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Verfasser: Gipfelstürmer
Datum: Dienstag, den 5. Januar 2010, um 21:26 Uhr
Betrifft: Das Buch Abraham, Gerichtsverhandlungen und Expertenrunden

Hallo JesseX,

Du schreibst:

> Und ein für den Angeklagten ganz übles Faktum ist und bleibt der umstrittene Ursprung eines deiner Kirche zugrundeliegenden Bücher mit dem besonderen Kapitel des Buches Abraham.

Das ist richtig. Das Buch Abraham ist eine Schwachstelle. Allerdings wird der Kritik an dieser heiligen Schrift viel Wind aus den Segeln genommen, wenn man bedenkt, dass bestenfalls 13% der damals von Joseph Smith besessenen Papyri erhalten geblieben sind. Das meiste Material ging bekanntermaßen 1871 bei einem großen Brand im Museum von Chicago drauf. Und die Argumente in dem Film „The lost Book of Abraham“, die dafür sprechen, dass es sich bei den erhaltenen Fragmenten just um diejenigen handelte, auf deren Grundlage Joseph Smith seine Übersetzung anfertigte, erscheinen mir nicht schlüssig. Dagegen spricht, dass zeitgenössische Berichte von Charlotte Haven vorliegen, in denen die von Joseph Smith verwendeten Papyri recht detailliert beschrieben werden. Die erhaltenen Dokumente passen nicht zu diesen Darstellungen. Allerdings muss ich hier etwas vorsichtig sein, weil mir die Originalquellen von Haven nicht zur Verfügung stehen. Aber nochmal: Natürlich ist das Buch Abraham angreifbar. Und Joseph Smith übersetzte die Dokumente nicht im wissenschaftlichen Sinne, sondern wohl so, wie der nicht-mormonische Ägyptologe Lanny Bell es in seinem Aufsatz „The Ancient Egyptian Books of Breathing, the Mormon Book of Abraham, and the Development of Egyptology in America“ auf Seite 30 formulierte: „… Smith’s approach to the translation of ancient Egyptian documents ranks him squarely in the tradition of the esoteric interpretation of hieroglyphics, dating back to Anthanasius Kircher (1602-1680) who maintained that the hieroglyphs were purely symbolic.“ Das wirkt natürlich seltsam. Zwar hat Joseph Smith mit seiner Interpretation ein paar bemerkenswerte Treffer gelandet (wie die korrekte Interpretation der vier Söhne des Horus unter der Löwencouch als Repräsentanten der vier Enden der Erde). Aber ich mache wie gesagt kein Hehl daraus, dass es sich beim Buch Abraham um eine absolute Schwachstelle des Mormonismus handelt.

Die Frage ist nun allerdings die folgende: Inwieweit darf ein „umstrittener Ursprung“ einer als heilig angesehenen Schrift als Begründung dafür herangezogen werden, eine Religion als Ganzes zu verurteilen? Was ist, wenn ich feststelle, dass der Koran nicht auf die Weise zustande gekommen sein konnte, wie es sowohl von Shiiten als auch von Sunniten geglaubt wird? Was ist, wenn mir die verschiedenen Manipulationen in der Bibel klar werden, die z.B. von Bart Ehrman in seinem Buch „Abgeschrieben, falsch zitiert und missverstanden“ aufgeführt sind? Welche Schlussfolgerungen darf ich auf dieser Grundlage im Hinblick auf die Beweggründe der Repräsentanten einer Religion in ganz anderen Situationen und zu ganz anderen Zeiten ziehen? Inwieweit weiß ich dann, wie sich bestimmte Ereignisse zugetragen haben, die mit der Entstehung der fraglichen heiligen Schriften in keinem unmittelbaren Zusammenhang stehen? Hier gehen die Meinungen offenbar auseinander. Ich vertrete die Position, dass die Sachverhalte einzeln zu betrachten sind.

> Ein Gericht kann somit Beweisanträge zulassen oder verwerfen, es kann die Beweise nach seinem Ermessen würdigen.

Das ist richtig. Ich persönlich halte jedoch ein Verfahren für unfair, bei dem alle entlastenden Indizien nicht aufs Tablett kommen und sich das Urteil in erster Linie auf die Sichtweise eines Zeugen stützt, der sagt: „Ja, ich habe die ganze Sache durchschaut und kann Euch genau sagen, warum wer wann was gemacht hat. Ich war zwar nirgends dabei, weiß aber einfach, dass alles so war, wie ich es schildere. Glaubt nur mir, denn ich bin ein Sehender.“

> ... aber es ist fast schon so, wie in einer Expertenrunde im Fernsehen: der Eine wirft dem Anderen Ignoranz oder gar Inkompetenz vor usw. usw. (das ist hier ja nicht ganz der Fall, aber nur ’mal so angedacht).

Mir muss man keine Ignoranz oder Inkompetenz vorwerfen. Denn mir ist selbst bewusst, dass ich keine Ahnung habe. Besonders was die Historie meiner Religion angeht. Ich bin kein qualifizierter Geschichtswissenschaftler und kann die zur Verfügung stehenden Quellen nicht fachkundig bewerten. Mir ist klar, dass ich noch so viel lesen kann – ich werde nie in der Lage sein, eine unerschütterliche Gewissheit darüber zu erlangen, wie sich eine bestimmte Begebenheit vor 170 Jahren in allen Details zugetragen hat oder was die Beteiligten in verschiedenen Situationen damals genau gedacht haben.

Viele Grüße

Gipfelstürmer

P.S.: Bist Du eigentlich wirklich ThePassenger?

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