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Verfasser: abendrot
Datum: Donnerstag, den 26. März 2009, um 22:50 Uhr
Betrifft: Relativierungen

Hallo Gipfelstürmer,

Deine letzten Ausführungen waren besonders interessant zu lesen, da sie eine deutliche Relativierung des Absolutheitsanspruchs der Kirche darstellen.

> Es gibt mehrere Blickwinkel, von denen aus man eine Glaubensgemeinschaft beurteilen kann. Das Abwägen von Fakten ist nur ein Weg – aber nicht der einzige.

Darin geb ich Dir durchaus recht, und die Aufteilung einer Religionskritik nach drei oder vier Bereichen, wie von svenx vorgeschlagen, erscheint mir ebenfalls sinnvoll.

> Kürzlich hat der derzeitige Papst den Katholizismus als einzig wahre Religion bezeichnet. Man könnte diese Position sehr leicht in Frage stellen. Sollte man diese Kirche deswegen verteufeln und sollten sich alle Katholiken genötigt fühlen, ihre Glaubensgemeinschaft zu verlassen?

Eine Untersuchung des Wahrheits- bzw. Absolutheitsanspruchs einer Religion muß nicht im Ergebnis deren Verteufelung zur Folge haben. Ebensowenig sollten deren Gläubige zur Distanzierung genötigt werden. Es kann durchaus sein, daß Gläubige trotz der Erkenntnis, daß ihre Religion nicht das ist, was sie zu sein vorgibt, sie für attraktiv genug halten, ihr weiterhin die Stange zu halten und von ihren guten Seiten zu profitieren. Wem das gelingt, für den ist es vermutlich ein erträglicher Zustand.

> Das Beanspruchen einer objektiven Sicht der Dinge unter Berufung auf Fakten ist eine Illusion.

Einem Religionskritiker muß es auch nicht darum gehen, eine definitive Sicht der Dinge durchzusetzen in der Erwartung, daß sie vom Rest der Menschheit akzeptiert wird. So einen Anspruch hätte ich nicht. Es reicht schon das Aufzeigen und Belegen bestimmter Sachverhalte zu einem Thema (oft sprechen diese schon für sich); jedenfalls ist es am besten, wenn der Leser seine eigenen Schlüsse daraus zieht und nicht aufgefordert wird, sich der Darstellung des Autors anzuschließen.

> Wenn ich in Büchern von renommierten Historikern etwas über die HLT-Kirche lese, dann deckt sich das sehr oft nicht mit den Ausführungen von manchen Kritikern auf diversen Internetseiten. Beispiele hierfür gibt es wahrlich genug. Ich stoße ständig auf Widersprüche. Zweifelsfreie „Fakten“ und eindeutige Interpretationen, die von allen kompetenten Fachleuten geteilt werden, findet man im Hinblick auf viele zentrale Aspekte nicht. Wenn jemand dennoch mit großer Selbstsicherheit auftritt und auf alle strittigen Fragen mit einer eindeutigen und „bewiesenen“ Antwort mit dem Anspruch auf Wahrheit aufwartet, werde ich skeptisch (besonders dann, wenn es sich hierbei um einen Laien handelt).

Hier zeigt sich die verbreitete Neigung, sich im Zweifelsfall lieber der Aussage eines Experten anzuschließen anstatt der eines (weniger renommierten) Kritikers. Das erscheint mir jedoch unklug, weil es dann passieren kann, daß eine auch für einen Laien nachvollziehbare, kritische Aussage mißachtet wird, um auf der sicheren Seite zu sein. Wenn jemand überzeugt von seiner Sache ist, dann darf er auch selbstsicher auftreten. Es ist durchaus angemessen, ihm mit einer gesunden Portion Skepsis zu begegnen; allerdings erscheint es mir auch vernünftig, seine Aussagen unvoreingenommen zu überprüfen, denn es sollte gleichgültig sein, ob eine Aussage von einem Experten stammt oder nicht, wenn man sie nach der Überprüfung für zutreffend befinden sollte.

> Es gibt mehrere Konsequenzen, die sich aus Fakten ziehen lassen (sofern man überhaupt von „Fakten“ sprechen kann). Ich muss mich nicht verpflichtet fühlen, ein idealisiertes Bild von meiner Kirche und ihrer Geschichte zu vertreten, nur weil ich der Überzeugung bin, dass Gott in ihr wirkt. Und ich muss das Kind nicht mit dem Bade auskippen, wenn Erkenntnisse auf den Tisch kommen, die ein überzogen positives Image meiner Glaubensgemeinschaft in Frage stellen.

War das Image Deiner Glaubensgemeinschaft bisher tatsächlich überzogen positiv, sollte es demnach eigentlich auch nicht besser als das der anderen Religionen sein? In Deinen Aussagen zeichnet sich in meinen Augen die wahrscheinliche zukünftige Strategie der Mormonenkirche ab, ihren bisherigen Absolutheitsanspruch als die einzige von Gott als seine eigene, in ihrer Urform wiederhergestellte und bevollmächtigte Kirche zu relativieren, um die immer offenkundigeren  Widersprüche zwischen Anspruch und Wirklichkeit so gut wie möglich aufzulösen.

> Beispielsweise ist das Buch Mormon zu dem Zweck veröffentlicht worden, davon zu überzeugen, „… dass Jesus der Christus ist, der ewige Gott, der sich allen Nationen kundtut.“ Diese Aufgabe hat es bei vielen Menschen sehr gut erfüllt. Vielleicht hat Joseph Smith viele der Begebenheiten unter göttlichem Einfluss in Visionen gesehen, vielleicht hat es viele der dort beschriebenen Personen nie gegeben (genauso, wie Hiob in der Bibel womöglich nie existiert hat).

Eine solche relativierende Sicht der Inhalte bzw. der Stellung des Buches Mormon als "heilige Schrift" dürfte in der Mormonenkirche gegenwärtig nicht auf viel Gegenliebe stoßen... vielleicht in einigen Jahrzehnten, wenn die Mitgliedschaft Stück für Stück umorientiert worden ist... Es ist schlicht unvereinbar mit dem Einstufung des Buches Mormon als Heilige Schrift im Sinne der Mormonenkirche, wenn offiziell zugestanden werden würde, daß nicht alles, was dort drin steht, für bare Münze zu nehmen ist... daß es sich etwa nur um eine Sammlung glaubensstärkender Geschichten handelt, die Gott sich hat einfallen lassen und dann für Joseph Smith und die Mitgliedschaft in Form der Geschichte vom Engel Moroni und den goldenen Platten verpackt hat...;-)

> Vielleicht hat Joseph Smith ja zu Konzentrationszwecken beim Schreiben seinen Kopf immer wieder mal in seinen Hut gesteckt. Auch seine Sehersteine kann er von mir aus ruhig benutzt haben. Ich bin nicht gezwungen, der Kirche abzuschwören, nur weil manche Indizien die romantische Vorstellung in Frage stellen, Joseph Smith habe die goldenen Platten im buchstäblichen Sinne von vorne bis hinten übersetzt.

Hihi, "romantische Vorstellung"... da würdest Du aber allerhand Stirnrunzeln seitens der alteingessenenen Mitglieder ernten...;-) Also für mich kommt in diesen Sätzen ein deutlicher Wunsch zum Ausdruck, unbedingt an der Kirche festhalten zu wollen. Man kommt immer wieder auf den Punkt zurück, daß die Mormonenkirche nunmal das Problem hat, lange Zeit für sich Unfehlbarkeit und Alleinvertretung in Anspruch genommen zu haben, was jetzt aber nicht mehr gelten soll. Es hat ja spätestens damit angefangen, als Hinckley in einem Interview eingeräumt hat, er habe auch nicht anders als normale Mitglieder Kontakt zu Gott, sprich durch Gebete. Dabei wird es wohl nicht bleiben.

Es sollte den Kritikern der Mormonenkirche tatsächlich nicht darum gehen, die Mitglieder unbedingt da rauszuholen, sondern um ein Aufklärungsangebot für diejenigen, die dafür bereit sind.

Viele Grüße

abendrot

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