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Verfasser: Gipfelstürmer
Datum: Montag, den 12. Januar 2009, um 22:32 Uhr
Betrifft: Ich halte den Sektenbegriff generell für unangemessen

Hallo Desi, hallo ThePassenger,

die Frage, ob die HLT-Kirche eine Sekte ist, erscheint mir recht heikel. Michael Krenzer hat in der Zeitschrift „Religion – Staat – Gesellschaft“ einen hervorragenden Artikel mit dem Titel „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern: Vom Umgang der Schule mit religiösen Minderheiten“ veröffentlicht. Der Autor bemängelt, dass sich der Schulunterricht über Sekten allzu oft auf die Wiederholung gängiger Klischees beschränkt. „Nicht bedacht wird dabei allerdings, dass Schüler, die den im Unterricht ‚behandelten‘ Glaubensgemeinschaften angehören, fortan mit dem Sekten-Stigma versehen, in der Klasse leben müssen. Oft werden sie erst dadurch in genau die Außenseiterrolle gedrängt, die ihnen durch die Anti-Sekten-Literatur zugeschrieben wird“ (S. 9). Michael Krenzer schreibt außerdem, dass der Sektenbegriff äußerst schwammig ist und dass durch seine Verwendung Emotionen geweckt, Feindbilder geschaffen und Vorurteile geschürt werden. Deswegen sollte er laut einer von der Bunderegierung einberufenen Enquete-Kommission auch nicht mehr verwendet werden (außer, man möchte die Mitglieder bestimmter Religionsgemeinschaften bewusst stigmatisieren oder diffamieren). Dass ein aktives Engagement in der HLT-Kirche und vielen anderen Minderheitsreligionen überhaupt nicht schädlich ist, sondern meistens mit mehr Glück und besserer Gesundheit einher geht, ist mittlerweile sehr gut belegt. Michael Krenzer zitiert Hubert Siewert, ein Mitglied der erwähnten Enquete-Kommission, wie folgt: „Die Fiktion, bei den Mitgliedern […] handele es sich um ihrer Willensfreiheit beraubte ‚Opfer‘ von Seelenfängern, widerspricht jedoch nicht nur den empirischen Erkenntnissen. Sie verletzt auch die Würde dieser Menschen, indem sie als unfähig zur selbstverantwortlichen Lebensführung angesehen werden. Sie als ‚Opfer‘ psychischer Manipulationen zu bezeichnen bedeutet eine Abwertung ihrer freien religiösen Entscheidung“ (S. 14).

Man kann von der HLT-Kirche sicher halten, was man will. Fest steht jedoch, dass sie in Deutschland und vielen anderen Ländern schon lange existiert, ein aktives Gemeindeleben pflegt, seelsorgerische Aufgaben wahrnimmt und den meisten ihrer Mitglieder viel eher gut tut als ihnen schadet. Indem man immer und immer wieder darauf beharrt, die HLT-Kirche wäre eine Sekte, macht man sie erst zu einer solchen. Douglas Davies ist Professor „in the Study of Religion“ an der University of Durham und einer der weltweit renommiertesten Forscher im Bereich des Mormonismus. In seinem Buch „An Introduction to Mormonism“ schreibt er auf Seite 9: „This, obviously, means that I will not follow those who might regard Mormonism as some strange and false American cult, where the very word ‚cult‘, and to a lesser degree, the word ‚sect‘, indicates disapproval.“
Die Verwendung des Wortes „Sekte“ im Zusammenhang mit der HLT-Kirche ist meiner Ansicht also nicht nur eine Frage der (sehr subjektiven) Bewertung einer Religion. Es geht auch darum, sich durch den Einsatz dieses Begriffs dafür zu entscheiden, zur Stigmatisierung und sozialen Ausgrenzung ihrer Mitglieder beizutragen. Und ein solches Verhalten ist für Hubert Siewert wie erwähnt eine Verletzung der Menschenwürde. Ich würde mich freuen, wenn zur Rechtfertigung einer Verwendung des Sektenbegriffs nicht mehr additiv die absonderlichsten Ereignisse in der Geschichte der HLT-Kirche aufgeführt werden würden. Wie das Bundesverfassungsgericht vor einigen Jahren urteilte, darf eine Religionsgemeinschaft nicht nach ihrem Glauben, sondern nur nach ihrem tatsächlichen (heutigen) Verhalten beurteilt werden. Mormonen sind weder besser noch schlechter als Katholiken, Moslems, Juden oder Atheisten. Weiße und schwarze Schafe gibt’s überall. Es wäre schön, wenn die Menschenwürde der aktiven Mitglieder der HLT-Kirche durch die Nichtverwendung des Sektenbegriffs in demselben Ausmaß geachtet werden würde, wie man auch als Nichtmitglied die eigenen Menschenrechte beschützt wissen will.

Viele Grüße

Gipfelstürmer

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