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zum Thema Missionsarbeit
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Verfasser: Gunar
Datum: Samstag, den 2. Februar 2002, um 2:16 Uhr
Betrifft: Missionsarbeit

Frankfurter Rundschau
02.02.2002

Propheten am laufenden Band

Die Heiligen der letzten Tage, auch als Mormonen bekannt, missionieren in Frankfurt - mit "Powerknocking" und Mundharmonika

Von Michael Tetzlaff

Der kleine dicke Mann sieht aus, als ob er sich die Bettwärme des Morgens geschnappt und in seinen schwarzen Daunenmantel gesteckt hat. Sein graues kurzes Haar steht in alle Richtungen. Auf seinem Gesicht zeichnet sich das Muster des Kissens ab. Der Mann ist mit seiner grünen Einkaufstüte unterwegs in Richtung Konstablerwache, läuft die Zeil nach oben. Mitte Januar, am frühen Vormittag. Am Brockhausbrunnen entdeckt er mehrere junge Leute, die nebeneinander stehen und singen. Einer von ihnen hält ein Schild in der Hand. Auf dem steht: "Warum sind Mormonen glücklicher?"

Der kleine dicke Mann lächelt. "Das kann ich euch sagen: weil ihr so viele Weiber habt", ruft er den Leuten zu, die lachen auch. "Wenn das Beten nicht wäre, würde ich bei euch mitmachen", sagt er noch. Die Mormonen hat er sofort erkannt. Sie tragen scheinbar alle die gleichen Klamotten, die gleichen Frisuren, den gleichen Gesichtsausdruck. Das Wort Mormonen hören die junge Menschen nicht so gerne. Sie sind Missionare der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (HLT). Sie singen: "Jesus, ja ich brauch’ dich" und "Ich bin ein Kind Gottes".

Etwa 20 Missionare sind heute zum Brockhausbrunnen gekommen. Ein Teil der Gruppe singt, der größere Teil spricht Passanten an. Ab und zu steigt ein Missionar oder auch eine Missionarin auf eine rote Getränkekiste und predigt. "Guten Tag Frankfurt, wir sind gekommen, um mit ihnen über den Sinn des Lebens zu sprechen" zum Beispiel. Aber der Sinn des Lebens scheint den Frankfurtern heute morgen völlig egal zu sein. Nicht einer bleibt stehen und hört zu. Nur die Heiligen, die vorbeieilende Leute direkt ansprechen, haben manchmal Glück.

Sister Rancie friert. Die 23-jährige Missionarin kommt aus Australien und spricht ausgezeichnet deutsch. Alle Kirchenmitglieder, die auf Mission gehen, haben einen zweimonatigen Sprachkurs in der nähe von Salt Lake City absolviert. "Da lernen 3000 Leute 100 verschiedene Sprachen", erzählt Elder Howell, Missionar aus Irgendwo in Utah. Das FBI habe versucht, dieses Lernkonzept zu kopieren, fügt er hinzu. Sister Rancie erhielt ihre "Berufung" für Deutschland. 18 Monate dauert die Mission für die Frauen (Sister), 24 Monate für die Männer (Elder).

"Ich weiß, dass ich eine Tochter Gottes bin", antwortet Sister Rancie auf die Frage, warum Mormonen glücklicher sind. Und weiter: "Wir wissen, warum wir hier sind. Wir haben eine Aufgabe zu erfüllen." Hier, das meint im Leben, auf der Erde. Die vornehmste Aufgabe für die weiblichen Kirchenmitglieder ist das Gründen einer "ewigen Familie", die - so der Glaube - nach dem Tod wieder vereint wird. "Wir wissen, dass wir Gottes Kinder sind, dass er uns liebt", sagt Sister Rancie. Das sei der Vorteil gegenüber den Suchenden.

Etwa 100 000 Mitglieder zählt die Kirche in Australien, schätzt Rancie. Sie selbst ist seit ihrer Geburt dabei. Ihre Eltern haben das für sie geregelt. "Es gibt sechs Themen, die wir mit den Menschen teilen möchten", sagt Sister Rancie und holt einen Kartenfächer aus ihrer Jackentasche. Sie blättert die Karten auf: Der Plan unseres himmlischen Vaters, Das Evangelium Jesu Christi, Die Wiederherstellung, Ewiger Fortschritt, Ein Christliches Leben und die Mitgliedschaft im Reich Gottes. Zwei Männer vom Bundesgrenzschutz gehen vorbei und lächeln allwissend.

"Die Mission hat mich für das Leben gestärkt", erklärt Rancie. "Ich habe Jesus besser kennengelernt." Das hat seinen Preis. Wie alle Missionare - etwa 65 000 sollen es jährlich sein - muss auch Sister Rancie die Kosten selbst tragen. Etwa 10 000 bis 12 000 Dollar kostet der heilige Spaß. Die Missionare müssen Miete zahlen, für Verpflegung und Kleidung sorgen. Für Leute aus den USA, der Schweiz oder auch Australien mag das finanzierbar sein. Es sind aber auch Menschen aus Albanien dabei.

"Lesen Sie gerne?" fragt ein Missionar auf Fang nach einem potentiellen HLT-Mitglied einen Mann mit lustigem Hund. "Nein, hab’ keine Zeit, muss arbeiten", antwortet er barsch. Ein anderer Passant versucht, die Heiligen auf seine Art loszuwerden: "Ich bin Ausländer", sagt er. "Das ist okay. Ich auch", setzt Elder Allred entgegen. Pech gehabt. Acht Adressen oder Telefonnummern hat Elder Kindt heute bekommen. Zwei davon seien sowieso falsch, meint er. Wieviele sich bekehren lassen, kann er nicht schätzen.

"Unsere Kirche ist die am schnellsten wachsende weltweit", erzählt Elder Newman auf dem Weg zu den "Hausbesuchen". Das bestätigt auch Gerd Amelong, Beauftragter für Öffentlichkeitsarbeit des HLT-Pfahls Frankfurt (Pfahl ist vergleichbar mit Diözese). 300 000 Mitglieder kämen jährlich hinzu, sagt Amelong. In Deutschland gehörten etwa 38 000 Menschen der Kirche an, im Pfahl Frankfurt "roundabout" 2500, so Amelong. Eckhard Türk, Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen in der Diözese Mainz, liefert eine offizielle Zahl aus dem Jahre 1999. Da waren es: 35 447 Mitglieder. Weltweit zählen sich etwa 11 000 000 Menschen zu den Heiligen der Letzten Tage.

Warm up fürs "Powerknocking". Auf einem Balkon im 13. Stock eines Hochhauses im Frankfurter Konrad-Duden-Weg stehen die Elder Kindt, Howell, Allred und Newman. Elder Howell gibt mit der Mundharmonika den Ton an. Die vier Missionare stimmen Lied Nummer 108 "O, bleibe Herr" an. Bevor sie loslegen können mit ihrem "An die Tür klopfen", müssen sie noch ein Gebet sprechen. Obwohl müssen das falsche Wort ist. Die Heiligen der Letzten Tage "müssen" nämlich nichts tun, sondern "dürfen". "Wir sind dankbar für den Tag" und "Vater, hilf uns in diesem Haus", sprechen sie in den Wind.

Das Powerknocking beginnt. Jeder Missionar nimmt sich ein Tür vor, klingelt und klopft. "Wir wollen Ihnen ein Lied singen" rufen sie. Drei von vier Türen gehen gar nicht erst auf oder sofort wieder zu. Ein orientalisch aussehender Mann zeigt Interesse. "Wir wollen aber ein christliches Lied singen", sagt Elder Newman. "Das macht nichts", sagt der Mann. Und wieder singen sie das Lied Nummer 108. Der Mann hört sich tapfer den unstimmigen Gesang an. Er berichtet, dass er Türke und Moslem sei. "Können wir zehn Minuten herein kommen für eine Botschaft?" fragt Elder Allred. "Wir machen gerade Essen", antwortet der Mann.

Ohne Rücksicht auf Verluste legen die vier Missionare los: Gott, Jesus, Prophet, Jospeh Smith, Buch Mormon. "Mohammed war der letzte Prophet", kontert der Türke. Er scheint auch eine Mission zu haben: das Gute im Menschen. Oder er will einfach nur reden, hier im tristen Alltag eines Hochhauses. "Wir möchten Ihnen gerne das nächste Mal das Buch Mormon vorstellen", sagen die Heiligen. "Mormon heißt ,Mehr Gutes’", setzen sie drauf. Es ist dem Mann anzumerken, dass er die vier jungen Leute lieber wieder loswerden will. "Ich komme lieber zu euch in die Kirche", sagt er.

Das Buch Mormon ist das Fundament der HLT: "ein weiterer Zeuge für Jesus Christus", "eine Ergänzung zur Bibel". Joseph Smith, Gründer der Kirche, sei auf der Suche nach der richtigen Kirche von Gott und Jesus im Wald persönlich zum Propheten berufen worden. Das war im Frühjahr 1820. Er habe keiner Kirche beitreten, sondern vielmehr die Urkirche Jesu Christi wiederherstellen sollen. Smith will später das auf Goldplatten verfasste Buch Mormon gefunden und übersetzt haben. "Das Buch ist der Beweis, dass Jesus auch den Menschen auf westlichen Erdhälfte erschienen ist", sagt Amelong, der Frankfurter HLT-Öffentlichkeitsbeauftragte.

Im 12., 11. und 10. Stock des Hochhauses geht das Missionieren oder der Ausverkauf der einzig wahren Religion überhaupt nicht voran. Wenn sich überhaupt jemand für die Missionare interessiert, sind es Ausländer. Im 9. Stock hört sich ein junger Afghane "O, bleibe Herr" an. Elder Kindt und Elder Howell beten noch ein paar ihrer Standardsätze herunter, und schon ist der junge Mann bereit, die beiden in seine Wohnung zu lassen. "Gut, dann reden wir mal über den Sinn des Lebens", sagt er.

"Was wollt ihr trinken?" fragt der Gastgeber. "Kaffee, Tee, Cola?" Zielsicher trifft der junge Mann mit seinen Angeboten ins Schwarze der No-go-Zielscheibe. Die Mitglieder der Kirche trinken weder Getränke, in denen Koffein oder Alkohol enthalten ist, noch nehmen sie Drogen oder rauchen. Das ist ein Gesetz der HLT: Der Körper ist ein Tempel Gottes - und der muss reingehalten werden. Auch das freundschaftliche "Ihr" ist nicht gerade passend. Die junge Leute siezen sich für die Dauer der Mission untereinander, um eine gewisse Distanz zu wahren. Und erst recht werden fremde Menschen niemals mit "du" angesprochen. "Wasser wäre ganz gut", antwortet Elder Kindt.

Selbstverständlich sei er gläubig, Moslem, sagt der Afghane. Seine Schwester kommt hinzu. Es gebe ja immer weniger religiöse Menschen. "An die Schulen müsstet ihr gehen", sagt er. Steilvorlage für Howell. "Und was macht Gott, wenn die Menschen vom Glauben abkommen?" fragt er und liefert die Antwort gleich nach: "Er schickt Propheten." Howell zieht die beiden jungen Leute in seinen Bann. Er ist die personifizierte Eloquenz. Wieder folgt die Geschichte von Smith, dem Buch Mormon, den HLT-Propheten.

Der Gründer Smith war nicht der einzige Prophet der Kirche. Die HLT haben Propheten am laufenden Band. Die zwölf Apostel der Kirche beispielsweise sind Propheten, und deren Ältester, der Präsident, ist der Prophet schlechthin. Auch Offenbarungen gibt es en masse. "In der Kirche des Herrn spielt sich nichts ohne Offenbarungen ab. Warum sollte er nur seine Kinder vor 2000 Jahren geführt haben?" fragt Amelong.

Howell und Kindt überreichen den beiden jungen Menschen das Buch Mormon und geben Lesetipps. "Das nächste Mal können wir dann darüber sprechen", laden sich die Missionare ein. Sie bekommen die Telefonnummer, Howell trägt sie in eine Liste ein. Die Afghanen stellen einen Termin für das Wochenende in Aussicht. Der krönende Abschluss des Powerknockings ist ein gemeinsames Gebet der beiden Vertreter einer christlichen Gemeinschaft, in der Schwarze erst seit 1978 das Priestertum erhalten dürfen, mit zwei Muslimen.

Der kleine dicke Mann mit seiner Vielweiberei aber irrt. "Die Polygamie gibt es schon lange nicht mehr", klärt Gerd Amelong auf. Zwar gebe es Splittergruppen, bei denen Männer mehrere Frauen haben. Aber die Kirche Jesu Christi genehmige das nicht.

Schöne, heile Welt.

http://www.fr-aktuell.de/fr/181/t181018.htm

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