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Verfasser: Gipfelstürmer
Datum: Donnerstag, den 26. März 2009, um 18:20 Uhr
Betrifft: Es gibt nicht nur einen Blickwinkel

Hallo abendrot,

vielen Dank für Deine Stellungnahme. Du schreibst:

> Ich finde, daß es irreführend ist, das Beharren der Kirchenkritiker auf den Fakten, welche sehr deutlich gegen die Echtheit der Kirche als "von Gott gegründet und geleitet" sprechen, als methodischen Irrweg in ihrer Diskussion mit Apologeten zu kritisieren. Es ist keine Frage eines "Besitzes der alleinigen Wahrheit", wenn anhand von Tatsachen die eklatanten Widersprüche zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Mormonenkirche dargestellt werden. In dieser Frage kann es auch keine Annäherung geben.

Nein, es ist aus meiner Sicht kein methodischer Irrweg, eine Religion anhand von Fakten zu bewerten. Ich vertrete allerdings die folgende Position:

1. Es gibt mehrere Blickwinkel, von denen aus man eine Glaubensgemeinschaft beurteilen kann. Das Abwägen von Fakten ist nur ein Weg – aber nicht der einzige. Kürzlich hat der derzeitige Papst den Katholizismus als einzig wahre Religion bezeichnet. Man könnte diese Position sehr leicht in Frage stellen. Sollte man diese Kirche deswegen verteufeln und sollten sich alle Katholiken genötigt fühlen, ihre Glaubensgemeinschaft zu verlassen? Oder kann man diese Konfession auch aus einer anderen Perspektive sehen? Ich verstehe Menschen, die sagen, dass ihnen der Gottesdienst in der katholischen Kirche Kraft gibt, dass sie das caritative Engagement bewundern, dass sie die Jugendarbeit befürworten, dass sie das Wirken Gottes spüren, dass sie gerne zu Bibelkreisen gehen usw.

2. Das Beanspruchen einer objektiven Sicht der Dinge unter Berufung auf Fakten ist eine Illusion. Wenn ich in Büchern von renommierten Historikern etwas über die HLT-Kirche lese, dann deckt sich das sehr oft nicht mit den Ausführungen von manchen Kritikern auf diversen Internetseiten. Beispiele hierfür gibt es wahrlich genug. Ich stoße ständig auf Widersprüche. Zweifelsfreie „Fakten“ und eindeutige Interpretationen, die von allen kompetenten Fachleuten geteilt werden, findet man im Hinblick auf viele zentrale Aspekte nicht. Wenn jemand dennoch mit großer Selbstsicherheit auftritt und auf alle strittigen Fragen mit einer eindeutigen und „bewiesenen“ Antwort mit dem Anspruch auf Wahrheit aufwartet, werde ich skeptisch (besonders dann, wenn es sich hierbei um einen Laien handelt).

3. Es gibt mehrere Konsequenzen, die sich aus Fakten ziehen lassen (sofern man überhaupt von „Fakten“ sprechen kann). Ich muss mich nicht verpflichtet fühlen, ein idealisiertes Bild von meiner Kirche und ihrer Geschichte zu vertreten, nur weil ich der Überzeugung bin, dass Gott in ihr wirkt. Und ich muss das Kind nicht mit dem Bade auskippen, wenn Erkenntnisse auf den Tisch kommen, die ein überzogen positives Image meiner Glaubensgemeinschaft in Frage stellen. Beispielsweise ist das Buch Mormon zu dem Zweck veröffentlicht worden, davon zu überzeugen, „… dass Jesus der Christus ist, der ewige Gott, der sich allen Nationen kundtut.“ Diese Aufgabe hat es bei vielen Menschen sehr gut erfüllt. Vielleicht hat Joseph Smith viele der Begebenheiten unter göttlichem Einfluss in Visionen gesehen, vielleicht hat es viele der dort beschriebenen Personen nie gegeben (genauso, wie Hiob in der Bibel womöglich nie existiert hat). Gerade habe ich beim Verfassen dieses Textes nach einer bestimmten Formulierung gesucht und bin dabei hin- und her durchs Zimmer gelaufen. Vielleicht hat Joseph Smith ja zu Konzentrationszwecken beim Schreiben seinen Kopf immer wieder mal in seinen Hut gesteckt. Auch seine Sehersteine kann er von mir aus ruhig benutzt haben. Ich bin nicht gezwungen, der Kirche abzuschwören, nur weil manche Indizien die romantische Vorstellung in Frage stellen, Joseph Smith habe die goldenen Platten im buchstäblichen Sinne von vorne bis hinten übersetzt.

Viele Grüße

Gipfelstürmer

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