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zum Thema Die heiße Olympia-Phase hat begonnen
Seite erstellt am 29.3.24 um 10:32 Uhr
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Verfasser: Gunar
Datum: Dienstag, den 29. Januar 2002, um 12:05 Uhr
Betrifft: Kleine, heile Welt am großen Salzsee hat Angst vor Terroristen und Biertrinkern

Lippische Landes-Zeitung
Neue Westfälische

29.01.2002  

Olympia bei den Mormonen

Die kleine, heile Welt am großen Salzsee hat Angst vor Terroristen und Biertrinkern

VON UNSEREM KORRESPONDENTEN MARKUS GÃœNTHER

Salt Lake City. Wie kamen die Olympischen Spiele eigentlich nach Salt Lake City? War es plumpe Bestechung, oder die Weisheit des Olympischen Komitees? Gab der wunderbare Pulverschnee in den Wasatch-Bergen aden Ausschlag? Alles Quatsch. Gordon Hinckley, mit 91 Jahren fast so alt wie die Olympischen Spiele der Neuzeit, kennt den wahren Grund: "Es war der Wille Gottes."

"Könige und Herrscher werden zu uns kommen, die Edlen und die Weisen, aber die Gottlosen werden uns beneiden um unsere schönen Häuser." So zitiert Gordon Hinckley eine alte Prophezeihung, die sich nun erfülle. Und Hinckley widerspricht man nicht.

Er ist das geistliche Oberhaupt der Mormonen, er wird selbst als Prophet verehrt, und wenn man so will, ist er der eigentliche Gastgeber der Olympischen Winterspiele. Zwar will niemand in Salt Lake City das böse Wort von der "mormonischen Olympiade" hören, doch Tatsache ist, dass die Welt in den nächsten Wochen bei der sagenumwobenen "Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage" zu Gast ist, die Salt Lake City so sehr geprägt hat wie die Katholische Kirche den Vatikan.

Beiläufig fällt auch ein Blick auf die Kirche

Knapp drei Wochen lang steht die Stadt am großen Salzsee im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit. Es wird wie immer um Medaillen und Rekorde gehen, doch beiläufig wirft die Welt auch einen genaueren Blick auf jene Kirche, von der die meisten nicht viel mehr gehört haben als das dolle Gerücht, dass sie Vielweiberei predigt. Das stimmt zwar nicht, trägt aber doch zu der gesteigerten Neugierde bei, mit der Sportler, Journalisten und TV-Zuschauer die Gastgeber beobachten werden.

Tatsächlich aber lässt sich auf den ersten Blick wenig Fremdartiges und Skurriles in Salt Lake City entdecken. Es ist in diesen Tagen eine Stadt im ganz normalen Olympia-Fieber, in der an allen Ecken und Enden gebaut und geübt wird. Schüler proben den Einmarsch der Athleten zur Eröffnungsfeier, Experten stecken die olympischen Pisten ab, Kunstschnee wird produziert und auf Halde gelegt. Und im lokalen Radio laufen unentwegt Hinweise, die die Bevölkerung auf Olympia vorbereiten sollen: "Wir wollen gute Gastgeber sein, höflich, freundlich und weltoffen. Wir freuen uns auf unsere Gäste." Vor dem ganzen undurchsichtigen Rummel flüchten in diesen Tagen trotzdem viele Einheimische in den Urlaub.

Das klingt alles schrecklich banal, doch die Rundfunkstation im Besitz der Mormonen weiß, warum sie den Spot wieder und wieder sendet: Die Akzeptanz des Fremden, vor allem aber der Verzicht auf Bekehrungsversuche, fällt den Mormonen nicht leicht. Mission steht im Zentrum ihrer Religion, und der "Prophet" der Kirche, Gordon Hinckley, ist im letzten Jahr genötigt worden, eine schriftliche Erklärung herauszugeben, in der er verspricht, auf Missionierungsversuche während der Olympischen Spiele zu verzichten.

Nur im Tempelbezirk im Herzen der Stadt geht die Mission auch während der Spiele weiter. Ursprünglich wollten die Mormonen, die knapp zwei Drittel der Bevölkerung Utahs stellen und praktisch alle politischen Posten im Staate innehaben, die Sache durchaus offensiver angehen und die Chance nutzen, zehntausenden von Besuchern, vor allem aber den Milliarden am Bildschirm, ihre Religion ein bisschen näher zu bringen.

Doch seit dem Bestechungsskandal, bei dem zwei Mormonen einige IOC-Mitglieder mit mehr als einer Million Dollar bestochen hatten, damit Salt Lake City den Zuschlag für die Spiele bekam, sind die Mormonen in der Defensive.

Hinzu kam, dass das älteste und peinlichste Klischee über Mormonen im letzten Jahr neue Nahrung bekam: Tom Green, ein Mann mit fünf Ehefrauen und 30 Kindern, wurde wegen Vielweiberei rechtskräftig verurteilt. Zwar gehören Männer wie Green längst nicht mehr zur Kirche, denn schon vor mehr als 100 Jahren haben sich die Mormonen von der Polygamie ihrer frühen Jahre losgesagt. Doch hat die Geschichte für reichlich Schlagzeilen gesorgt.

Die Kirchenoberen predigen mittlerweile Toleranz - auch gegenüber den Gästen, die mit der mormonischen Sittenstrenge - kein Alkohol, Nikotin oder Koffein - nichts im Sinn haben. Im deutschen Olympia-Haus in Park City zum Beispiel stehen die importierten Fässer mit Pils und Kölsch schon bereit, und zähneknirschend müssen die Mormonen auch akzeptieren, dass die Budweiser-Brauerei einer der größten Sponsoren der Spiele ist.

Lebenserwartung liegt elf Jahre über dem Durchschnitt

"Wir wollen, dass die Olympia-Gäste einen guten Eindruck von uns bekommen. Wenn sie erst einmal mehr über uns wissen, werden sie ihre Vorurteile schnell ablegen", sagt der Mormone Zenos Frenzel, der vor 40 Jahren von Bayern nach Salt Lake City ausgewandert ist.

Auch wenn die Mormonen sich mit offensiven Missionierungsversuchen zurückhalten werden, ist die Kirche während der Spiele doch überall präsent. "Light of the World", eine Art Musical mit 1.500 Darstellern auf der Bühne, wird die Geschichte der Mormonen erzählen und viel Multi-Kulti-Folklore zeigen. Auch bei der allabendlichen Medaillenvergabe gibt der Mormonen-Tempel die Hintergrundkulisse ab.

Doch das eindrucksvollste Dokument mormonischen Schaffens ist die Olympiastadt selbst. Ghettos wie in anderen amerikanischen Großstädten gibt es hier nicht. Die Arbeitslosenquote ist niedrig, Kriminalität und Drogen sind kaum sichtbar. Verglichen mit Philadelphia oder Miami ist dies eine kleine, heile Welt. Der mormonische Arbeitseifer hat die Stadt zu dynamischer Wirtschaftskraft geführt, die mormonische Armenfürsorge behebt wenigstens die schlimmsten Auswüchse des amerikanischen Kapitalismus.

Und die Sittenstrenge der Kirche ist mit dem amerikanischen Gesundheitswahn eine Allianz eingegangen, die die Krebsraten auf ein rekordverdächtig niedriges Niveau drückt. Die Lebenserwartung in Utah liegt sage und schreibe um elf Jahre über dem amerikanischen Durchschnitt.

Allerdings ist die Vielfalt im Mormonenstaat schon vor Olympia größer geworden. Durch die Einwanderung von "Hispanics" sind die Katholiken nun die zweitgrößte Gemeinde.

Bier ist zwar den Mormonen verpönt, aber in einigen Kneipen durchaus verfügbar. Und im Einkaufszentrum gegenüber vom Mormonentempel gibt es bei genauerem Hinsehen nicht nur brave mormonische Handarbeiten, sondern auch Reizwäsche, Männermagazine und eine gut sortierte Schmökerecke mit "schwuler Literatur".

Das in den USA viel diskutierte Thema, wie die Mormonen mit den Olympiagästen zurechtkommen werden (oder umgekehrt), ist ohnehin in den Hintergrund getreten, seit die Angst vor Terroranschlägen die Spiele überschattet. 300 Millionen Dollar werden in die Sicherheitsmaßnahmen investiert. Das ist nicht nur olympischer Rekord, das übertrifft alles, was je bei einem Großereignis aufgeboten wurde.

BILD: Hausputz für die Olympischen Spiele: Salt Lake City schmückt sich. Hier haben gerade Fassadenkletterer an einem Hochhaus ein riesiges Foto einer Sportlerin angebracht. Ãœberall in der Mormonen-Stadt wird geübt, geprobt, dekoriert – ganz normales Olympia-Fieber also.

http://www.lz-online.de/news/politik/NW_20020129_192070000.html
http://www.nw-news.de/cgi-bin/printversion.cgi?DATEI=NW_192070000

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