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zum Thema nochmal was zum Lachen;-)
Seite erstellt am 16.4.24 um 13:08 Uhr
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Verfasser: vedma
Datum: Mittwoch, den 30. Januar 2002, um 20:17 Uhr
Betrifft: nochmal was zum Lachen;-)

Gott in der Wüste

USA. Nächste Woche beginnen in Salt Lake City, dem religiösen Zentrum der Mormonen, die Olympischen Spiele. Ein Sittenbild aus dem Reich der Heiligen.
Von Martin Kilian

Licht umflutete Joseph Smith. Viel Licht. Dann erschien eine "Person an meinem Bett, in der Luft stehend, denn ihre Füße berührten nicht den Boden".

Es war eine wundersame Levitation mit gravierenden Folgen. Verstand sich der Bauernjunge aus dem Staat New York doch fortan als Prophet und Gründer der "Kirche der Heiligen der Letzten Tage", besser als Mormonen bekannt. Dass Mark Twain Smiths 1830 in Buchform publizierte Eingebungen ätzend als "gedrucktes Chloroform" abtat, schadete dem entfesselten Religionsstifter kein bisschen: Seine vertrackten Storys und quirligen Heilslehren beflügeln inzwischen gut elf Millionen Mormonen, Tendenz stark steigend.

Nun, da im Mormonen-Vatikan Salt Lake City im amerikanischen Wüstenstaat Utah zu den Olympischen Spielen geblasen wird, fällt gleißendes Licht auf die seltsame Kirche - was die Gläubigen, allen voran den amtierenden Propheten Gordon Hinckley und seine Apostel, in Unruhe versetzt.

Salt Lake Citys Tageszeitung "Desert News", wie vieles in Utah im Besitz der Heiligen, schwante jedenfalls Schreckliches: "Die Medien der Welt werden über uns schreiben, uns fotografieren, uns auseinander nehmen … wir werden als Karikaturen unser selbst erscheinen." Die Heiligen, deren Führung im Hauptquartier am Tempelplatz in Salt Lake Citys Innenstadt residiert, inszenieren vorsichtshalber präventive Public-Relations-Kampagnen, um das Image der Kirche zu polieren und sie als amerikanische Normalität auszustellen.

Ein verzwicktes Unterfangen, da die Mormonen-Lehre verschlungen, ja bisweilen bizarr anmutet: Sie handelt von Israeliten, die sechs Jahrhunderte vor Jesus ins amerikanische Hinterland auswanderten, von einem Jesus-Trip dorthin, allerlei Kriegen und Katastrophen, einem General namens Mormon sowie vom Engel Moroni, der Smith erscheint und von "goldenen Platten" berichtet, die es zu bergen gelte - im ländlichen New York wohlgemerkt, weshalb nicht nur unter Mormonen lebhaft diskutiert wird, wie und warum es die Offenbarung ausgerechnet nach Utah verschlug.

Dass die "Platten" seltsame Schriftzeichen enthielten ("reformiertes Ägyptisch") und Prophet Smith sie durch in ein überproportionales Brillengestell gefasste "Sehersteine" enträtselte - im weiten Feld der Religionen mag es Ungewöhnlicheres geben. Smiths Nachfolger, der Prophet Hinckley, fühlte sich jedoch bemüßigt, in einem TV-Interview zu versichern, die Mormonen seien "nicht merkwürdig".

Zion in der Wüste

Zumindest halfen Fleiß und Beharrungsvermögen, Zusammenhalt und großzügige Sozialwerke den Heiligen, Verfolgungen zu überleben, bis sie 1847 schließlich in Utahs Zion landeten, einer garstigen Halbwüste, bei deren Anblick der Siedlerin Harriet Decker Young der Mut sank: "Mir wurde krank ums Herz."

Als eine von vielen Dutzend Frauen des Smith-Nachfolgers Brigham Young litt Harriet an einem speziell mormonischen Problem: Zum Missfallen seiner Ehefrau hatte Smith die Vielweiberei ausgerufen und die Mormonen damit ins amerikanische Abseits manövriert. Erst nachdem die Polygamie 1890 von den Oberen offiziell abgeschafft wurde, erlangte Utah den Status eines Bundesstaats. Im Geheimen aber praktizieren etwa 20.000 mormonische Outlaws weiterhin die Vielweiberei, zum Verdruss der Kirche wie der Regierung.

In Salt Lake City selbst sind die Mormonen zwar in der Minderheit, doch im gesamten Staat Utah stellen sie 70 Prozent der Bevölkerung. Dementsprechend fest ist der Staat in ihren Händen. Konservativ und erfolgreich regiert der Kirchenapparat die Heiligen - wehrhaft und prüde trotzt er irdischen Anfechtungen: dem Alkohol, der Pornografie, der Liebe unter Männern, dem Beischlaf ohne Ehe. Zur Speerspitze der Offensive zählt eine "Pornografie-Zarin", bestellt vom Staatsparlament.

Keinesfalls wolle sie "Zensur" ausüben, versichert Zarin Paula Houston, 41 Jahre alt. Winzige wie ungeheuerliche pornografische Vorkommnisse aber erfordern stete Wachsamkeit. So entfernte die Unterwäschekette Victoria’s Secret aus dem Fenster ihrer Filiale in Salt Lake City ein Werbeplakat, das eine Mormonen-Mutter als "sexuell freizügig" geschockt hatte.

Überhaupt geht der Zarin nie die Arbeit aus: Mal gilt es einen Supermarkt anzuhalten, Girlie-Magazine nicht auf Augenhöhe auszustellen, mal muss ein Katalog voller Models in heißer Reizwäsche mit spitzen Fingern aus dem Briefkasten eines verstörten Bürgers entfernt werden, mal wird nackten Schaufensterpuppen verhüllende Bekleidung verordnet. Dabei sei die Zarin eine Jungfrau, berichtete die Zeitung "Salt Lake Tribune": Als nie verheiratete Mormonin habe sie dem Geschlechtlichen stets entsagt, ein Hindernis womöglich bei der Arbeit.

Allein jedoch wacht die Zarin nicht. Entschlossen bekämpfen Stadträte und Bürgermeister zwar nicht in Salt Lake City, wo der liberale Bürgermeister Rocky Anderson weltoffen regiert, wohl aber in der Provinz jegliche Fleischeslust. Besonders die Gefahr koitaler Abenteuer vor und außerhalb der Ehe ruft nach moralischer Regulierung, etwa an der mormoneneigenen Brigham-Young-Universität in Provo, wo sich 30.000 Studenten in einem einzigen Tanzklub ohne Alkoholausschank vergnügen dürfen.

Vielweiberei

Da die Kirche ehern gegen Homosexualität steht - laut Doktrin ist sie als Veranlagung unmöglich, da Gott einen derartigen Schöpfungsfehler nie begänge -, blüht schwulen Studenten wie Matthew Grierson der Sofortausschluss, wenn sie Händchen haltend mit dem Boyfriend erspäht werden. "Ich habe nicht gedacht, dass man hinausgeworfen wird, nur weil man schwul ist; ich dachte, das hätte auch etwas mit sexuellen Akten zu tun", mault Grierson indigniert.

So wäre im Mormonen-Paradies denn alles im libidinösen Lot, wäre da nicht der Fluch der Vielweiberei. Ketzerisch kopulieren Extrem-Mormonen gleich mit mehreren Angetrauten, des Öfteren im tragisch-kriminellen Arrangement, da alternde Macker sich nur allzu gern mit Teenagern verheiraten. Obschon einer robusten Psyche bedarf, wer polygam durchs Eheleben geht. "Man muss verrückt sein, um als Polygamist zu leben", urteilte das Herrenmagazin "Esquire" nach einer Vor-Ort-Reportage aus Utah. Fünf Haushalte muss man da führen, einen ganzen Kinderchor unterhalten, und dem Hahn im Korb bleibt am Ende oft nichts anderes übrig, als seinen Korb voll Klamotten im Kofferraum des Autos zu verstauen, weil es für ihn kein eigenes Zuhause gibt.

Jahrzehntelang ignorierte Utahs Establishment die polygame Szene, bis im Mai 2001 der fünffach verheiratete Tom Green angeklagt und eingesperrt wurde - die erste Verurteilung seit 50 Jahren.

Dazu gesellen sich katechistische Auswüchse wie die extrem starke Abneigung gegen Alkohol. Bis ein Bundesgericht eingriff, war Werbung für harte Sachen in Utah nicht erlaubt. Restaurants hatten ihre Weinflaschen zu verstecken, Weinkarten existierten nicht. Sogar Gebrautes halten die Heiligen auf niedrigem Alkoholpegel; lediglich 3,2 Prozent bietet das ortsübliche Dünnbier.

Strenge Zucht

Groß war der Zorn der Heiligen, als der Brauereibesitzer Greg Schirf wagte, sie mit Werbung für sein "Polygamy Porter" zu verulken. "Warum nur eine?", fragte Schirf von großen Reklameflächen in Anspielung auf die Vielweiberei und empfahl: "Nimm ein paar Flaschen mit nach Hause für die Frauen." Der Scherz ging nicht auf, bald weigerte sich die Werbefirma, Schirfs flotte Sprüche unters Volk zu streuen.

Den nichtmormonischen Einheimischen missfällt die strenge Zucht der Heiligen zusehends. "Ich wünschte mir, sie würden nicht derart in das Leben anderer Menschen eingreifen", klagt Bruce Albertson, Chef von Utahs größter Aktiengesellschaft Iomega. Nun, da die Welt in den kommenden Wochen auf Utah schaut, hoffen sie auf eine Lockerung der Prinzipien. An zehn olympischen Orten, darunter im Eishockeystadion von Provo, wird während der Spiele Alkohol ausgeschenkt werden.

Unverändert trutzig aber erinnert der Tempel-Komplex im Herzen von Salt Lake City an die Vormachtstellung der Heiligen. Sie herauszufordern lohnt nicht, denn ihrer ist nicht nur das Himmelreich, sondern auch der Gouverneur, das Staatsparlament, die beiden Senatoren in Washington sowie die drei Abgeordneten im Repräsentantenhaus. Da aus den anfänglich utopischen Sozialisten des Propheten Smith inzwischen begeisterte Kapitalisten geworden sind, quillt der Kirche der Mammon nur so von den Konten: Auf mindestens 30 Milliarden Dollar wird der Besitz der Heiligen geschätzt, ihnen gehören Medien, Immobilien und Aktien.

Sich gegen diese Kombination aus spiritueller und pekuniärer Macht aufzulehnen bringt schnell die Exkommunikation. Der Historiker David Wright von der Brigham-Young-Universität wurde gefeuert und aus der Kirche ausgeschlossen, weil er zum Schluss kam, Joseph Smith habe seine Erleuchtungen bloß erfunden. Als die Herausgeberin des "Journal of Mormon History" einen Beitrag veröffentlichte, der sich kritisch mit der intellektuellen Zensur beschäftigte, wurde auch sie exkommuniziert - Kardinal Ratzinger lässt grüßen, wenngleich nicht einmal der Vatikan derartige Linientreue einfordert. Wer hinausgekegelt wird oder austritt, verliert unweigerlich die meisten Freunde, da das Sozialleben mit den zahlreichen Kirchenveranstaltungen sowie der Freiwilligenarbeit eng verknüpft ist.

Heimchen

Nur weil sie eine feministische Geschichte der Mormonen-Frauen schrieb, wurde die Autorin Maxine Hanks von den Heiligen verstoßen. Die Kirche, meint Hanks, finde "keine Balance zwischen Männern und Frauen". Auf die Frage, was sie nach ihrem Kirchenaustritt zuerst getan habe, antwortet die Ex-Mormonin Lindy Parsons aus Harrisville, Utah: "Ich bin zu Victoria’s Secret gegangen und habe mir richtige Unterwäsche gekauft" - fürwahr eine Gotteslästerung, insistieren der Prophet und seine Apostel doch darauf, dass Frauen im Heimchenstil durchs Leben ziehen. So wirkte die Mormonen-Kirche zwar als Pionierin bei der Öffnung des amerikanischen Bildungswesens für Frauen, auch durften Frauen in Utah bei Staatswahlen bereits 1870 wählen. Am liebsten aber sehen die Oberen die Frauen zu Hause mit möglichst vielen Kindern.

Während sie das eigene Revier mit eiserner Hand verwaltet, muss sich die Hierarchie nach draußen gegen den fatalen Anwurf verteidigen, keiner christlichen Religion, sondern einem "Kult" vorzustehen. Amerikas Methodisten etwa lästern, die Mormonen-Gemeinschaft befinde sich "nicht innerhalb der Grenzen der historischen apostolischen Tradition des christlichen Glaubens".

Um solche Angriffe abzuwehren und in den amerikanischen Mainstream zurückzufinden, versucht die Utah-Hierarchie neuerdings, ihre verwegenen Doktrinen vergessen zu machen - und setzt nun vermehrt auf Jesus. Als "Kirche Jesu Christi" will man gelten; statt Konterfeis von Joseph Smith grüßen immer mehr Jesusbilder in Kirchenpublikationen. Leicht dürfte es den Heiligen trotzdem nicht fallen, das Misstrauen der traditionellen Christenheit zu zerstreuen.

Mit den Olympischen Spielen, so Prophet Hinckley, erfülle sich in Utah Brigham Youngs Prophezeiung, "Könige und Kaiser und die Noblen und Weisen der Erde" würden eines Tages Salt Lake City besuchen. Die Ankunft von Abfahrtsläufern und Bobfahrern, Schlittschuh-Madonnen und Biathleten hatte Young hingegen nicht gesehen.

Martin Kilian ist Redakteur der "Weltwoche", Zürich.

Quelle: http://www.profil.at/export/profil/p_content.php3?xmlval_ID_KEY[]=0010&xml

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