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zum Thema Molympiade 2002
Seite erstellt am 25.4.24 um 23:04 Uhr
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der Beitrag:
Verfasser: James
Datum: Samstag, den 22. Dezember 2001, um 12:41 Uhr
Betrifft: Molympiade 2002

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.12.2001, Nr. 298 / Seite 35:

"Mister "NO-2002" und das Ende aller Illusionen
Der Countdown auf die Winterspiele in Salt Lake City bringt das FBI nicht aus der Ruhe

SALT LAKE CITY. Es gibt Tage, da schwingt sich Bill Velmer morgens in sein Auto und hastet in die Berge zum Skifahren. Der Finanzberater aus Salt Lake City ist sein eigener Herr. Mit eigenen Vorstellungen von der Welt. Und einem Handy in der Tasche, mit dem er bisweilen vom Lift aus seine Aktienpakete umschichtet.

Eigentlich ist der Amerikaner ein zufriedener Mann. Es sei denn, es passieren solche Dinge wie die mit dem Nummernschild, dem Straßenverkehrsamt und den Olympischen Spielen. Nicht genug, daß ihn ihr Effekt auf die Skigebiete in den Wasatch Mountains nervt - der Andrang der Menschen, der Bau von hunderten Villen an den Pisten. Und daß es bei dem Großereignis "nur noch um Geld und Hype" geht. Schlimmer: "Am Ende muß ich mit meinen Steuern auch noch dafür bezahlen." Als er einen Antrag auf das Autokennzeichen "NO-2002" stellte, um seinen Standpunkt deutlich zu machen, lehnte die Behörde das Ansinnen ab. Die harmlose Aussage gilt in dem harmoniebesessenen Landstrich bereits als politischer Protest. Und der wird in Utah nicht gern gesehen.

Zur derselben Erkenntnis ist Stephen Pace schon vor einer ganzen Weile gekommen. Ziemlich genau vor 13 Jahren, als er eine Bürgerinitiative gründete, um zu verhindern, daß eifrige lokale Größen zusammen mit ehrgeizigen Politikern die Winterspiele nach Salt Lake City holen. Er hatte für seinen Einsatz gegen eine mächtige Lobby aus Industriemanagern, Rechtsanwälten, Bankiers, Bauunternehmern und Besitzern von Ski-Resorts wie Park City und Snow Basin viele gute Gründe. Aber das Netzwerk aus bestens miteinander verflochtenen Interessensvertretern war mächtiger. Die Stadt bekam 1995 nach langem Werben und unter Einsatz von großzügigen Geschenken an die Adresse wichtiger Mitglieder des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) den Zuschlag.

In ein paar Wochen wird das Ereignis tatsächlich beginnen. Trotz aller Widerstände und Skandale und trotz allerlei Sicherheitsbedenken, mit denen Pace vor ein paar Wochen ein letztes Mal an die Öffentlichkeit trat, um das Ereignis vielleicht noch aus den Gleisen zu werfen. Doch diesen letzten Versuchen fehlt, seitdem der äußerst wendige und fleißige Mitt Romney die Geschäfte führt, der richtige Biß. Die Spiele werden stattfinden. Die ersten für Jacques Rogge, den neuen IOC-Präsidenten aus Belgien, der einen anderen olympischen Führungsstil praktizieren will.

Die redlichen Bürger von Salt Lake City und die fleißigen Helfer aus allen Ecken des Bundesstaates sind bereit. Die Winterspiele - daran werden sie in diesen Tagen von aufmunternden Radio-Werbespots erinnert, sind schließlich eine ideale Gelegenheit, sich den anreisenden Fremden gegenüber von der besten Seite zu zeigen. Und zwar nicht nur mit den breiten Autobahnen, den neuen Hotels, den nie abebbenden Diskussionen um den Alkoholverkauf in Geschäften und Restaurants, den Berichten von Mormonenmännern, die in Vielehe leben. Sondern vor allem mit dem Gefühl, daß in ein paar Wochen die ganze Welt auf diese Stadt schauen wird.

Über die windigen Schachzüge der reichsten Männer im Bundesstaat, die sich beim Bau von Sportanlagen und Infrastrukturmaßnahmen die Taschen noch stärker gefüllt haben sollen, spricht unterdessen so gut wie niemand. Genauso wie über die Motive des Organisationskomitees, die Medaillenzeremonie in der Nähe des großen Mormonentempels in der Innenstadt auszurichten, wo sich die Zuckerbäckerzacken des Wahrzeichens der Glaubensgemeinschaft unweigerlich die Kulisse vieler Fotos bilden wird. Wer solche Gespräche anzetteln will, wirkt in diesen Tagen wie ein Repräsentant des sprichwörtlichen Schnees von gestern, an dem man hier kein Interesse hat. Es fällt schließlich ständig neuer. Und an dem allgegenwärtigen Regime aus rigidem religiösem Moralismus und dem Machtanspruch einer undurchsichtigen Kirchenhierarchie werden auch die Spiele nichts ändern. Wohl auch deshalb haben die meisten Menschen in dem zwei Millionen Einwohner zählenden Staat der Mormonen dieses resignierte Achselzucken so perfektioniert.

Was bleibt einem auch anders übrig. Die Drahtzieher vor der Ära Romney, der nach dem Skandal 1999 angeworben wurde, hatten vor allem den lokalen Bürgerstolz angesprochen. Die neue Führung erklärte, nachdem sie aus Geldmangel in Washington um finanzielle Unterstützung nachsuchen mußte und zum Nutznießer von Steueraufwendungen von schätzungsweise mehr als eine Milliarde Dollar wurde, die Spiele zu einem gesamtamerikanischen Ereignis. Ein Konzept, das mit dem 11. September noch eine zusätzliche Dimension erhalten hat.

Nervös wird niemand, wenn die Zeitungen berichten, daß Sicherheitskräfte, verantwortlich für das Olympische Dorf, aus nicht näher bezeichneten Gründen entlassen werden. Oder wenn eine Razzia auf dem Flughafen Hunderte von ausländischen Arbeitnehmern ohne oder mit falschen Papieren aufbringt. Denn nun ist das FBI zuständig. Und dessen Direktor Robert Mueller. Und der erklärte in der vergangenen Woche, daß seine Mitarbeiter "so gut vorbereitet und trainiert sind wie die Athleten". Die Spiele sind demnach in guten Händen. Wer hätte Grund, dies zu bezweifeln?

Ob das auch für die Stadt gilt, wenn die Karawane weitergezogen ist, steht auf einem anderen Blatt. Denn daß der vorolympische Boom anhält, der neue Hotels wie den weißen, 24stöckigen Granitkasten an der South Main Street gebracht hat, in dem während der Spiele die wichtigsten Würdenträger residieren werden, ist mehr als fraglich. Selbst reiche Utah-Touristen dürften das "Grand American" mit seinen 775 mit Marmor ausgelegten Zimmern auf ihrer Fahrt in die Feriengebiete in den Bergen links liegen lassen. In Salt Lake City hält sie nichts. Dort klappt man schon an einem normalen Abend kurz nach dem Dunkelwerden die Bürgersteige hoch. Die neuen Gebäude gehören zu den inneren Widersprüchen, die die Bürger von Salt Lake City mit sich ausmachen müssen, nachdem ihnen Lobbyisten und Politiker jahrelang eingeredet haben, daß Olympische Spiele einer Stadt Wohlstand und Anerkennung bringen. Aber es tut sich etwas. Seit neuestem steht an der Autobahnabfahrt Richtung Downtown ein großes Hinweisschild, darauf steht "Martin Luther King". Daß ein religiöser schwarzer Bürgerrechtskämpfer in Utah demonstrativ gewürdigt wird, wäre noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen. Damals praktizierte die Mormonenkirche noch Rassismus und weigerte sich strikt, dunkelhäutige Gläubige aufzunehmen. Ob solche Details tatsächlich das Bild der Region beeinflussen, läßt sich schwer vorhersagen.

Für die Zeit nach den Spielen prophezeien Wirtschaftsexperten der Stadt jedenfalls schon jetzt das Ende jeder Illusion. "Wenn die Party vorbei ist, werden die Leute nach Hause fahren, und der Geldhahn versiegt", sagt Thayne Robson, der Direktor des Utah Bureau of Economic and Business Research. Schon jetzt deuten sich auf dem Immobilienmarkt schwierige Zeiten an: Der Anteil leerstehender Büros stieg innerhalb eines Jahres von 8,9 auf 12 Prozent. "Jeder versucht, die Olympischen Spiele dazu zu nutzen, sich selbst zu vermarkten", erklärte Jason Mathis, der Sprecher des Convention Bureaus. "Es wird interessant zu sehen, wer damit Erfolg haben wird."

JÃœRGEN KALWA" (Herv.v.m.)

Quelle:

http://www.faz.net/IN/INtemplates/faznet/default.asp?tpl=faz/content.asp&rub={4D3C852C-5862-432E-8D43-6B512672F593}&doc={B2F0517E-F360-4120-AF7A-B53D2533DF69}

Nebenbei bemerkt: Die Aussage des Artikels "weigerte sich strikt, dunkelhäutige Gläubige aufzunehmen", ist sachlich falsch. Der erwähnte Rassismus ist Fakt, jedoch war es nicht so, daß "dunkelhäutige Gläubige" die Mitgliedschaft verweigert wurde, "lediglich" das "Priestertum" und alle daraus folgernde Konsequenzen (keine "ewige Ehe" im Tempel etc.).

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