "ehrenamtlich" für die Kirche.

Hat man Dir das erzählt? Alle Generalautoritäten erhalten ihr Salär, ob fürstlich oder nicht, darüber kann man streiten. Ein Einkommen von von 50.000 - 75.000 Euro ist für manche Zeitgenossen wenig, für andere ein nie zu erreichender Traum. Inkl. wohlgemerkt aller Spesen, Reisekosten und i.a.R. Kost und Logis (abhängig vom "Einsatzort"). Dazu kommen die Tausenden von Angestellten der Kirche. Die gutes Geld verdienen. Sven hatte dies bereits richtig aufgezeigt. Die Angestellten der Kirche erhalten angemessene (mit den freien Markt verglichen), bis hohe Gehälter. Falls Du Dich an die Olympiade der letzten drei Wochen erinnerst, es wahrgenommen hast, das höchste Gebäude von Salt Lake City, welches mit der riesigen Schlittschuläuferin verhangen war, beheimat den Troß der bezahlten Angestelltenschaft. Das Finanzimperium (die Corporation) muß laufen. Und sie sind stets am expandieren und am suchen. Hier ihre Seite wo Du Dich bewerben könntest nach bezahlten Jobs:

http://www.lds.org/employment/full-time/0,5910,618-1,00.html

Hast Du entsprechend Qualifikationen könntest Du auch den Verdienst erfragen (wie eben üblich bei Bewerbungen, geschickte "Firmen" lassen den Bewerber seine Verdienstvorstellung vortragen ... ). Als Nichtmormone würde dies natürlich im Anfangsstadium scheitern, da beim Abgleich wer Du bist (ob Mitglied, wo, seit wann, Status etc.) Du durch den Rost fällst. Auf regionaler Ebene verdienen auch die sog. "Seminarlehrer" und "Instituslehrer" (nicht die "berufenen" in z.B. den einzelnen Gemeinden), insb. die regionalen "CES-Bildungsbeauftragten" ein ordentliches Gehalt. Da kann man locker das Haus, die 7-köpfige Familie finanzieren. Dienstwagen, Spesen oben drauf, logisch.

Die örtlichen Bischöfe, Pfahlpräsidenten verdienen nix. Kriegen auch nix. Alles just for fun.

So manchen dusseligen, leichtgläubigen Mormonen, dann und wann einem naiven Missionar (zuletzt vor ca. einem Jahr), der meint verkünden zu können, die Kirchenfunktionäre der Kirche würde for nothing arbeiten, weise ich dezent auf ihre eigene "Heilige Schrift" hin, mit der Bitte um Erläuterung (Lehre und Bündnisse 70:12, wo Joseph Smith per Offenbarung für sein eigenes Salär sorgte:

"Wer bestimmt ist in geistigen Belangen zu wirken, der ist seines Lohnes wert ..."

Die historische Entwicklung der Bezahlung der Kirchenfunktionäre ist ein höchst amüsantes Thema in sich. Von der ersten Aufruhr der frühen Mitglieder als sich Joseph Smith für sich und seine Kirchenfunktionäre ein regelmäßiges Kirchensalär sichern wollte ... und auf Granit biß, früher bezahlten sog. "patriarchalischen Segen", früheren Gehalt und Pensionen für Pfahlpäsidenten und Bischöfe, bis zu den Tagen wo die "Generalautoritäten" der Kirche in bis zu 900 (!) Vorständen und Aufsichtsräten saßen. Wer sich ein wenig auskennt weiß wie man finanziell ausgesorgt ist: Einen Vorstandposten, plus zwei Sitzen in Aufsichtsräten.

Bereits im Jahre 1875 (!) bezahlte Kirchenpräsident Brigham Young $ 100.000 als Zehnten (!), Daraus läßt sich leicht sein Einkommen ausrechnen (siehe dazu Journal of Discourses 15:20). Bereits 1887 erhielten die Apostel der Kirche $ 3.000 per annum (man berücksichtige natürlich den damaligen Geldwert, diese Angaben kann man z.B. in den Tagebüchern von HLT Generalautoritäten selbst finden, in diesem Fall z.B. Heber J. Grant).

> Ansonsten wird doch höchstens armen Leuten Geld gespendet. Also wozu ist solch ein "Verkaufstraining" nötig?

Die Kirche funktioniert nur durch a) das Zehntenaufkommen der Mitglieder (noch mehr natürlich durch die entsprechende Geldanlage und den daraus resultierenden Gewinnen), und b) der Missionierung neuer Mitglieder (Expansion, neue "Märkte" schaffen, den "Vertrieb" sichern. Anders: Betriebswirtschaft for Dummies). Nicht zu unterschätzen, wohl eigentlich sogar an erster Stelle zu nennen ist der außerordentlich wichtige psychologische Faktor des Bekehrungseifers der Mitglieder. Selbst verkünden sie es wieder und wieder ("Jedes Mitglied ein Missionar). Die Motivation für die Missionsarbeit (nicht nur den der Mormonen) hat m.E.n Eric Hoffer treffend beschrieben (in: "Der Fanatiker. Eine Pathologie des Parteigängers," Frankfurt a. M., 1999). Schreibt er:

"Eine entstehende Massenbewegung gewinnt und hält ihre Gefolgschaft nicht mit einer Doktrin und mit Versprechungen, sondern indem sie Zuflucht bietet vor den Ängsten, der Unfruchtbarkeit und Bedeutungslosigkeit der individuellen Existenz. Sie heilt den zutiefst Enttäuschten nicht durch eine absolute Wahrheit oder durch die Beseitigung der Mängel und Schwierigkeiten in seinem Leben, sondern sie befreit ihn von seinem unfähigem Ich, indem sie ihn aufsaugt in eine geschlossene, begeisterte Körperschaft.

Es ist ganz offensichtlich, daß eine Massenbewegung wenn sie Erfolg haben will, schon in frühesten Anfängen eine geschlossene korporative Organisation bilden muß, die den einzelnen aufnehmen und mit den übrigen zu einer Einheit verschmelzen muß. Es ist müßig, die Erfolgaussichten einer neuen Bewegung nach der Wahrheit ihrer Doktrin und der Qualität ihrer Versprechungen beurteilen zu wollen. Was beurteilt werden muß, ist ihre korporative Organisation und deren Fähigkeit, die Masse Enttäuschten sofort und vollständig aufzusaugen. ... Ziel aller Sehnsüchte des Enttäuschten ist, »irgendwo zu gehören«, ..." (S.56f.)

Cheers, James

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